SZ-Interview:Schnelligkeit ist ihr Markenzeichen

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Stephan Zobel war vor zehn Jahren eines der zwölf Gründungsmitglieder der Hilfsorganisation Navis. Jetzt zählt der Verein 400 Mitglieder und rückt mit Technikern, Logistikern und Ärzten weltweit aus

Interview von Gudrun Regelein, Moosburg

Einige Gäste haben kürzlich bei der Zehn-Jahres-Feier der Hilfsorganisation Navis gefehlt. Feuerwehrleute und der Leiter des Technischen Hilfswerks wurden nach München gerufen, wo der Attentäter im Olympia-Einkaufszentrum um sich schoss. Absagen konnte und wollte man den Festakt aber nicht mehr, wie Stephan Zobel sagt. "Es hat uns berührt. Aber es wäre dadurch auch nicht besser geworden", ist der zweite Vorsitzende von Navis überzeugt. Den Umgang mit Katastrophen ist er gewohnt. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung berichtet der Mann der ersten Stunde von der Vereinsgründung, von den Einsätzen - und weshalb er sofort wieder zu einer Hilfsaktion starten würde.

SZ: Herr Zobel, prägt Navis Ihr Leben?

Stephan Zobel: Prägen ist mir etwas zu hoch gegriffen - aber Navis gehört durchaus zu meinem Leben dazu.

Sie waren dabei, als 2004 nach dem verheerenden Tsunami in Südostasien aus den Reihen der Münchner Flughafenfeuerwehr Navis gegründet wurde. Wie war das damals?

Als wir von dem Tsunami erfuhren, entstand sehr bald das Bedürfnis, etwas zu tun. Zwei Tage später startete die erste Hilfsaktion, auch ich war im ersten Flieger nach Sri Lanka, danach noch bei zwei weiteren Einsätzen. Am letzten Abend vor der Abreise standen wir auf der Terrasse und haben auf's Meer geschaut - und waren der Meinung, wir sollten weitermachen. Es wäre schade gewesen, die gesammelten Erfahrungen nicht zu nutzen. So entstand die Idee zu Navis. Der Flughafen teilte uns aber verständlicherweise mit, dass eine Hilfsorganisation nicht seine Aufgabe sei. Deshalb riefen wir - damals zu zwölft - den Verein ins Leben, ohne zu wissen, was es bedeutet, einen Verein zu gründen.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich Navis weiterentwickelt, inzwischen gibt es über 400 Mitglieder. Laufen die Hilfsaktionen anders - oder professioneller?

Wir sind aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Natürlich haben wir mit jedem Einsatz gelernt und agieren hoch professionell - obwohl wir alle ehrenamtlich tätig sind. Das liegt mit daran, dass unsere freiwilligen Helfer Aufgaben übernehmen, für die sie ausgebildet sind. Ärzte arbeiten als Ärzte, Logistiker als Logistiker.

Wie hilft Navis?

Das ist vom Lagebild abhängig und vom Schwerpunkt des Einsatzes - also ob es um Trinkwasseraufbereitung geht oder medizinische Hilfe. Oft sind die Übergänge fließend oder Einsätze verändern sich im Laufe der Zeit. Wichtig für uns ist die schnelle Hilfe. Das bedeutet, dass unsere Teams sehr bald starten. Da wir relativ klein sind, können wir das unglaublich schnell - und schließen damit eine Lücke. Denn die großen Organisationen brauchen länger, bis sie loslegen, sind dann aber stark und in der Lage, langfristig zu arbeiten.

Bei wie vielen Einsätzen waren Sie dabei?

Bei fast allen: Sri Lanka, also noch vor der Gründung von Navis, Haiti, Pakistan, Deggendorf und Nepal. Bei den Philippinen hatte ich die Einsatzleitung zu Hause und bei dem jüngsten Einsatz in Sri Lanka auch wieder.

Entwickelt man Routine - oder ist jeder Einsatz aufs Neue aufreibend?

Natürlich wird man im Laufe der Zeit routinierter. Wenn man ein Zelt zehn Mal aufbaut, wird man schneller. Dennoch ist jeder Einsatz unterschiedlich, hat sein eigenes Gesicht - zu viel Routine ist übrigens auch nicht gut.

Sie erleben Elend, Tod, Verwüstung: muss man eine gewisse Distanz entwickeln, um helfen zu können?

Ja, unbedingt. Man muss lernen, Abstand zu wahren, muss sich ein gewisses Fell zulegen. Ich persönlich kann mit den Erlebnissen umgehen. Aber natürlich nimmt man auch etwas mit nach Hause, das einen als Mensch in seiner Entwicklung beeinflusst.

Weshalb macht man das immer wieder?

Weil man weiß, was man bewirken kann. Wie viel man mit einer Handvoll Menschen helfen kann. Es gibt einem auch viel, berührt einen, man erfährt viel Dankbarkeit. Ein Außenstehender kann das wahrscheinlich gar nicht verstehen.

Aber ein Helfersyndrom haben Sie nicht?

Ich mag das Wort nicht. Man muss eine gewisse Grundeinstellung, wahrscheinlich sogar einen Knall haben, um immer wieder in Katastrophengebiete zu fliegen. Alles ehrenamtlich, viele opfern dafür sogar ihren Urlaub. Wenn es soweit ist, sitze ich aber sofort wieder im Flieger.

Was sagen Ihre Familie, Ihre Freunde dazu? Die Einsätze sind ja jedesmal eine Reise ins Ungewisse.

Meine Familie ist damit aufgewachsen. Ich kann nicht anders. Aber es handelt sich um ein kalkulierbares Risiko - es gibt keinen Grund, groß Angst zu haben.

Hat sich durch Ihr Engagement bei Navis Ihr eigenes Leben verändert?

Die Frage kann ich nicht beantworten. Wahrscheinlich ist es so, dass einen Dinge zu Hause, wie eine quietschende Tür, ein oder zwei Wochen nicht nerven, weil man es gelassener nimmt. Man ist dann aber sehr schnell in der Realität zurück - und dann nervt einen die Tür doch wieder.

Wie kommen Sie nach Einsätzen wieder runter? Wie schnell finden Sie in Ihr normales Leben zurück?

Eigentlich schnell, nach zwei, drei Tagen. Ich muss mich ausschlafen und ordentlich essen, dann geht es wieder. Man muss die Zeitumstellung und zum Teil extreme klimatische Veränderungen verarbeiten, hat nach zwei Wochen Dauerstress Muskel- und Knochenschmerzen - ist dann aber erstaunlich schnell wieder in der Spur.

Die Unterstützung für Navis im Landkreis ist sehr groß. Haben Sie dennoch einen Wunsch?

Ich würde mir wünschen, dass die Spendenbereitschaft so bleibt, wie sie ist. Und dass toleriert wird, dass wir unabhängig von der Person unter dem Gesichtspunkt der Humanität Hilfe leisten.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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