Spurensuche im Landkreis Freising:Da, wo jeder Vierte AfD wählt

Spurensuche im Landkreis Freising: Idyllisch an den See schmiegen sich die Häuser in Thalham, einer ehemaligen Gartensiedlung mit 600 Einwohnern, die zu Attenkirchen gehört. Hier hat die AfD bei der jüngsten Bundestagswahl über 26 Prozent der Wählerstimmen errungen.

Idyllisch an den See schmiegen sich die Häuser in Thalham, einer ehemaligen Gartensiedlung mit 600 Einwohnern, die zu Attenkirchen gehört. Hier hat die AfD bei der jüngsten Bundestagswahl über 26 Prozent der Wählerstimmen errungen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Sie wohnen in schmucken Bürgerhäusern und Gartensiedlungen, zählen nicht zu den Abgehängten - aber sie vermissen ihren Einfluss auf die große Politik. Warum in Attenkirchen und Nandlstadt die AfD bei der Bundestagswahl so stark war, bleibt für viele ein Rätsel.

Von Clara Lipkowski und Alexandra Vettori, Attenkirchen/Nandlstadt

Es ist wieder Ruhe eingekehrt nach der Bundestagswahl, und eigentlich regt sich keiner mehr so richtig über das Ergebnis auf, das dem Landkreis Freising einen Bundestagsabgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD) beschert hat. Wirklich erklären kann es aber immer noch niemand, wieso die AfD in einigen wenigen Orten bis zu 26 Prozent erreicht hat.

In Attenkirchen zum Beispiel. Die Gemeinde im nördlichen Landkreis Freising ist das, was man beschaulich nennt. Es gibt viele freistehende Häuser mit Panoramablick in die grüne Hügellandschaft der Hallertau, im Ortskern steht eine weiße Kirche, es gibt einen Bäcker, eine Bank, niedrige Arbeitslosigkeit und etwa ein Drittel der 2600 Einwohner ist im örtlichen Sportverein aktiv. 17,7 Prozent hat die AfD hier geholt. Im Ortsteil Thalham waren es sogar 26,2 Prozent. In absoluten Zahlen sind das insgesamt 80 Wähler in Thalham und 281 in Attenkirchen. Im Wahlkreis Freising hat die AfD 13,6 Prozent geholt, einen Prozentpunkt mehr als bundesweit.

Flüchtlinge in Thalham? "Es würde einfach nicht reinpassen", sagt einer

Warum ausgerechnet Thalham? Die 600-Einwohner-Siedlung wirkt auf den Besucher idyllisch und heimelig. Früher war es eine Wochenendsiedlung, heute sind die Häuser geräumig ausgebaut, rund um einen kleinen See. Die Vorgärten zieren Kies und Steinfrösche. Spricht man am Gartenzaun einen weißhaarigen Mann auf das gute Abschneiden der AfD an, wird er nachdenklich. "Das haben wir auch viel diskutiert", sagt er. "Vielleicht, weil die Politiker uns nicht mehr hören. Die verfolgen ihre festgefahrene Linie: So, und damit basta." Er habe nicht die AfD gewählt - sicher nicht, sagt er. Aber warum dieses Ergebnis? Er vermutet das, was hier viele vermuten, mit denen man spricht - ein älteres Ehepaar, das hereinbittet, der junge Familienvater: Die Sache mit dem Thalhamer Hof ist noch nicht vergessen.

2014 wollte der Besitzer des ehemaligen Hotels, Walter Pletschacher, das leer stehende Gebäude an das Landratsamt vermieten, damit die Behörde dort Flüchtlinge einquartiert. Die Unterkünfte in München waren damals schon voll. Die Thalhamer reagierten alarmiert, organisierten Proteste, das gehe unter keinen Umständen, hieß es. Warum nicht, fragt man den weißhaarigen Mann. "Wissen Sie, es würde einfach nicht reinpassen, wir hier sind ja schon so unterschiedlich, es macht ja schon jeder sein eigenes Ding." Die Gemeinderäte drückten es so aus, als sie eine Veränderungssperre über den Thalhamer Hof verhängten: Zu viele Neubürger würden die sozialen Strukturen des kleinen Orts überfordern.

"Es war eine Protestwahl, die Menschen waren geschockt, als Merkel die Grenze geöffnet hat", sagt der Bürgermeister von Attenkirchen. Das Thema sei durch

Das Thema sei eigentlich durch, findet Martin Bormann, Bürgermeister von Attenkirchen und Mitglied der Bürgernahen Gruppe. Der Grund für den AfD-Zulauf sei die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik. "Es war eine Protestwahl, die Menschen waren geschockt, als Merkel die Grenze geöffnet hat." Und dann sei die AfD in der Gegend offensiv aufgetreten. "Sie tut sich leicht, ein paar Phrasen in den Ring zu werfen, ,Ausländer raus' zu sagen oder ,wir wollen unser Land zurück'." Und dann muss der AfD-ler Johannes Huber aus der Nachbargemeinde Nandlstadt im Wahlkampf "ein paar Mal sehr gut aufgetreten sein", das habe Eindruck gemacht. Andere lokale Politiker äußern sich sehr zurückhaltend über die AfD, eine Person zieht ihr Statement zurück. In Attenkirchen müsse man aufpassen, was man sagt. Warum? Darauf will sie nicht antworten.

"Was wir zu sagen haben, wollen die da oben ja gar nicht wissen"

Die Suche nach einem AfD-Wähler gestaltet sich zäh. Ein älterer Mann plaudert mit einem Bekannten am Gartenzaun. Man sei von der Zeitung, ob man fragen dürfe, ob er AfD gewählt habe? "Nein, das dürfen sie nicht", blafft er, dreht sich um und kehrt Blätter. Sein Bekannter ist offener. "Also, ich habe gar nicht gewählt." Und welche Partei käme infrage, ginge er doch zur Wahl? "Die AfD oder noch weiter rechts." Und dann erklärt er auch, warum: "Was wir zu sagen haben, wollen die da oben ja gar nicht wissen", und meint damit unter anderem Angela Merkel. Die Grenzen zu öffnen, sei "idiotisch" gewesen. Es finde mittlerweile ein Bevölkerungsaustausch statt. Auf die Frage, ob es Probleme mit den etwa 60 Flüchtlingen im Ort gebe, sagt er: "Erstaunlicherweise nein."

Spurensuche im Landkreis Freising: Im schmucken Ortszentrum von Nandlstadt kam die AfD bei der Bundestagswahl auf über 17 Prozent.

Im schmucken Ortszentrum von Nandlstadt kam die AfD bei der Bundestagswahl auf über 17 Prozent.

(Foto: Marco Einfeldt)

Probleme mit Flüchtlingen sieht Pfarrer Stephan Rauscher auch nicht. Mit Menschen, die ihn dafür kritisieren, dass er inzwischen schon neun Flüchtlingen Kirchenasyl gewährte, hingegen schon. "Unsere Schwestern wurden verbal angegriffen, ob es das denn wirklich brauche. Da wird gemotzt, aber nachgefragt nicht."

Es scheint, als hätten die AfD-Wähler vor etwas Angst. Personifiziert in Flüchtlingen

Manch Thalhamer gibt dann doch den Tipp, es gebe da jemanden, der AfD gewählt habe. Einer legt mitten im Telefongespräch auf. Ein anderer sagt: "Die Wahl ist geheim und das ist auch gut so." So viel verrät er aber: Die Flüchtlingspolitik sei der Grund, warum die AfD so stark werden konnte. Es scheint, als hätten die AfD-Wähler vor etwas Angst. Personifiziert in Flüchtlingen. Obwohl sie selbst keine Probleme mit ihnen haben.

Ortswechsel: Sechs Kilometer weiter gen Osten kann sich der Nandlstädter Bürgermeister Jakob Hartl auch nicht recht erklären, warum die AfD hier 17,3 Prozent erreicht hat und der jetzige Abgeordnete Johannes Huber bei den Erststimmen sogar 19 Prozent. In Hubers Person liegt für Hartl die einzige Erklärung: "Er ist halt ein geborener Nandlstädter, das hat sicher dazu beigetragen, dass die AfD hier so viele Stimmen bekommen hat." Am Ort selbst, an den Lebensbedingungen für die 5300 Einwohner, die sich auf 39 Ortschaften verteilen, liegt es nicht, da ist Hartl sicher, und er muss es wissen. Seit 1990 ist er Bürgermeister und gehört der Bürgerliste Nandlstadt an. 70 Asylbewerber wohnen hier, "null Probleme" habe es bisher gegeben, von kleineren Streitereien untereinander abgesehen.

Noch nie sei sie wegen ihres Engagements für Flüchtlinge angefeindet worden, sagt Gisela Kurkowiak. Aber sie erlebt bei den Leuten die Angst, zu kurz zu kommen

Die Arbeitslosenrate ist wie überall im Landkreis niedrig, auch wenn die Leute nach Freising oder zum Flughafen fahren müssen, weil die Jobs eher nicht vor der Haustür, sondern im südlichen Landkreis sind. Für Hartl ist die Sache klar: "Das war eine reine Protestwahl gegen die etablierten Parteien."

Stramm konservativ ist man in Nandlstadt aber schon. Bei der jüngsten Kommunalwahl 2014 wurden die Unabhängigen Wähler mit sieben Räten stärkste Kraft, gefolgt von der CSU mit sechs Räten und der Bürgerliste mit fünf. SPD und Grüne haben je einen Sitz und bilden eine Ausschussgemeinschaft. Auch Gisela Kurkowiak, die 18 Jahre lang für die SPD im Marktrat saß und jetzt im Flüchtlingshelferkreis und der Nachbarschaftshilfe aktiv ist, weiß außer der Tatsache, dass AfD-Mann Huber aus Nandlstadt kommt, auch nicht, warum diese hier so stark abgeschnitten hat. Noch nie sei sie selbst wegen ihres Engagements für Flüchtlinge angefeindet worden, sagt sie. Andererseits erlebt sie immer wieder Angst bei den Leuten, Angst, zu kurz zu kommen.

Beim meist gut besuchten "Freidenkerstammtisch" in Nandlstadt ging es um Themen wie "Wird Deutschland gegen die Wand gefahren?"

Ob dies berechtigt ist? Gisela Kurkowiak ist auch Vorsitzende im Eigenheimverein. Daher weiß sie, dass es in Nandlstadt "einen relativ hohen Anteil an Eigenheimern gibt". In den vergangenen Jahren aber hat es einen erheblichen Zuzug gegeben, jetzt werden auch Mehrfamilienhäuser und Mietwohnungen gebaut. Es gebe schon auch Leute, die wenig Geld haben, weiß Kurkowiak, "aber da ist viel Scham". In der Kleiderkammer decken sich nur Flüchtlinge ein, bei den Altkleidermärkten der Nachbarschaftshilfe kämen auch Zugezogene, die Alteingesessenen aber meist nur, um Kleider abzugeben. Ein Beleg dafür, dass in Nandlstadt durchaus Unzufriedenheit über politische Zustände herrscht, war der meist gut besuchte "Freidenkerstammtisch", den ein Ortsansässiger bis vergangenen September einige Jahre lang organisiert hat. Themen waren "Wird Deutschland gegen die Wand gefahren? - Mit Klartext gegen die Gedankenfeigheit" oder "Wikipedia - Die dunkle Seite der Macht".

Dass nicht nur der ländliche Norden des Landkreises AfD-Hochburgen birgt, zeigt das 430 Einwohner-Dorf Fürholzen, das zu Neufahrn gehört. Während die AfD im Hauptort auf 11,5 Prozent kam, erreichte sie in Fürholzen satte 19,37 Prozent der Erststimmen, bei den Zweitstimmen waren es sogar 22,97. Neufahrns Bürgermeister Franz Heilmeier (Grüne) kann sich das nicht erklären. Gerade Fürholzen sei mit seinem aktiven Arbeitskreis Ortsentwicklung eigentlich ein Beispiel für eine Beteiligungskultur, in der Protestwähler eher weniger zu vermuten seien. "Aber die Aktiven", sagt Heilmeier, "sind wohl auch nur einige Wenige".

Die Suche nach den Gründen für das Abschneiden der AfD im Landkreis endet im Vagen. Die Ausgegrenzten und Abgehängten, die man gemeinhin als Wähler vermutet - sie jedenfalls sind es nicht, weder in den schmucken alten Bürgerhäusern noch in den Gartensiedlungen oder Neubauten. Probleme vor der Haustüre sind es noch weniger, die diese diffuse Angst erklären können. Vielleicht hat Neufahrns Bürgermeister Heilmeier recht, wenn er hinter dem Afd-Erfolg keine soziale Not sieht, "sondern ein Aufregungs- und Skandalisierungsverhalten. Und wer das bedient, der kann mit Zustimmung rechnen."

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