SZ-Podiumsdiskussion zum Münchner Flughafenausbau: Wenn Fortschritt dem Recht auf Heimat entgegensteht

"Die Staatsregierung plant etwas, das wirklich menschenverachtend ist": Bei der SZ-Podiumsdiskussion zum Bau einer dritten Startbahn für den Münchner Flughafen kochten die Emotionen hoch. Und insbesondere Oberbürgermeister Christian Ude hatte als Befürworter des Projekts einen schweren Stand.

Peter Fahrenholz, Silke Lode, Petra Schnirch, Kerstin Vogel und Marco Völklein

Die Wut der Startbahngegner schlug dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) so heftig entgegen, dass er sich kaum mehr verständlich machen konnte. Denn unmissverständlich machte er den Menschen während der Podiumsdiskussion der Süddeutschen Zeitung klar, dass er beim Ausbau des Flughafens auf Einzelschicksale keine Rücksicht nehmen werde.

Ude kandidiert - falls nicht 'noch eine Bombe platzt'

Oberbürgermeister Christian Ude ist für den Ausbau der dritten Startbahn am Münchner Flughafen.

(Foto: dapd)

Vor dem Hintergrund der drohenden Absiedlung von Teilen des Freisinger Stadtteils Attaching sagte er, in den vergangenen Jahrzehnten seien in Deutschland Millionen Menschen wegen des Strukturwandels gezwungen gewesen umzuziehen. "Die Politik kann nicht das Versprechen machen, dass jeder zeit seines Lebens an seinem Heimatort leben kann", sagte er im Hörsaal 14 des Wissenschaftszentrums Weihenstephan.

Es wurde eine emotionale, teilweise hitzige Veranstaltung, die natürlich auch unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklung stand: das erst am Freitag angekündigte Bürgerbegehren von Münchens Grünen gegen die Startbahn; das Ratsbegehren der Münchner CSU dafür.

Besonders heiß diskutiert wurde die Frage, wie viel Wachstum verträglich sei. Flughafenchef Michael Kerkloh betonte, dass der Standort an Attraktivität verlieren würde, wenn er sich nicht entwickeln könne. Mit den zwei Bahnen stoße der Flughafen an seine Kapazitätsgrenzen. Ude ergänzte, dass Bayern auf einen Wachstumsmotor nicht verzichten dürfe.

Der Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Magerl widersprach vehement: Es gebe keine Notwendigkeit für den geplanten Ausbau, die Zahl der Flugbewegungen werde zum Jahresende unter den Zahlen des Jahres 2006 liegen. Und verwies auf Frankfurt, wo auf zwei Bahnen deutlich mehr Flugbewegungen abgewickelt worden seien.

Den Nerv der etwa 600 Zuhörer im Saal traf Hartmut Binner, Sprecher des Bündnisses "Aufgemuckt": "Die Staatsregierung plant etwas, das wirklich menschenverachtend ist", erklärte er leidenschaftlich. "Das ist bedingt vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge." Zudem habe Finanzminister Georg Fahrenschon selbst inzwischen Kosten von 1,2 Milliarden Euro eingeräumt - "und das werden wir den Münchnern sagen, dass sie mit ihrem Stadtsäckel ein erhebliches Kostenrisiko eingehen".

Lokomotiven für Bayern

Ude hielt dagegen, bei schärfer werdendem Standortwettbewerb sei es entscheidend, ob man auf Seiten der Gewinner oder der Verlierer stehe - "mit allen Schattenseiten des Wachstums". Nicht überall in Bayern sei die Lage derart gut wie im Großraum München. "Bayern braucht Lokomotiven, selbst wenn es in der Lokomotive mal zu heiß oder zu laut wird", sagte er. Eingangs hatte er aber versichert, dass er das Ergebnis eines Bürgerentscheides auch akzeptieren werde, wenn es ein "Nein" zur Startbahn beinhalte. Finanzminister Fahrenschon nannte die angekündigte Entscheidung durch die Münchner Bürger "eine wichtige Chance, das Thema noch einmal von allen Seiten zu beleuchten".

Mit dem Bürgerbegehren wollen die Münchner Grünen Einfluss nehmen auf das Mitspracherecht der Stadt als Gesellschafterin des Flughafens. Die Fragestellung zielt darauf ab, Ude zu beauftragen, in der Gesellschafterversammlung gegen einen Baubeschluss für die dritte Startbahn zu stimmen.

Ude, der den Ausbau befürwortet und ein Ja der bayerischen SPD zur Bedingung für seine Spitzenkandidatur für die Landtagswahl gemacht hatte, zeigte sich geradezu erfreut über den Vorstoß der Grünen. "Das kommt mir sehr gelegen", sagte der OB der Süddeutschen Zeitung.

Denn wenn die Befürworter ein Bürgerbegehren in München initiiert hätten, wäre dies von den betroffenen Anwohnern mit Sicherheit als anmaßend empfunden worden, glaubt Ude. Jetzt könne offen über Pro und Kontra einer dritten Startbahn diskutiert werden.

Keine Tricks beim Bürgerentscheid

Wenn die Stadt mit Nein stimmen müsste, würde dies das Aus für die dritte Startbahn bedeuten. Ude machte klar, dass für ihn ein Bürgerentscheid auch nach Ablauf der rechtlichen Bindungswirkung "moralisch bindend" bleibe, die Stadt also auch später nicht versuchen würde, die Sache wieder umzudrehen. "Da wird nicht getrickst", sagte Ude. Er rechne damit, dass die Unterschriften für ein Begehren noch dieses Jahr gesammelt werden. Die CSU kündigte indes ein Ratsbegehren "Pro dritte Startbahn" an. Falls sich dafür eine Mehrheit im Stadtrat findet, wird auf diesem Weg ebenfalls ein Bürgerentscheid angestoßen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sich die SPD diesem Vorhaben anschließen wird.

Grünen-Stadtchefin Katharina Schulze erläuterte am Freitag, dass die Stadt zwar nur einen Anteil von 23 Prozent an der Flughafen München GmbH (FMG) hält. "Aber der Gesellschafter-Beschluss muss einstimmig fallen", sagte Schulze. Am 20. Oktober werden die Grünen offiziell über die Einleitung des Begehrens entscheiden. Anders als beim Ratsbegehren müssen die Grünen etwa 30.000 Unterschriften sammeln, bevor die Bürger zur Abstimmung gebeten werden. Gelingt dies, entscheidet der Stadtrat binnen eines Monats über die Zulässigkeit. Danach müsste der Bürgerentscheid innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden.

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