Verfahren eingestellt:Filmriss im Alkoholrausch

52-Jähriger beißt Lebensgefährtin zwei Mal in den Finger

Von Alexander Kappen, Freising

Gefährliche Körperverletzung, Raub, Fahren ohne Führerschein, Erschleichung von Leistungen, Amtsanmaßung, vorsätzlicher Betrug, räuberische Erpressung, Unterschlagung und Nichterfüllung von Bewährungsauflagen. Dazu diverse Diebstähle und Drogendelikte. Richterin Tanja Weihönig ist ziemlich beschäftigt, als sie alle 23 Vorstrafen abarbeitet, die der Angeklagte im Laufe der vergangenen 37 Jahre angesammelt hat. "Ganz schön peinlich, wenn man sich das so anschaut", sagt der 52-Jährige in der Verhandlung am Freisinger Amtsgericht. Vor allem aber ist es bei einem solchen Vorstrafenregister nicht sehr wahrscheinlich, ohne Verurteilung davonzukommen, wenn man sich neuerlich wegen Körperverletzung verantworten muss. Doch in diesem speziellen Fall könne man eine Ausnahme machen, meint die Richterin. Sie stellt das Verfahren gegen den 52-Jährigen, der seine Lebensgefährtin vergangenen September im Rausch in den Finger gebissen hat, mit Einverständnis des Staatsanwalts ein und legt als Auflage 100 Sozialstunden fest.

Dem Angeklagten kommt zu Gute, dass seine Freundin, eine 50-jährige Freisingerin, keine Strafanzeige gestellt hat. Im Nachhinein bereue sie sogar, "dass ich die Polizei gerufen habe, ich glaube, wir hätten das auch so klären können", sagt sie vor Gericht. Der Angeklagte beteuert, es tue ihm "so furchtbar leid, ich schäme mich so". Was an jenem Tag im September 2016 passiert sei, "davon weiß ich nix mehr, ich habe den totalen Filmriss", sagt er. Was man wissen muss: Der Angeklagte war 33 Jahre lang drogensüchtig, hat in einer Einrichtung im Landkreis eine Therapie absolviert und vor dem Vorfall "zwei Jahre lang keinen Alkohol mehr getrunken", sagt er. Am Tag des Vorfalls habe er mit seiner Lebensgefährtin die erfolgreiche Renovierung der Küche gefeiert - und das fatalerweise mit Alkohol. Er habe unter anderem "Massen an Schnaps getrunken, wenn ich damit anfange, kann ich nicht mehr aufhören", sagt er. Den Erzählungen nach habe seine Freundin ihm dann wohl sein Bier weggeschüttet, "weil ich eh schon so zu war - und dann habe ich ihr zur Gaudi in den Finger gebissen, im Rausch hat man eben einen etwas komischen Humor".

Sein Freundin fand das jedoch nicht so witzig. "Ich habe den Finger gekühlt und dann meinem Freund gezeigt", berichtet sie: "Und dann hat er noch mal reingebissen. Für ihn war es ein Scherz, für mich Schmerz." Sie habe "nicht den Eindruck gehabt, dass er mir was tun will, er hat das lustig gefunden". Die Situation mit ihrem völlig betrunkenen Lebensgefährten überforderte sie offenbar: "Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte." In Absprache mit ihrem Sohn, der inzwischen nach Hause gekommen war, rief sie dann die Polizei. Als diese eintraf, lag der Angeklagte, mit dem sie nach dessen Aussage immer noch "eine glückliche Beziehung" führt, schon im Bett und schlief.

Derzeit befindet sich der 52-Jährige auf eigene Initiative in einer sozialen Einrichtung und macht dort eine einjährigen Alkoholtherapie. Er habe mit seinem früheren Leben und Umfeld abgeschlossen, sagt er, seit August 2009 war er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten. Den Vorfall im vergangenen September wertet die Richterin auf dem Weg in ein neues, geordnetes Leben deshalb als "einmaligen Ausrutscher".

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