Mittelmeer:Feuerwehrmann verteilt auf hoher See Rettungswesten, Wasser und Cracker

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Der Moosburger Sebastian Keller kreuzt derzeit mit seinen Kollegen auf der "Sea-Eye" vor der libyschen Küste, um Flüchtlinge mit Schwimmwesten, Essen und Getränken zu versorgen. (Foto: Erik Marquardt/oh)

Der frühere Moosburger Kreisbrandmeister Sebastian Keller lenkt zum ersten Mal ein so großes Schiff: Entlang der libyschen Küste versucht er mit seiner Crew der "Sea-Eye" schiffbrüchige Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten.

Von Clara Lipkowski, Moosburg

Es kratzt in der Leitung: "Backwards, we go back. After this ship we go, we follow", sagt Sebastian Keller. Kurze Pause, dann ist er wieder da. "Wir verlassen gerade den Hafen von Malta und müssen wegen der entgegenkommenden und mit auslaufenden Schiffe aufpassen", sagt er und stellt den Funk leiser. Keller ist Skipper auf der "Sea-Eye", die an diesem Spätnachmittag des 23. Mai den Hafen der maltesischen Hauptstadt Valletta in Richtung Libyen verlässt.

Der Moosburger ist in ehrbarer Mission unterwegs: Mit der gleichnamigen Hilfsorganisation "Sea-Eye" will der ehemalige Feuerwehrmann Flüchtlinge, die in Schlauchbooten auf dem Weg nach Europa in Seenot geraten, bei ihrer gefährlichen Überfahrt retten. "Wir sind im ständigen Kontakt mit der Seenot-Leitstelle MRCC in Rom, die für das Mittelmeer zuständig ist", sagt der 63-Jährige. Diese arbeitet mit anderen Hilfsorganisationen und Suchpiloten der EU zusammen, die zweimal am Tag über das Meer Patrouille fliegen. Ortet die Meerüberwachung Schiffbrüchige, gibt sie die Koordinaten per Satellitentelefon an ein Schiff in der Nähe weiter, auch die "Sea-Eye".

Gerade jetzt, bei gutem Wetter und wenig Wellengang, machen sich vermehrt Menschen aus Nordafrika auf den Weg. "Mit dem Schiff fahren wir nur einige Hundert Meter nah heran, um die Menschen nicht zu veranlassen, zu uns zu schwimmen", so Keller. Das Schiff ist nicht dafür vorgesehen, Flüchtlinge aufzunehmen. "Wir fahren mit einem kleinerem Boot an die Gummiboote heran, stellen fest, ob jemand medizinisch versorgt werden muss, verteilen Schwimmwesten, Wasser und Cracker und nehmen auf, wie viele Personen auf dem Boot sind." Die Leitstelle koordiniert dann, welches Schiff die Flüchtlinge sicher ans Festland bringt, meist eines von Frontex oder der italienischen Küstenwache - im Regelfall nach Italien.

"Die Crew unseres Schwesterschiffs ist vorzeitig zurückgekehrt, weil sie so fertig war, von dem, was sie erlebt haben"

Jetzt, bei der Ausfahrt aus Valletta, bei strahlendem Sonnenschein, ist noch alles ruhig an Bord der "Sea-Eye". Die Crew ist zu zehnt, außer Keller ein Arzt, Wachgänger, eine Funkerin und ein Koch. "Wir werden mit Sicherheit Arbeit bekommen", meint Keller. Er fährt nicht selbst zu den Booten raus, er koordiniert die Rettung von der Brücke aus, hält Funkkontakt zum Beiboot und zur Zentrale in Rom. Wie es ihm mit der Mission geht? "Tja, es ist schon aufregend", sagt er nachdenklich: "Die Crew unseres Schwesterschiffs "Seefuchs" ist kürzlich vorzeitig zurückgekehrt, weil sie so fertig war, von dem, was sie erlebt und gesehen hat." Sie hatte außerplanmäßig wegen schweren Seegangs 180 Flüchtlinge an Bord genommen, das Schiff war dadurch massiv überladen.

Die "Sea-Eye" wird bis 5. Juni mit 24 Meilen Abstand vor der libyschen Küste kreuzen. Fährt sie näher an Libyen heran, verletzt sie die Hoheitsrechte des Landes. Der langjährige Moosburger Kreisbrandmeister Keller, der schon früher Bootsführerscheine gemacht hat, lenkt zum ersten Mal ein so großes Schiff, früher war er auf Segelschiffen mit den Moosburger Feuerwehrkollegen auf den Weltmeeren unterwegs. Die "Sea-Eye" ist ein aufgerüsteter Fischkutter, 26 Meter lang, sechseinhalb Meter breit. Sie fährt unter niederländischer Flagge, weil sie in dem Land als Yacht zugelassen ist und als solche anders als in Deutschland ohne Kapitänslizenz gesteuert werden kann. "Aber wir haben schon eine bayerische Flagge aufgezogen", sagt Keller und lacht, als ein norddeutscher Kollege aus dem Hintergrund ruft: "Es gibt hier aber auch normale Menschen an Bord." Man spricht Deutsch; da eine Funkerin aus Frankreich dabei ist oft auch Englisch. Wo die "Sea-Eye" sich aufhält, zeigt ein Ship-Tracker. Auf der Internetseite vesselfinder.com wird das GPS-Signal regelmäßig aktualisiert. So verfolgt auch Kellers Ehefrau Erna die Route, Handyempfang gibt es nicht auf hoher See.

Schon am dritten Abend kommt das Team Schiffbrüchigen zu Hilfe. Vier Schlauchboote mit etwa 400 Menschen treiben im Wasser, zwei verlieren Luft. Brenzlig wird es, als 20 Personen ins Wasser fallen. Da sie aber die zuvor verteilten Schwimmwesten tragen, kann Schlimmeres verhindert werden. Die "Sea-Eye" nimmt zwei medizinische Notfälle an Bord. Später bringt ein italienisches Militärschiff die Flüchtlinge sicher an Land.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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