Wenn die dritte Startbahn kommt:Alles hin

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Das Haus der Spitzenbergers in Attaching ist nur 400 Meter von der geplanten dritten Startbahn entfernt. Vor Gericht schildern sie, wie der Flugbetrieb ihr Leben verändern würde. Sie fürchten den "sozialen Niedergang".

Von Johann Kirchberger

"Mein ganzes Leben habe ich gearbeitet, damit was bleibt, und jetzt stehe ich mit leeren Händen da." Eindrucksvoll schilderte Franz Spitzenberger am Mittwoch vor dem Verwaltungsgerichtshof in München seine persönliche Betroffenheit durch den Bau einer dritten Startbahn. "Mein Lebenswerk wird zerstört", sagte er unter Tränen, er solle gezwungen werden wegzuziehen, "mein Haus wird wertlos, wir verlieren unsere Heimat". Auch seine Frau Katharina und Tochter Karoline sprachen von einem "gesellschaftlichen und sozialen Niedergang", der ihnen drohe. Die Anwälte des Freistaats und der Flughafen GmbH (FMG) sahen das naturgemäß anders. Er könne im Planfeststellungsbeschluss keine falschen fachlichen Entscheidungen sehen, sagte Oberlandesanwalt Anton Meyer, "Rechtslage bleibt Rechtslage".

Die Spitzenbergers wohnen in einem Anwesen an der Dorfstraße in Attaching. Der ehemalige Bauernhof wurde vor Jahren in Wohnungen für die Familie umgebaut, ein weiteres Haus wurde angefügt und vermietet. "Unsere Altersversorgung", so Spitzenberger. Das Anwesen ist nur etwa 50 Meter vom "Übernahmegebiet" entfernt, dem Bereich also, in dem die Haus- und Grundbesitzer vollständig entschädigt werden müssen. Zur geplanten dritten Startbahn sind es knapp 400 Meter. Gesundheit, Familie und Zuhause seien die wichtigsten Dinge in ihrem Leben, sagte Karoline Spitzenberger. Die Familie könne niemand zerstören, aber die dritte Startbahn zerstöre entweder ihre Gesundheit oder ihr Zuhause. Ein Leben hier sei nach der Flughafenerweiterung unmöglich. Fluglärm, Bodenlärm, Wirbelschleppen und Abgase gingen einher mit der Angst vor einem Absturz. "Wenn ein Flugzeug über die Startbahn hinausschießt, steht es in unserem Garten." Beim Landeanflug werde einmal alle zweieinhalb Minuten ein Flugzeug in einer Höhe von 70 bis 100 Metern über ihr Haus fliegen. Bei Starts alle zwölf Minuten eines in 200 bis 500 Meter Höhe. Der zu erwartende Dauerschallpegel vervierfache sich durch die dritte Startbahn. Das Absturzrisiko sei ein ständiger Begleiter, Wirbelschleppen bis zur Windstärke sechs seien zu erwarten. Sitze sie dann auf dem Balkon, so Karoline Spitzenberger, müsse sie Angst haben, dass ihr ein Dachziegel auf den Kopf falle, "oder dass ich hinunterfliege". Laut einem Gutachten könnten die Wirbelschleppen einen Menschen um zwei Meter "versetzen". Andere Gutachten sagten aus, dass die Konzentration von Stickstoffdioxid, die zur Erkrankung der Atemwege führe, in Attaching höher sein werde als im Zentrum Münchens. Das Gemüse, das die Familie zur Selbstversorgung anbaue, werde vergiftet, wie das "Grünkohl-Monitoring" der FMG zeige. Außerdem sei mit erheblichen Lichtimmissionen zu rechnen. Bedrohlich sei dabei vor allem die Befeuerung der Bahn "mit Blitzlicht". Wie sich die elektromagnetischen Wellen auswirkten, sei unbekannt, und weil ihr Anwesen als "Luftfahrthindernis" angesehen werde und im Bauschutzbereich liege, könnte womöglich ein Rückbau des Gebäudes verlangt werden.

Riesig sei der Wertverlust der Immobilie. Wohnungen könnten nach dem Bau der Startbahn nicht mehr vermietet werden. Verkaufen könne man so ein Haus ohnehin nicht, "das ist für meine Familie existenzgefährdend". Zusammenfassend sagte Karoline Spitzenberger: "Eine Koexistenz mit der dritten Startbahn ist nicht möglich, die Auswirkungen sind unerträglich". Vater Franz wunderte sich, wie die FMG so genau ausrechnen könne, welche Grundstücke wie stark betroffen seien, wenn noch nicht einmal die Flugrouten feststünden. Er glaube, dass die Lärmgrenzen "willkürlich gezogen" würden, sie verliefen teilweise im "Zickzack". Überdies hätten ihn schon die bisherigen Abgasbelastungen krank gemacht. Seine Frau Katharina erzählte von schweren Schicksalsschlägen der Familie und wie "unsere Attachinger Freunde" geholfen hätten. Diese sozialen Verbindungen würden durch die dritte Startbahn zerstört. "Ich komme mir vor wie an der Pforte zum Fegefeuer." Die Planungen der FMG bedrohten die gesamte Dorfgemeinschaft und den Sportverein, der sich ebenso auflösen werde wie andere Vereine im Ort, sagte Franz Spitzenberger. Und das alles, obwohl die Flugbewegungen laufend zurückgingen und kein Bedarf für eine dritte Startbahn bestehe.

Oberlandesanwalt Anton Meyer verwies in seiner Entgegnung auf Schriftsätze, das Fluglärmgesetz und das Grundstücksverkehrsrecht, verwies auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auf den Planfeststellungsbeschluss, in dem alles "umfänglich dargestellt" werde. Auch FMG-Anwalt Volker Gronefeld sah alles halb so schlimm. Von Überflügen seien die Spitzenbergers gar nicht betroffen, sondern "von seitlichen Vorbeiflügen", von einer Vervierfachung des Lärms könne keine Rede sein und auch nicht von gesundheitlichen Auswirkungen. Überdies sei die Behauptung falsch, sagte er, dass die Flugbewegungen permanent zurückgingen, 2011 habe es eine Zunahme gegeben. Lediglich eine momentane Stagnation räumte er ein.

© SZ vom 19.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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