Sommerferien:In Mini-München herrschen die Kinder - für drei Wochen

Spielstadt Mini-München

Hier haben die Kinder das Sagen.

(Foto: Sonja Marzoner)

Bis zu 2500 Jungen und Mädchen täglich suchen sich einen Job in der Spielstadt auf dem Gelände der Zenith-Halle. Das Konzept ist mittlerweile weltweit verbreitet - und wird auch von kommerziellen Anbietern nachgeahmt.

Von Barbara Hordych

Nun werden sie bald wieder über das Gelände der Zenith-Halle rollen, die beliebten Taxen in der Kinderspielstadt Mini-München. Die öffnet pünktlich zum Ferienbeginn am 1. August ihre Tore. Und es ist immer wieder erstaunlich, wie tatendurstig sich selbst die schulmüdesten Sprösslinge auf einmal in lange Schlangen einreihen, um sich ihren Stadtausweis abzuholen, in den die zukünftigen Arbeits- und Studienzeiten eingetragen werden.

Damit ist der Weg geebnet für die Suche nach einer freien Stelle: Zwischen zehn und elf Uhr direkt bei den 80 Betrieben und Einrichtungen, oder nach elf Uhr über das Arbeitsamt. Zur Auswahl stehen Jobs im Handwerkerhof, bei der Stadtverwaltung, dem Rathaus, der Bank, beim Bauamt, im Fernseh- oder Filmstudio, in einer Gärtnerei, in einer Universität (da unterrichten nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder als Professoren) oder bei einer Zeitung. Das verdiente Spielgeld, die "Mimüs", können nach Abzug einer Steuer entweder gespart oder im Kaufhaus, im Gasthaus "Zur fetten Sau", im Kino oder im Theater ausgegeben werden.

Das Gemeindeleben unterliegt bestimmten Spielregeln. Wer vier Stunden gearbeitet oder vier Stunden studiert hat, kann Vollbürger werden. Diese dürfen wählen und als Bürgermeister oder Stadtrat kandidieren, um dann im Rathaus neue Gesetze einzubringen oder Veränderungen anzuregen. Die amtierenden Mini-München-Bürgermeister von vor zwei Jahren, Thamina und Omeed, beide 15, werden übrigens am 1. August gemeinsam mit ihrer Bürgermeisterkollegin Christine Strobl Münchens größtes - und kostenloses - Ferienprogramm eröffnen.

Das wartet in seiner 18. Auflage mit einigen Neuerungen auf: Erstmals ist ein Stadtmuseum dabei, eingerichtet mithilfe des "großen" Vorbilds, dem Münchner Stadtmuseum. Dessen Direktorin Isabella Fehle wird am 3. August feierlich eine Leihgabe ihres Hauses an das Mini-München-Museum enthüllen. Ebenfalls neu hinzugekommen ist ein Klimaschutzzentrum mit einem eigenen Forschungsinstitut, einem kleinen Wertstoffhof, einer Müllwaschanlage, einem Repair-Café und einer "Fahrradküche". "Dort können die Kinder neue Vehikel aus alten Fahrrädern, Rollern und Skateboards zusammensetzen", erklärt Projektleiter Albert Kapfhammer. Ob die dann fahren können oder eher als Kunstobjekt im Stadtmuseum landen, bleibt den jungen Kreativen selbst überlassen.

Kapfhammer war als Praktikant dabei, als die von Gerd Grüneisl mit zwei Kollegen entwickelte Spielstadt 1979 erstmals an den Start ging. Seitdem lädt das von Kultur & Spielraum durchgeführte Projekt alle zwei Jahre in den ersten drei Wochen der Sommerferien bis zu 2500 Kinder täglich zum Mitmachen ein - früher in der Olympiahalle, seit 2014 auf dem Zenith-Gelände in Freimann. Inzwischen hat das Modell längst Schule gemacht: Weltweit gibt es heute 200 Kinderspielstädte im In- und Ausland, in Japan sogar schon mehr als 40.

Erst im vergangenen Jahr kam eine Spielstadt in Pilsen hinzu, "deren Ausstattung wir teilweise zur Verfügung gestellt haben", sagt Kapfhammer. Heuer wird das Botschaftsgebäude von Kinderdelegationen aus den Spielstädten Mini-Salzburg, Mini-Pilsen und Mini-Lenster aus Luxemburg gestaltet. Die stellen ihre Länder in Souvenir-Werkstätten, aber auch mithilfe eines Wiener-Walzer-Lehrgangs vor.

Kommerzielle Nachahmer drängen auf den Markt

Selbstverständlich soll das ganze Projekt für die Kinder ein Spiel sein. Gleichzeitig lernen sie dabei aber auch finanzielle, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge kennen. Zugrunde liegt dem kulturpädagogischen Programm die Überlegung von Kunsterzieher Gerd Grüneisl, 71, "dass bei Kindern der Lerneffekt am größten ist, wenn sie das, was sie theoretisch hören, mit dem verknüpfen, was sie handelnd erleben". Weshalb er sich richtig in Rage reden kann, wenn es um die kommerziellen Nachahmer der Kinderspielstädte geht, die von einem mexikanischen Unternehmer 1999 ins Leben gerufenen Mini-Mega-Citys "Kid-Zania".

Diese Vergnügungsparks gibt es in Tokio, Dubai oder Istanbul, bald soll der Sprung nach Deutschland erfolgen. Finanziert werden die Städte zum großen Teil durch Sponsorengelder, für die Firmen dann Werbe- und Ladenflächen bekommen. So gesehen eine Art Einführung in den Kapitalismus. Das Problem besteht aber laut Grüneisl in dem "komplett sinnentleerten Tun", zu dem die Kinder dort angehalten werden. "Sie werden beispielsweise in hübsche Kostüme eines bekannten Paketlieferdienstes gesteckt - und von ihren Eltern eifrig fotografiert".

An einer Ausgabestelle erhielten sie dann Pakete, die sie mit einem Lieferschein an anderen Stelle wieder abzugeben hätten. Von dort bringen sie - erwachsene - Angestellte wieder an die erste Station zurück. Jede soziale Aktion der Kinder untereinander bleibe dabei auf der Strecke. "Unser Konzept funktioniert dagegen ganz anders", sagt Grüneisl: Wenn ein Kind etwa als Bäcker feststelle, dass es eine Schürze brauche, dann könne es zur Schneiderei gehen. Dort erstelle der Schneider einen Kostenvoranschlag, an den er sich zu halten habe. "Wenn dann der Schneider beim Abholen der Schürze plötzlich mehr Geld verlangt als vereinbart, müssen die Kinder das miteinander ausdiskutieren." Und wenn es mal gar nicht klappt mit dem Interessenausgleich, gibt es noch das Gericht. 164 Streitereien mussten dort 2014 ausgetragen werden. Auch das gehört zum Ausprobieren des realen Miteinanders.

Mini-München, für Kinder von 7 bis 15 Jahren, von 1. bis 19. August, Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr, Zenith-Gelände, Lilienthalallee 29

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