Traumjob am Flughafen:Ruhepol im Reise-Trubel

Stefan Fratzscher ist evangelischer Pfarrer steht, hat aber keine feste Kirchengemeinde: Als Flughafenseelsorger steht er Mitarbeitern, Fluggästen, Obdachlosen und Asylsuchenden zur Seite

Von Simon Bauer, Flughafen

Stefan Fratzscher

Der evangelische Pfarrer Stefan Fratzscher schätzt die vielen Facetten seiner Tätigkeit am Münchner Airport. Auch Gottesdienste finden dort regelmäßig statt, in erster Linie aber ist er als Seelsorger für Beschäftigte und Reisende im Einsatz.

(Foto: Lukas Barth)

Der evangelische Pfarrer Stefan Fratzscher hat als Flughafenseelsorger seinen Traum job gefunden. Die Atmosphäre, das Gefühl der großen weiten Welt, die Technik, das alles seien Kindheitsträume von ihm gewesen. "Wir arbeiten hier bei der Flughafenseelsorge nicht wie in einer Kirchengemeinde und legen den Fokus nicht ausschließlich auf Gemeindeleben und Gottesdienst, sondern auf soziale Arbeit, die wir hier direkt ausüben", erklärt Fratzscher. Trotzdem werden regelmäßig am Sonntag katholische (10 Uhr) und evangelische (11 Uhr) Gottesdienste in der Christophorus-Kapelle angeboten. Diese seien allerdings eher schwach besucht, erzählt er. Reisende nähmen meist nur bei Verspätungen daran teil.

Gleichzeitig hebt Fratzscher die Ruhefunktion der Kapelle im geschäftigen Treiben des großen Flughafens hervor. "Viele kommen einfach hierher, um die Kapelle als Ruheraum zu benutzen, eine Kerze anzuzünden und etwas ins Buch zu schreiben." Die soziale Ausrichtung unterscheide die Seelsorgestelle am Flughafen auch von anderen kirchlichen Einrichtungen, die den Sozialdienst meist der Caritas überließen.

Ein Hauptaufgabenbereich der evangelischen Dienststelle sei die Sozialberatung für Flughafenangestellte. "Der Flughafen finanziert uns zusätzlich Personal und stellt auch die Kosten für die betriebliche Sozialarbeit. Dafür wurden uns eigene Räume zur Verfügung gestellt", erklärt Fratzscher. Mitarbeiter können sich etwa bei Stress in der Arbeit, Mobbing, Sucht, einer beruflichen Wiedereingliederung oder in einem Trauerfall Hilfe von Stefan Fratzscher und den Mitarbeitern holen. Diese Gespräche würden vertraulich behandelt, versichert er.

Ein weiteres großes Aufgabengebiet sei die Obdachlosenarbeit, dafür finanziere der Flughafen von November an zwei zusätzliche Stellen. Obdachlose gebe es einige am Flughafen. Dort ist es immer warm, es gibt sanitäre Einrichtungen und es ist sicher. "Sie sollen sich hier am Flughafen natürlich nicht beheimaten, auch wenn das im ersten Moment ein bisschen hart klingt", sagt Fratzscher. Mit Druck oder Hausverboten zu arbeiten, sei allerdings nicht zielführend, darum konzentriert sich die Seelsorge auf die sozialpädagogische Arbeit. "Wir wollen noch mehr in Kontakt mit diesem Personenkreis treten und das Vertrauen der Leute gewinnen", so der Seelsorger. Anschließend würden die Betroffenen an die Bahnhofsmission München vermittelt, wo man einen Überblick über mögliche Unterkünfte habe.

Auch im Bereich Asyl sind die kirchlichen Dienste am Flughafen aktiv: "Wir betreuen ankommende Asylbewerber in der Flughafenunterkunft in der Transitzone. Das sind nicht so viele Menschen, wie man es sich vielleicht vorstellt, da die wenigsten Asylsuchenden über den Luftraum kommen." Ohne Papiere oder mit ungeklärter Identität werde die Einreise zunächst verboten und die Asylsuchenden würden von der Bundespolizei in die Transitzone beim Besucherparkplatz gebracht. Seit 1992 habe die Dienststelle Zugang zur Unterkunft, um die Betroffenen bei Bedarf versorgen zu können. "Wir bekommen aber nicht wirklich alles mit", so Fratzscher. "Wir machen diese Arbeit hier am Münchner Flughafen aus eigenem Antrieb und sind niemandem unterstellt."

Oft würden die Menschen sehr schnell wieder aus der Unterkunft weggebracht, nur in einigen wenigen Fällen dauere es Wochen. Dabei müsse die Bundespolizei überprüfen, ob die Leute überhaupt zurückgenommen werden. Als Beispiel nennt Stefan Fratzscher die Geschichte eines Asylsuchenden aus Iran, der im vergangenen November am Flughafen München ankam und abgeschoben werden sollte - er blieb schließlich bis Mitte Januar. Der Mann sei zum Christentum konvertiert und habe an Weihnachten einen Gottesdienst mit ihnen gefeiert, berichtet der Seelsorger und betont: "Menschen wie er wachsen einem natürlich auch ans Herz."

Schwierig sei es oft, nach Feierabend eine gewisse Distanz zu den tagtäglichen Schicksalen zu gewinnen, wie Stefan Fratzscher aus Erfahrung bestätigen kann. "Manche Geschichten, Schicksale und Notfalleinsätze bewegen mich so sehr, dass ich sie gewissermaßen mit nach Hause nehme." Ein Beispiel: Ein Ehepaar kommt mit dem Flugzeug aus dem Urlaub zurück, ihr Sohn hat sich zu Hause das Leben genommen. Die Polizei bat die Flughafenseelsorger darum, die Todesnachricht möglichst schnell und in einem geschützten Rahmen zu überbringen. "Man kann Situationen wie diese natürlich nicht ganz verdrängen oder abschalten, darf sie gleichzeitig aber auch nicht zu nah an sich heranlassen", betont Stefan Fratzscher. "Im Laufe der Zeit entwickelt man dazu das richtige Verhältnis."

Berührt hat ihn auch die Geschichte eines Syrers, der seit drei Jahren in München lebte und seine Frau und Kinder zu sich nach Deutschland holen konnte. Der Mann sei am Flugzeug abgeholt, zu Passkontrolle und Gepäckausgabe gebracht und die Familie schließlich zusammengeführt worden. Als der Mann aus seinem Heimatland geflohen war, sei das jüngste seiner beiden Kinder noch gar nicht geboren gewesen, während das ältere ihn nicht mehr erkannt habe. "So rührend wie diese Situation auch war, so schrecklich war sie gleichzeitig."

Weitere Informationen gibt es im Internet: www.munich-airport.de/kirchliche-dienste-591635

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