Wenn der Biertisch zum Altar wird:"Schausteller haben ihre eigene Religiosität"

Wenn der Biertisch zum Altar wird: Pfarrer Martin Fuchs hat ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Schausteller. Zum Freisinger Volksfest kommt er regelmäßig.

Pfarrer Martin Fuchs hat ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Schausteller. Zum Freisinger Volksfest kommt er regelmäßig.

(Foto: Marco Einfeldt)

Jahrelang ist Pfarrer Martin Fuchs quer durch Deutschland gereist, um auf Volksfesten für die Schausteller da zu sein. Er kennt ihre Lebensweise und ihre Sorgen.

Von Eva Zimmerhof, Freising

Als Altar dient ihm meist ein mit Tüchern bedeckter Biertisch: Nach dem Gottesdienst inmitten des Freisinger Festzelts hat sich Volksfestpfarrer Martin Fuchs, 58, zuerst einmal umgezogen, das Messgewand gegen die Trachtenjacke mit Hirschhornknöpfen getauscht. Das Kollar, der weiße Stehkragen, bleibt jedoch am Hals. Pünktlich zur Bekanntgabe der Volksfestbilanz mit Weißwurstfrühstück ist Fuchs, der aus Neumarkt in der Oberpfalz stammt, wieder da. Wo hat er sich jetzt umgezogen, fragt man sich. Sein Auto muss ein Raumwunder sein, schließlich transportiert er darin "alles", wie er sagt: Messgewänder, Hostien, Kelch, Altartücher.

Zehn Jahre lang fuhr er so als Leiter der Katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge quer durch Deutschland: heute hier, morgen dort. Kirmes, Rummel, Dom, Dult, Volksfest, Kirchweih, Mess - die Jahrmärkte kennt er alle, weiß um die Traditionen dahinter und kann davon erzählen. Viele der bayerischen Volksfeste entstanden im 19. Jahrhundert als Feiern zu Ehren des Königs oder als Erntedankfeste. Andere sind wesentlich älter: etwa die Dulten, bei denen Herrscher bereits vor 400 oder 500 Jahren ihre Erlaubnis gaben, einen Markt abzuhalten.

"Ich bin von klein auf auf dem Volksfest daheim gewesen. Wir waren Gast bei den Leuten"

Bis Ende 2013 hatte Fuchs sein Büro in Bonn als Seelsorgeleiter, doch war er dort im Durchschnitt nur einen Tag pro Woche. Das habe er irgendwann mal ausgerechnet, sagt er. "Vier Tage pro Woche war ich unterwegs, zwei in Neumarkt." Seiner Heimat ist er treu geblieben - und doch zog es ihn auf die Festplätze. "Ich bin von klein auf auf dem Volksfest daheim gewesen", sagt Fuchs. "Einmal habe ich bei einem Fahrgeschäft nicht gleich den Besitzer entdeckt und mir einen Chip gekauft. Das hat der gesehen und ein richtig böses Gesicht gemacht: 'Du bist hier kein Besucher, du bist hier Gast! Also benimm dich auch so'." Als Fuchs diese vermeintlich strengen Worte des Schaustellers wiederholt, strahlt er und erklärt: "Meine Großmutter war mit ihrem Obst- und Gemüsestand auf Volksfesten und meine Eltern haben später die Kontakte zu den Schaustellern aufrecht gehalten, daher war ich als Kind immer auf Festplätzen. Wir waren Gast bei den Leuten."

Als Fuchs Theologie studierte, hätten sie zu ihm gesagt: "Wenn du schon Pfarrer wirst, dann kommst du auch weiter zu uns." Nach seiner Weihe baten ihn prompt die Ersten darum, ihnen die Sakramente zu spenden. Taufen, Beerdigungen, auch für Erstkommunionen ist ein Volksfestpfarrer zuständig. Für Firmungen bekommt er eine Weihberechtigung, die sonst Bischöfen vorbehalten ist. Aktuell gibt es sechs Schaustellerpfarrer in Deutschland. "Hochzeiten sind fast immer im Januar, Februar oder März - das sind die etwas ruhigeren Monate. Sonst ist keine Zeit zum Feiern", sagt Fuchs. "Taufen gibt es zwar auch unter dem Jahr, dann aber vormittags." Danach beginnt schon wieder die Spielzeit und der Platz ist wieder für die Besucher offen.

Hinter ihren Fahrgeschäften aber ist der Lebensbereich der Schausteller, den Fuchs ihren "Schutzraum" nennt. Das sei einerseits ein fester Bereich mit Wohnwagen, der jedoch immer wieder den Platz wechsele. "Die Schaustellerei ist eine ganz eigene Lebensart, die viele Leute nicht verstehen, wenn sie sie nicht kennen", sagt der Pfarrer. In der Realität bedeute das für die Menschen jede Woche woanders zu sein.

"Schausteller glauben an etwas Höheres"

"Damit verbunden sind Sorgen wie: Wo gehen die Kinder zur Schule? Man ist 24 Stunden zusammen. Was ist, wenn da Konflikte entstehen? Wie kann man sie lösen?", sagt Fuchs, der ein offenes Ohr für die Leute hat. "Da sind viele Dinge, die es im Fahrkartenhäuschen zu erzählen gibt. Es ist ja alles eng beieinander: Beruf und Familie." Sind Schausteller darum besonders religiöse Menschen? Fuchs ist sich sicher: "Schausteller haben ihre eigene Religiosität. Sie vertrauen darauf, dass sie jemand begleitet. Der Grund dafür, dass sie zu mir kommen, liegt auch in der Erinnerung an die Toten und in der Verbundenheit zu den Großeltern. Bei den Schaustellern ist die Familientradition stärker als anderswo. Konkret beschreiben können die Leute diese Religiosität nicht. Aber sie glauben an etwas Höheres." Fuchs möchte da sein, wenn sie zu ihm kommen wollen: "Das Volksfest an sich zieht mich nicht mehr an. Es sind die Menschen dahinter".

Doch Fuchs ist sesshafter geworden, hat seit einigen Jahren seine eigene Pfarrei in der Nähe von Neumarkt. Zu den Festplätzen einiger Städte reist er aber nach wie vor: Dazu zählt auch Freising, wo er an diesem Morgen die hiesigen Weißwürste und Brezn lobt. Nachdem ihn 1994 Freisings damaliger Oberbürgermeister Dieter Thalhammer ansprach, hat er jedes Jahr seinen Gottesdienst auf dem Festplatz gehalten. Ganz aufgeben möchte Pfarrer Fuchs diese Welt nie. Er fühlt sich den Menschen nah.

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