"Willkommen im Paradies":Landlust zwischen Gleis und Bundesstraße

"Willkommen im Paradies": Liebevoll gepflegte Gärten und einfache kleine Lauben sind für Kleingartenpächter wie Renate und Wilhelm Löfflmann das Paradies.

Liebevoll gepflegte Gärten und einfache kleine Lauben sind für Kleingartenpächter wie Renate und Wilhelm Löfflmann das Paradies.

(Foto: Marco Einfeldt)

Seit 30 Jahren gibt es den Freisinger Kleingartenverein in Tuching - begrenzt von B 11 und Bahnstrecke. Doch die Schrebergärtner lieben ihr Hobby. Den Verkehrslärm überhören sie einfach

Von Christoph Dorner, Freising

Das Paradies liegt genau zwischen der B 11 und den Bahngleisen, auf denen mehrmals in der Stunde die Regionalbahnen und Güterzüge vorbeirumpeln. Doch Schrebergärtner sind da weder zimperlich noch besonders empfindlich: Den Verkehrslärm, der ihr Paradies oftmals umgibt, überhören sie einfach. Biegt man also auf den Parkplatz der Freisinger Kleingartenanlage im Ortsteil Tuching ein, wird man von einem Schild willkommen geheißen: "Das Freisinger Paradies." Dabei ist das Schild tatsächlich als Einladung gedacht, schließlich gehören Schrebergärten wie ein Park zum öffentlichen Raum. Das Kleinod hinter all den Hecken mit ihren genormten Höhen, an die sich freilich niemand zentimetergenau hält, kann von Spaziergängern jederzeit besichtigt werden.

Im April 1985 wurde der Freisinger Kleingartenverein gegründet. Er feierte deshalb im Juli mit Würstln und Getränken sein 30-jähriges Bestehen. Zwei Jahre nach der Gründung des Vereins gab die Stadt den Bau der Anlage in Auftrag, die bis 1989 angelegt und in den 90er Jahren noch einmal auf 117 Parzellen erweitert wurde. Fünf Gründungsmitglieder von damals hätten ihre Gärten sogar noch, erzählt Andreas Höppner an einem warmen Augustabend auf der Veranda vor seiner Laube. Der Vereinsvorsitzende bietet Saftschorle an. Weil sofort von allen Seiten Hornissen angeflogen kommen, muss der Bierdeckel aufs Glas - immerhin ein Anzeichen, wie vital das Ökosystem Schrebergarten sein kann, zumal man eine Partnerschaft mit dem Bienenzuchtverein Freising-Neustift pflegt, der außerhalb der Anlage einen Bienenstand aufgestellt hat.

Mittlerweile liege der Altersdurchschnitt in der Anlage bei etwa 60 Jahren, sagt Höppner. Viele Mitglieder sind Rentner. Daneben haben in den vergangenen Jahren aber auch einige Familien mit Kindern eine der 250 bis 290 Quadratmeter großen Parzellen gepachtet - eine neue "Landlust", die anderswo noch stärker ausgeprägt ist. So suchen in jüngster Zeit vor allem gestresste Großstädter im Kleingarten den Kontakt zur Natur und einen Ausgleich zum Berufsalltag. Doch gilt das auch im ungleich ländlicheren Freising, wo prozentual deutlich mehr Menschen einen eigenen Garten haben?

Höppner, der seine Parzelle seit 1993 gepachtet hat, erzählt, dass auch er immer wieder Anfragen von Auswärtigen erhalte, die in München wegen der hohen Nachfrage jahrelang warten müssten, bis sie an einen Kleingarten kommen. Die müsse er dann allesamt ablehnen, weil eine zentrale Bedingung für einen Pachtvertrag ist, dass die Bewerber ihren Hauptwohnsitz in der Stadt Freising haben.

Bei einheimischen Interessenten erkundigt sich Höppner dann vorab in einem Informationsgespräch, ob Freizeit und körperliche Fitness überhaupt ausreichen, um einen Kleingarten zu bewirtschaften. "Denn ein Hobby ohne Arbeit gibt es nicht", sagt er. Im Juli und den ersten Augustwochen mussten die Freisinger Kleingärtner täglich kommen, um ihren Garten abends zu wässern. Im Bundeskleingartengesetz, das in Buchform 264 Seiten umfasst, ist zudem klar geregelt, dass mindestens ein Drittel der Fläche einer Parzelle zum Anbau von Obst oder Gemüse verwendet werden muss.

Zu Kriegszeiten oder in der ehemaligen DDR spielte der Schrebergarten zur Selbstversorgung auch eine bedeutende Rolle. Heute rechtfertigt die Regelung zur Bewirtschaftung, die vom Vorstand alle drei Jahre bei einer Begehung der Gärten etwas genauer geprüft wird, immer noch den im Vergleich zu städtischen Erholungsgärten niedrigeren Pachtzins. So belaufen sich die Kosten für einen Kleingarten in Tuching auf gerade einmal rund 200 Euro im Jahr. Auch die Stadt hat dabei ihren Nutzen, da Kleingärten in Ballungsgebieten zur Verbesserung des Klimas und zur Sicherung der Artenvielfalt beitragen.

Manche Interessenten kommen dennoch erst gar nicht zu den Informationsgesprächen, wenn sie von dem Preisschild erfahren, das einem freien Garten anhaftet, sagt Höppner. Denn die Abstandszahlung für die Parzelle mit Holzlaube ist mit 3000 bis 5000 Euro durchaus happig, wenn man bedenkt, dass man in Ostdeutschland einen Kleingarten vielerorts mangels Nachfrage für den symbolischen Preis von einem Euro bekommt. Während die ungleich größeren, gemauerten Lauben im Osten mit Strom und fließendem Wasser seit der Wende unter Bestandsschutz stehen, kann man in Tuching nicht gerade von Luxus sprechen. Höppner hat zwar auch eine Sitzecke und eine Küchenzeile in seiner rustikalen Laube. Strom und Wasser gibt es aber nur im schönen Gemeinschaftshaus im Zentrum der Anlage.

Gundula Strieck ist trotzdem Fan geworden. Die zweite Vorsitzende, die vor 24 Jahren aus Ostfriesland nach Freising gezogen ist und seit fünf Jahren einen Kleingarten gepachtet hat, findet die Anlage weitaus luftiger als vergleichbare Objekte in München. Beim Versuch, das Vereinsleben zu fördern, kommen die Vorsitzenden dennoch an ihre Grenzen. Zwar absolvieren alle Mitglieder in der Regel ohne zu murren ihren Gemeinschaftsdienst, etwas mehr als zehn Stunden im Jahr. Beim Frühschoppen für die Männer und dem Kaffeekränzchen für die Damen kämen jedoch immer nur die üblichen Verdächtigen, sagt Höppner. Dass die Menschen im Schrebergarten ihre Ruhe haben wollen, finden beide Vorsitzenden in Ordnung. Auch sie sind Tüftler, die ihre Gärten fortwährend umgestalten und mit neuen Methoden gegen Schädlinge wappnen. "Eigentlich ist man nie mit dem Garten zufrieden", sagt Höppner und zuckt mit den Schultern.

Und doch hat man den Eindruck, dass zumindest der Vorsitzende etwas der Zeit nachtrauert, als die Männer gemeinsam den Außenanstrich für ihre Hütten machten und sich danach zusammensetzten und ein Bier tranken. Als er Infobriefe bei jedem Kleingärtner persönlich vorbeibrachte und mit ihnen ein Schwätzchen hielt. Heute wird er oft nur noch gerufen, wenn es einen Nachbarschaftsstreit zu schlichten gilt, weil die Leute nicht mehr selbst miteinander reden können.

Was die Menschen in der Kleingartenanlage in Tuching eint, ist, dass sie ihre Gärten lieben, egal ob sie nun aus Deutschland, der Türkei, Italien oder Kosovo kommen. Und die Alten wollen ihre Parzellen partout nicht aufgeben, obwohl die Anstrengung für sie längst zu groß ist. "Der Garten ist doch nicht alles", sagt Gundula Strieck dann und überlegt noch einmal. "Aber für mich ist er auch viel."

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