Zur Stärkung des Selbstbewußtseins:Therapie auf dem Rücken der Pferde

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"Unsere therapeutischen Angebote sind fast unbekannt", erklärt Jugendamtsleiter Gerhard Beubl den ungewöhnlichen Ortstermin.

Alexandra Vettori

Freising/Asbach - Schweigend und geduldig hat der Junge gewartet, während die Erwachsenen redeten. Als er dann aber in weitem Bogen auf den schimmernden Pferderücken schwingt, geht ein Strahlen über sein Gesicht. Mit geradem Rücken sitzt er oben und als sich das Tier in Gang setzt, folgt sein Körper weich den schaukelnden Bewegungen.

Sie hatten in der Tat viel zu reden, der Leiter des Freisinger Jugendamtes Gerhard Beubl, Sozialpädagogin Irmgard Eichelmann, Pressesprecherin Eva Dörpinghaus, Journalisten, Fotografen, die Sozialpädagogin und Therapeutin Claudia Weihberg und ihr Mitarbeiter, Gestalttherapeut Wolfgang Schwebke. Sie alle haben sich an diesem strahlenden Maientag in einem kleinen Reitstall nahe Petershausen eingefunden. "Unsere therapeutischen Angebote sind fast unbekannt", erklärt Beubl den ungewöhnlichen Ortstermin. Philipp, der Junge, der mit dem Pferd seine Runden dreht, Claudia Weihberg immer neben sich, hat an einem solchen Angebot teilgenommen, an einer "Gruppentherapie mit Tieren". Einmal die Woche - ein halbes Jahr lang - hat er zusammen mit drei weiteren Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren aus dem Landkreis Freising drei Stunden bei Claudia Weihberg, Wolfgang Schwebke und den vier Pferden verbracht. Zwei Gruppen gibt es, seit zwei Jahren. Philipp ist nur zu Demonstrationszwecken mitgekommen, seine Therapie ist abgeschlossen. "Er ist viel selbstbewusster geworden", erzählt die Mutter.

Nach seinem Lieblingspferd gefragt, sprudelte es später nur so aus Philipp heraus, "das ist Olegro, der Norweger. Er ist ruhig." Bella mag Philipp auch gerne, "die ist nur manchmal stur". Wen er reite, entscheide er spontan, "wie mir eben gerade ist." Gerade sitzt er auf Felizitas, einer zierlichen Haflingerstute. "Da muss man ein bisschen aufpassen, sie ist schnell und stur", fachsimpelt Philipp mit nachsichtigem Lächeln. Gerade trickst die Gute, tut so, als jucke es sie am Bein, derweil sie ein Büschel Gras zu erhaschen sucht. Philipp zieht sanft aber bestimmt am Zügel, an dessen Ende kein Mundstück im Pferdemaul liegt. Zu Beginn laufen die Kinder einfach mit den Pferden in der Reitbahn im Kreis und spüren in sich hinein. Entschleunigung sei ein grundlegender Ansatz, erklärt Claudia Weihberg.

Wenn die Kinder an der kleinen Ranch ankommen, folgt die Begrüßung in einem gemütlichen Einzimmer-Container. Zwei Couchen, ein Sessel, ein Bücherregal, Teppiche, Kissen, Decken. Große Fenster lenken den Blick hinaus auf die Koppel. Hier reden sie darüber, was in der Woche los war, wie es ihnen ging, und dann gehen sie zu den Pferden. Wer will, redet weiter, wer auf das Pferd steigen möchte, tut es, wer traben möchte, trabt, wer verkehrt herum sitzen möchte, tut auch das. Es gibt eine Angstskala und eine Aufregungsskala, mit deren Hilfe man die eigenen Gefühle einordnen kann. Weihberg nennt das den inneren Beobachter, der den Kindern hilft, Distanz zum Geschehenen herzustellen. "Die Kinder kommen oft und sagen: Ich bin blöd. Der Beobachter zeigt uns, dass wir vielleicht doof sind, aber nicht nur", beschreibt Weihberg.

Die Kinder, denen das Jugendamt eine pferdegestützte Therapie vorschlägt, sind sozial auffällig, haben traumatische Erlebnisse hinter sich, Ängste, Probleme, mit anderen Kindern und in der Schule. Generell seien die Lebenswelten von Kindern heute nur noch selten geschützte Räume. Sie erlebten Trennungen, Stress, Werteverlust, Anonymität und die Rastlosigkeit der Eltern, schreibt Weihberg in ihrem Konzept. Und: "Es scheint, als sei den Kindern die Fähigkeit verloren gegangen, soziale Situationen unter Einbeziehung des eigenen Handelns zu erfassen." Gut gehaltene Pferde können da wunderbare Lehrmeister sein. Als Fluchttiere ist für sie die Herde lebensnotwendig. Sie verfügen daher über eine differenzierte Körpersprache, die sich durch absolute Authentizität auszeichnet. "Das Erleben dieser Klarheit unterstützt uns bei unseren Gruppenprozessen", sagt Weihberg.

Jugendamtschef Beubl legt Wert darauf, dass das hier keine Reitstunden sind: "Es geht nicht darum, was Nettes zu machen, diese Form von sozialer Gruppenarbeit ist ein anspruchsvolles therapeutisches Angebot." Beubl schaut sich die Höfe vorher genau an, vor allem die Therapeuten, "Grundvoraussetzung ist eine entsprechende Ausbildung der Fachkräfte." Claudia Weihberg ist Diplom Sozialpädagogin, Reit- und Gestalttherapeutin. Seit 15 Jahren arbeitet sie mit Menschen und Pferden. Als Philipp vom Pferd steigt, lächelt er, Gerhard Beubl fängt den Blick auf und meint: "Therapeutische Angebote, die keinen Spaß machen, bringen nichts." Philipps Mama lächelt auch. Sie hat am Hof eine Reitbeteiligung für ihren Sohn gefunden.

© SZ vom 31.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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