SZ-Serie: Sommerreise übers Land, Folge 2:Hotspot der Kirchen-Geschichte

Die Enghausener bewahren das älteste Monumentalkreuz der Welt und haben damit den Kölnern den Rang abgelaufen. Ihr Christus lockt viele Besucher in das Dorf. Andere kommen, um zu lernen, wie man Brot backt

Von Petra Schnirch, Enghausen

Drei Mal zieht Johann Bauer an den Stricken. Ganz vorsichtig, bis die Glocken kurz anschlagen, auch das gehört zu einer Führung durch die kleine Kirche. "Jetzt wissen die Enghausener, dass Besucher da sind", sagt der 79-Jährige und schaut verschmitzt. Und Besucher kommen seit elf Jahren häufig in die 56 Einwohner zählende Ortschaft nördlich von Mauern. Davon zeugt das Gästebuch, es ist bereits das vierte. Für kunst- und kirchengeschichtlich Interessierte ist das kleine Enghausen zu einem Hotspot geworden, seit klar ist, dass sich dort das älteste Monumentalkreuz überhaupt befindet. "Die Kölner waren nicht recht begeistert", sagt Bauer. Eine Dorfkirche hat ihnen den Rang abgelaufen, denn bis dahin galt das Gerokreuz im Dom als ältestes Exemplar.

"Wir sind schon stolz auf unseren Herrgott", sagt Mesnerin Theresia Hösl, die sich mit Bauer die Führungen teilt. Seit der restaurierte Christus wieder an seinem angestammten Platz seitlich im Altarraum hängt, sichert eine Alarmanlage das Gebäude. Einen Fehlalarm habe es bisher gegeben, erzählt Hösl und lacht - ausgelöst durch einen Frosch. "Da wussten wir, dass sie funktioniert." Wer in die Kirche will, kann sich bei der Mesnerin melden, sie wohnt auf dem Hof gegenüber. Bauer braucht zwei Minuten mit dem Rad. Die Telefonnummern hängen an der Kirchentür.

SZ-Serie: Sommerreise übers Land, Folge 2: Das älteste Monumentalkreuz der Welt ist nicht - wie lange angenommen - das Gerokreuz im Kölner Dom, sondern der Christus in einer kleinen Kirche in Enghausen.

Das älteste Monumentalkreuz der Welt ist nicht - wie lange angenommen - das Gerokreuz im Kölner Dom, sondern der Christus in einer kleinen Kirche in Enghausen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Dass sie so einen Schatz haben, hat die Enghausener selbst überrascht. Obwohl sie das Kruzifix in Ehren hielten, seit die Moosburger es ihnen um das Jahr 1500 herum überlassen hatten - die bevorzugten damals Werke zeitgenössischer Meister wie Hans Leinberger. Vor etwa zwei Jahrzehnten war der Enghausener Christus - er ist stattliche 1,82 Meter groß - jedoch so wurmstichig geworden, dass die damalige Mesnerin befürchtete, Teile könnten von der Wand fallen. Also sammelten die Dorfbewohner für die Restaurierung. Was die Fachleute dann entdeckten, war eine Sensation: Das Kreuz stammte nicht wie angenommen aus der Romanik, sondern ist viel älter. Radiokarbonmessung und Röntgenaufnahmen bestätigten eine Datierung um 890/900, das Kruzifix lässt sich also in die späte Karolingerzeit datieren. In der schlichten, weiß getünchten Kirche hätte man einen solchen Schatz nicht vermutet.

Auch von außen wirkt sie einfach und wenig monumental. Auf dem Rasen davor liegen gepflegte Familiengräber, über die Friedhofsmauer hinweg sieht man auf Wiesen und eine Koppel mit grasenden Ponys. Von der schmalen Dorfstraße aus gesehen liegt das Gotteshaus etwas versteckt in zweiter Reihe hinter den Wirtschaftsgebäuden vom Hof der Familie Hösl.

Bauernhöfe prägen die Ortschaft noch immer, nicht alle aber werden bewirtschaftet. Es gibt zwei Milchviehbetriebe, ein Landwirt betreibt im Nebenerwerb Ackerbau, einer ist Hopfenpflanzer. Die Familie von Johann Bauer hat einen Ponyhof. Trotz des Strukturwandels könnte man meinen, die Zeit sei in Enghausen stehen geblieben. Verkehrslärm - Fehlanzeige. Die schmale Dorfstraße führt mitten durch zwei der Höfe. Zum Mittagsläuten per Hand begibt sich die Mesnerin täglich kurz vor 12 Uhr in die Kirche. Das Wetterläuten soll nahende Unwetter vom Dorf fernhalten. Eine Tradition, die anderswo längst verloren ist.

SZ-Serie: Sommerreise übers Land, Folge 2: Der Ort selbst ist noch heute geprägt von Bauernhöfen, auch wenn die reine Landwirtschaft nicht mehr alle ernährt.

Der Ort selbst ist noch heute geprägt von Bauernhöfen, auch wenn die reine Landwirtschaft nicht mehr alle ernährt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Und doch geht auch Enghausen mit der Zeit. Am Schneiderhäuselberg wird eine Ferienwohnung vermietet und wie in den größeren Ortschaften im Landkreis kommen dort überwiegend Monteure unter, oft aus Osteuropa, die irgendwo im Großraum München auf Baustellen schuften.

Den Zeitgeist getroffen hat offenkundig Sonja Hörmannskirchner. Den mit Geranien geschmückten Wieserhof hat die gelernte Erzieherin in einen "Erlebnisbauernhof" verwandelt. Heutzutage brauche man mehrere Standbeine, sagt die 34-Jährige, von der Milchwirtschaft alleine könne man nicht mehr leben. Ihr Mann Anton, gelernter Landmaschinenmechaniker, arbeitet nebenher als Lohnhäcksler.

Kinder können auf dem Wieserhof erleben, wie samtig sich das Federkleid eines Huhns anfühlt, wie warm das Euter einer Kuh ist und wo die Lebensmittel herkommen. Doch zu Hörmannskirchners Kunden zählen nicht nur kleine Besucher. Inzwischen interessieren sich auch Firmen für das Angebot, wie sie erzählt. Die Mitarbeiter backen Brot, lernen das Käsen und machen dann gemeinsam Brotzeit. Vier bis fünf Gruppen kommen pro Woche auf den Hof, davon ausgenommen sind die Ferien. Da will Sonja Hörmannskirchner Zeit für ihre drei Kinder haben. Dass sie in eine Marktlücke gestoßen ist, hat sie selbst überrascht. Die Nachfrage sei "explodiert", erzählt die zierliche Bäuerin, die schon mehrere Auszeichnungen erhalten hat.

SZ-Serie: Sommerreise übers Land, Folge 2: Sonja Hörmannskirchner betreibt einen Erlebnisbauernhof - und das nicht nur für Kinder.

Sonja Hörmannskirchner betreibt einen Erlebnisbauernhof - und das nicht nur für Kinder.

(Foto: Marco Einfeldt)

Direkt neben dem Backhaus entsteht gerade ein Seminarhaus für Tagungen und Feste, das im Herbst eröffnet wird. Die erste Dorfbewohnerin hat die Räume für ihre Geburtstagsfeier bereits gebucht. Denn ein Wirtshaus gibt es in Enghausen nicht. Auch angemeldete Kirchenbesucher-Gruppen bewirtet Sonja Hörmannskirchner auf Wunsch mit Speck-Käseplatten.

Was sie in Enghausen schätzt? "Den guten Zusammenhalt", sagt sie, "man hilft sich viel", wechsele sich bei Fahrdiensten ab. Außerdem genieße sie die Ruhe. Anfangs sei das etwas ungewohnt gewesen, gibt sie zu. Da habe sie viel telefoniert. Für ihre drei Kinder aber sei das Dorf ein Paradies und biete "sehr große Freiheiten".

Immer wieder nach Enghausen zurückgekehrt ist Martina Weise. Sie hat sich vor der 1200-Jahr-Feier intensiv mit der Geschichte des Dorfes und seiner Höfe befasst, hat in alten Dokumenten im Bayerischen Staatsarchiv in München gestöbert und eine Chronik von Enghausen zusammengestellt, das 808 in einer Schenkungsurkunde als "Ecclesia eginonis" erstmals erwähnt wird. Dass nicht nur das Kreuz, sondern auch Enghausen selbst so alt ist, sehr viel älter als München zum Beispiel, "macht uns stolz", sagt Weise. Und auch sie schwärmt von der Gemeinschaft. Bei runden Geburtstagen gratuliere das ganze Dorf. Zum Kirchen-Patrozinium, dem Höhepunkt des Jahres, kämen auch ehemalige Enghausener gern zurück, erzählt sie.

Zurück zur Kirche. Sie ist nicht übermäßig ausgeschmückt, dennoch erfährt man einiges über die Gemeinde - auch über den "schwarzen Tag von Enghausen", wie Johann Bauer es ausdrückt. Ein alter Zeitungsbericht mit einem Sterbebild hält die Erinnerung an den 27. Februar 1945 wach, als ein getroffener Bomber vier große Bomben abwarf. Die Bäuerin Anna Winbürger starb, mehrere Menschen wurden schwer verletzt, drei Höfe wurden massiv beschädigt. Auch eine Maschinenhalle, in der die Dorfkinder oft spielten, stürzte ein, wie Mesnerin Theresia Hösl erzählt. Doch an diesem Vormittag waren die kleinen Dorfbewohner, darunter der siebenjährige Johann Bauer, glücklicherweise alle im Wald.

Ihrer Hartnäckigkeit und der Unterstützung eines Fürsprechers haben es die Enghausener zu verdanken, dass das Kreuz nach der Restaurierung in die Dorfkirche zurückgekehrt ist - auch im Diözesanmuseum hätte man es gern gesehen. Doch Weihbischof Bernhard Haßlberger habe sich für die Dorfbewohner eingesetzt, schildert die Mesnerin, weil die Enghausener "schon seit 500 Jahren auf das Kreuz aufpassen". Von 2004 bis 2006, als es restauriert wurde, habe es sehr gefehlt, sagt Theresia Hösl. Dargestellt ist Christus übrigens nicht als Sterbender, sondern als würdevoller Mensch, der die Gläubigen mit offenen Augen anblickt. Vielleicht spricht gerade das viele Gläubige an, die ihn um Beistand bitten.

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