Friedensaktivist Claus Schreer:Dieser Mann ist seit 60 Jahren im Widerstand

Friedensaktivist Claus Schreer: Der Friedensaktivist Claus Schreer feiert 80. Geburtstag.

Der Friedensaktivist Claus Schreer feiert 80. Geburtstag.

(Foto: Robert Haas)

Claus Schreer verweigerte als einer der ersten den Wehrdienst, organisierte Ostermärsche und wurde vielfach festgenommen: Jetzt wird der Friedensaktivist 80 - und kämpft weiter.

Von Thomas Anlauf

Wer in München auf die Straße geht, folgt häufig dem Aufruf eines Mannes. Viele wissen gar nicht, wer der Kopf hinter den Demonstrationen ist, bei denen es mal gegen Atomkraft, mal gegen Krieg oder Rassismus geht. Es ist ein schmaler Mann, sein Haar ist grau geworden mit den Jahren, aber seine dunklen Augen sind noch wachsam.

Claus Schreer blickt in den blauen Himmel, als könnte er dort die Antwort darauf finden, was ihn seit nun 60 Jahren auf die Straße treibt, um gegen Leid und Unrecht und für eine friedlichere und gerechtere Welt zu protestieren: "Es muss sich und es wird sich etwas ändern."

Das fühlte Claus Schreer schon früh im Leben. Der gebürtige Oberschlesier wuchs in den Fünfzigerjahren in Dachau auf und ging zeitweise auf eine Klosterschule, "das hat mich schon auch ein bisschen geprägt", sagt er und lacht. Denn mit Institutionen wie der Kirche hat es der streitbare Mann natürlich nicht, auch nicht mit der Bundeswehr, in die er 1956 eingezogen werden sollte.

"Da dachte ich: Um Gotteswillen, das ist ja das Gleiche wie im Internat." Er verweigerte als einer der ersten jungen Männer im Nachkriegsdeutschland den Wehrdienst - den Kriegsdienst, wie der überzeugte Pazifist die Ausbildung an der Waffe nennt. Er musste zur mündlichen Verhandlung, letztlich wurde er ausgemustert. "Damals bin ich politisiert worden", sagt er. Schreer betont das, als ob der Staat, die Obrigkeit aus ihm den Homo politicus formte, der er bis heute ist.

Die atomare Aufrüstung war das Hauptthema des jungen Claus Schreer

Vielleicht war es aber auch die Zeit, die ihn zum politischen Menschen und zum unermüdlichen Demonstranten machte. 1957 wandten sich hoch angesehene deutsche Atomforscher in der Göttinger Erklärung gegen die von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß geplante Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen.

Schreer, der zu dem Zeitpunkt schon in München lebte und eine Ausbildung zum Grafiker machte, begann sich politisch zu engagieren, die atomare Aufrüstung war das Hauptthema des jungen Claus Schreer. 1961 fand in München der erste Ostermarsch statt, bei dem Erich Kästner eine Rede auf dem Königsplatz hielt, die mit den Worten endete: "Unser friedlicher Streit für den Frieden geht weiter. Im Namen des gesunden Menschenverstands und der menschlichen Fantasie. Resignation ist kein Gesichtspunkt!" Für Claus Schreer muss dies ein Weckruf gewesen sein.

Schon in den Jahren darauf organisierte er die Münchner Ostermärsche, die Bedrohung durch einen Atomkrieg blieb zunächst das beherrschende Thema. Später benannte sich die Ostermarschbewegung in "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" um, es ging dann auch um die sogenannten Notstandsgesetze, die im Mai 1968 Zehntausende Menschen auf die Straße trieben, das war ein Monat nach dem Attentat auf Rudi Dutschke.

Konstantin Wecker bezeichnete ihn einmal als "Unermüdlichen"

Als Dutschke in Berlin niedergeschossen wurde, war auch Claus Schreer unter den Demonstranten, die in der Münchner Schellingstraße die Redaktion der Bild blockierten, Schreer wurde zum ersten Mal festgenommen. Auch Jahrzehnte später musste er in Polizeigewahrsam, beim Weltwirtschaftsgipfel 1992 war er einer der 480 Festgenommenen, die friedlich demonstriert hatten und dann von der Polizei im berüchtigten Münchner Kessel festgehalten wurden.

Immer wieder in seiner langen Karriere als Organisator unzähliger Demonstrationen wurde Claus Schreer festgenommen, seine Fingerabdrücke genommen, das ganze erniedrigende Procedere. Dabei war er längst bei der Polizei bestens bekannt.

1995 etwa, er engagierte sich da seit geraumer Zeit im Kurdistan-Komitee und protestierte am Flughafen gegen die Abschiebung des Kurden Fariz Simsek, erhielt er einen Strafbefehl über 1500 Mark, weil er angeblich der Veranstalter einer nicht angemeldeten Demonstration war. Das Gericht stellte jedoch das Verfahren gegen Schreer ein.

"Umwälzungen müssen von unten kommen"

Bei einer anderen Kundgebung, die er im Namen des "Münchner Bündnis gegen Rassismus" organisierte, zog Schreer mit Migranten zum Kreisverwaltungsreferat, um für sie Waffenscheine zu beantragen: "Die Staatsorgane garantieren nicht unseren Schutz vor faschistischen Gewaltanschlägen", argumentierte er. Es war wenige Tage nach dem Mordanschlag von Solingen vor 25 Jahren.

Bis heute setzt Claus Schreer, den Liedermacher Konstantin Wecker einmal als "Unermüdlichen" bezeichnet hat, seinen Namen als verantwortlich im Sinne des Presserechts unter Flugblätter und Plakate, wenn es für ihn um eine gerechte Sache geht. Auch für eine gerechtere Wohnungspolitik und gegen Bodenspekulationen hat er sich immer wieder vehement eingesetzt und 1997 sogar ein Buch mit dem Titel "Das Geschäft mit der Wohnung" geschrieben.

"Man muss sich wehren", sagt er zu seinem jahrzehntelangen Engagement. Claus Schreer glaubt auch, dass der Kapitalismus eines der Übel ist, weshalb die Welt so ist, wie sie ist. "Die Herrschenden machen von sich aus gar nichts, Umwälzungen müssen von unten kommen", findet Schreer.

Er glaubt an eine Revolution, irgendwie, auch wenn er im Herbst nach 45 Jahren aus der DKP ausgetreten ist. Wie eine Revolution aussehen könnte, weiß er auch nicht. Er weiß nur, er wird weiter protestieren für eine bessere Welt. "Man muss sich schließlich auch noch im Spiegel ansehen", sagt er. An diesem Sonntag wird er 80 Jahre alt.

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