"Wahnsinnig gerackert":Herz des Widerstands

"Wahnsinnig gerackert": Eines der Gesichter von "Aufgemuckt": ist Hartmut Binner.

Eines der Gesichter von "Aufgemuckt": ist Hartmut Binner.

(Foto: Marco Einfeldt)

Die langjährigen Weggefährten von Hartmut Binner bedauern seinen Rückzug als Sprecher von "Aufgemuckt"

Von Petra Schnirch, Freising

Eigentlich wollte Hartmut Binner am Freitag einen entspannten Vormittag mit einem seiner Enkel verbringen. Doch Facebook machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Doris Kraeker hatte noch in der Nacht gepostet, dass sie soeben die letzte Sitzung mit Binner als " Aufgemuckt"-Sprecher miterlebt habe. Da sie mit vielen Politikern und Startbahngegnern in der Region vernetzt ist, machte die Nachricht schnell die Runde - und mit Binners Ruhe war es vorbei.

Die interne Ankündigung Anfang der Woche, dass er nicht mehr für den Sprecherrat des Aktionsbündnisses kandidieren werde, überraschte selbst seine Mitstreiter. Die Neuwahlen wurden deshalb auf Herbst verschoben. Er spiele aber schon seit einem Jahr mit dem Gedanken, erzählt der 77-Jährige. Den Ausschlag gaben dann letztendlich seine Ärzte, die ihm dringend nahe legten, etwas kürzer zu treten.

Gesundheitliche Probleme plagen Binner schon länger. Zuletzt aber habe er gespürt, dass es ihm selbst nach Reha-Aufenthalten nicht besser gegangen sei. Die seelische Belastung durch die anstrengende Arbeit sei einfach zu groß gewesen. "Meine Frau hat gesagt, dass sie mich nicht einmal mehr hat lachen sehen", erzählt er am Telefon, im Hintergrund hört man, wie seine Frau ihm zustimmt. "Jetzt bin ich auf einem guten Weg, wieder ein normaler Mensch zu werden."

Solche Worte könnte einer, der nicht selbst erlebt hat, mit welcher Ernsthaftigkeit und Hartnäckigkeit sich Binner in den vergangenen zehn Jahren als Aufgemuckt-Sprecher im Widerstand gegen die dritte Startbahn aufgerieben hat, vielleicht für etwas pathetisch halten. Doch seine Weggefährten wissen, dass er "wahnsinnig gerackert hat". Das Thema Startbahn habe ihn schon in der Früh gleich nach dem Aufstehen beschäftigt, sagt Helga Stieglmeier, die mit ihm seit vielen Jahren im Sprecherrat zusammenarbeitet. Für sie ist Binner das "Herz des Widerstands".

Ganz zurückziehen will sich der 77-Jährige nicht. Er wird also wohl auch weiterhin bei Protestaktionen eines der Gesichter von Aufgemuckt sein. Allein durch seine Größe ist er nicht zu übersehen, wenn er bei Mahnwachen oder Politikerbesuchen stoisch mit Transparenten, Anti-Startbahn-Button - und im Winter mit Fellmütze - ausharrt und jede Gelegenheit zum Gespräch mit den Mächtigen nutzt. Wichtig war ihm von Anfang an, dass der Widerstand gewaltlos bleibt. Stolz ist er darauf, dass ihm, dem pensionierten Polizisten, dafür auch die Gegenseite Respekt zollt. Dass dies ganz anders laufen kann, hat er als Polizeibeamter in Wackersdorf erlebt.

Streitbar ist Binner trotzdem. Anfangs habe er sich die Funktion als Sprecher gar nicht zugetraut, es sei ihm "zugeflogen". Jetzt, zehn Jahre später, bilanziert er: "Ich habe erst langsam begriffen, dass ich Menschen zusammenführen kann." Er sei den Leuten dankbar, dass sie ihm das Amt damals angetragen haben. Als ehemaliger Staatsdiener habe sein Wort Gewicht, vielen gelte er als sehr glaubwürdig.

"Jetzt freue ich mich auf eine etwas ruhigere Zeit", sagt Binner. Dennoch gibt es viele Momente, an die er gern zurückdenkt. Schönste Erlebnisse waren für ihn die Aktion "Occupy Staatskanzlei" und der Bürgerentscheid zur Startbahn in München. Er habe gehofft, aber nicht geglaubt, dass die Gegner des Projekts das Quorum, also eine ausreichend hohe Wahlbeteiligung, schaffen. Als es gelungen war, habe er ein paar Tränen vergossen, gesteht Binner. Trotz aller Besonnenheit ist er stets mit Emotion bei der Sache. Dass er es nun aus Gründen der Vernunft schaffe loszulassen, verdiene Respekt, findet Stieglmeier.

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