Wohnungsnot:Freisinger Appell

Wohnungsnot: Erschwingliches Wohnen soll in Freising weiter möglich sein, wie in diesem Haus an der Rotkreuzstraße.

Erschwingliches Wohnen soll in Freising weiter möglich sein, wie in diesem Haus an der Rotkreuzstraße.

(Foto: Marco Einfeldt)

Bei einer Fachtagung zur Wohnungsnot in der Region fordern die Fachleute Geld, Bauland und Verständnis für den Sozialwohnungsbau. Gleichzeitig erteilen sie Wolkenkratzern und Siedlungsbrei eine Absage

Von Peter Becker, Freising

800 Millionen Euro, gestaffelt auf fünf Jahre, zugunsten des geförderten mehrstöckigen Mietwohnungsbaus: Das ist die Summe, mit der Kommunen und gemeinnützige Organisationen der Wohnungsnot in der Region um München beikommen wollen. So steht es im "Freisinger Appell", den Experten während einer Fachtagung zum Thema "Wohnen für alle ermöglichen" in der Domstadt verfasst haben. Ausschütten soll das Füllhorn voller Geld der Freistaat.

Bedienen könnte sich aus diesem Sonder-Regional-Handelsprogramm natürlich auch der Landkreis Freising. Dem fehlen, laut einer Zahl, die im Kreistag immer wieder genannt wird, etwa 700 geförderte Sozialwohnungen. Wenngleich sich Stadtbaurätin Barbara Schelle nicht beschweren würde, wenn ihr statt Geld eine adäquate Anzahl an Grundstücken angeboten würde. Daran krankt nämlich der Wohnungsbau in der in ihren Entfaltungsmöglichkeiten sehr limitierten Stadt Freising.

Die SZ Freising hat jüngst in einer umfassenden Serie das Fehlen bezahlbaren Wohnraums für Niedriglohnverdiener sowie die hohen Miet- und Grundstückspreise thematisiert. Der Landkreis Freising steht mit diesen Problemen jedoch nicht allein da. Neben München sind den Landkreisen Ebersberg und Dachau laut Ludwig Mittermeier, Vorsitzender des Kuratoriums der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe München und Oberbayern, derzeit die stärksten Zuzüge prognostiziert. Ebersberg hat prozentual gesehen sogar eine stärkere Zuwachsrate als München.

Rudolf Stummvoll, Leiter des Amtes für Wohnen und Migration in München, unterstrich in einer Pressekonferenz zum Abschluss der Tagung die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum in der etwa drei Millionen Menschen umfassenden Region. Die Wohnungsnot geht nach seiner Beobachtung weit in die Mittelschicht hinein: Nicht nur Angehörige von Randgruppen finden keine günstigen Unterkünfte mehr, sondern auch Polizisten, Krankenschwestern oder Erzieherinnen.

Der "Freisinger Appell" beinhaltet die Forderung nach dem Bau von 6000 geförderten Wohnungen in München, den Kreisstädten sowie größeren Gemeinden entlang der S-Bahn-Strecken pro Jahr. Doch in der Stadt Freising ist Bauland limitiert. Der Flughafen verhindert eine Ausweitung nach Süden, im Norden bildet der Bannwald die Grenze. Selbst die Nachverdichtung, welche die Stadt propagiert, hat ihre Grenzen. In den kleinen Orten, die zu deren Gebiet gehören, wie etwa Haindlfing oder Sünzhausen, gebe es kaum Infrastruktur, erläutert Barbara Schelle.

"Bei uns wird es klassischen Wohnbau mit Einfamilienhäusern nicht mehr geben", hatte Freisings Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher am Montag während der Fachtagung zu verstehen gegeben. Das heißt nicht, dass im Stadtgebiet nun Wolkenkratzer in die Höhe schießen. Die Einfamilienhäuser gehörten natürlich weiterhin zum klassischen Stadtgebiet, versicherte Barbara Schelle auf Nachfrage. "Ein Maß der Verträglichkeit", sagte die Stadtbaurätin, werde eingehalten, um das Stadtbild zu erhalten. Das bedeutet, dass die Geschosse drei bis vier Etagen nicht übersteigen sollen. Auf keinen Fall wolle die Stadt Freising in einer Ansammlungen von Siedlungen mit dem Großraum verschmelzen. Angesichts des fehlenden Baugrunds ist im Zuge der Nachverdichtung auch an das Mittel der Konversion gedacht, um Wohnraum zu schaffen. Dies bedeutet die Umwandlung von Gewerbe- in Wohngebiete.

Eine wichtige Rolle bei der zusätzlichen Ausweisung von Bauland spielen die Gemeinden. "Ohne die geht nichts", betonte Mittermeier. Diese jedoch zum Bau von günstigen Wohnungen zu bewegen, ist bislang nicht gelungen. Daran sind seit den Kommunalwahlen auch die Bemühungen gescheitert, die Wohnungsbaugesellschaft des Landkreises wiederzubeleben. Die Gemeinden müssten im Zuge der Vorsorge für die Bürger eben auf den einen oder anderen Euro verzichten, sagte Mittermaier. Bislang ist es stattdessen so, dass die Gemeinden ihre Grundstücke lieber möglichst gewinnbringend verkaufen, als sie für soziale Zwecke dem Landkreis zur Verfügung zu stellen. Der "Freisinger Appell" beinhaltet deshalb auch die Forderung nach der Bereitstellung von mehr Gemeindeflächen für den sozialen Wohnungsbau sowie dem Erstellen von Landkreis-Förderprogrammen.

In den Gemeinden gibt es teilweise Vorbehalte gegen die Klientel, die in die Sozialbauten einziehen könnte. Helmuth Roth, Referatsleiter Sozialplanung Koordination und Fachdienste des Bezirks Oberbayern, betonte jedoch, dass im Zuge der Inklusion Behinderte, die jetzt noch in Einrichtungen untergebracht sind, ebenfalls ein Recht auf eine Wohnung hätten. Dazu kommen Obdachlose, von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen und Personen mit psychischen Problemen. Auch anerkannte Flüchtlinge drängen auf den Wohnungsmarkt. Teilnehmer der Tagung sehen aber gerade darin, dass Asylbewerber den Gemeinden zugeteilt werden, eine Chance, starre Gedankenmuster zu durchbrechen. Wenn Flüchtlinge integriert werden können, dann muss das auch mit sozial Schwachen möglich sein.

"Wer Gewerbe schafft, muss auch Wohnraum schaffen", lautet eine weitere Forderung. Was die Umsetzung der Ziele angeht, gibt Mittermeier zu, dass man sich erst am Anfang eines Prozesses befinde. Ob der Anstoß dazu gelungen ist, soll eine Ergebniskontrolle in zwei Jahren zeigen.

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