Stadträte testen Fahrgeschäfte und Schießbuden:Ungewöhnliche Koalitionen

Stadträte testen Fahrgeschäfte und Schießbuden: Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher und seine Frau Nergiz testen das Kettenkarussell.

Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher und seine Frau Nergiz testen das Kettenkarussell.

(Foto: Marco Einfeldt)

Beim traditionellen Volksfestrundgang geht es zu wie bei einem Klassentreffen. Die Politik wird für einige Stunden ausgeklammert - und so dürfen Schwarze den Grünen hier schon mal Schützenhilfe geben.

Von Maximilian Gerl, Freising

Die Fahrgeschäfte blinken und strahlen, aber noch ist es zu hell für ihre Lichtshows. Musik schallt aus zahlreichen Boxen. Die lockere Atmosphäre erinnert an ein Klassentreffen. Ein kleines Grüppchen steht schon vor dem Festzelt beisammen, ratscht, begrüßt jeden Neuankömmling mit großem Hallo.

Erste Frotzeleien fallen. Alles scheint wie früher, alles scheint wie immer zu sein. Endlich ist die Gruppe komplett. Viele sind dieses Jahr gekommen, inklusive Familienanhang stehen über zwanzig Leute beieinander. Jemand übernimmt das Kommando. Die Gruppe setzt sich langsam in Bewegung, weiterhin ratschend und lachend. Der Freisinger Stadtrat bricht auf zu seinem Volksfestrundgang.

Dieser Rundgang hat inzwischen ähnlich viel Tradition wie das Freisinger Volksfest selbst. Man kann im Grunde die Uhr danach stellen. Denn jedes Jahr am ersten Volksfest-Samstag unternehmen die Stadträte eine gemeinsame Inspektion des Platzes, stets treffen sie sich am späten Nachmittag vor dem Festzelt. Die Politik muss dabei im Rathaus bleiben. Klassentreffen halt.

Wie immer hat der ewige Volksfestmanager Erich Bröckl einen Luftballon mitgebracht, diesmal in Form eines roten Marienkäfers. Er dient als Orientierungshilfe. "Damit wir wissen, wo wir sind", erklärt Bürgermeisterin Eva Bönig, die sofort die verantwortungsvolle Aufgabe des Luftballonhaltens übernimmt. Die Gruppe soll schließlich zusammenbleiben.

Motto-Tage: Stadt lädt die Senioren ein

Jeder Tag steht während der Volksfestzeit wieder unter einem bestimmten Motto. Für alle Freisinger, die 70 oder älter sind, lohnt sich der Besuch an diesem Montag ganz besonders. Die Stadt lädt sie von 13 bis 17 Uhr zum "Tag der Seniorinnen und Senioren" ein, dazu spielt die Stadtkapelle. Abends feiern dann die, die noch im Berufsleben stehen beim "Tag der Geschäftswelt" in Festzelt und Weinhalle. Die Geschäftsleute nutzen die Gelegenheit gern, um sich mal wieder auszutauschen - und natürlich um Spaß zu haben. In der Weinhalle steigt von 20 Uhr an zudem eine "Single-Party". Am Dienstag beginnt um 16 Uhr der "große Behörden-Nachmittag" für geladene Gäste. Abends gibt es im Festzelt und in der Weinhalle ein "Treffen der Vereine und Hilfsorganisationen". Und ja, der Eindruck trügt nicht, die Dirndl- und Lederhosenträger sind noch zahlreicher als sonst: Um 20 Uhr beginnt in der Weinhalle die "Nacht der Tracht". psc

Unter den wachsamen Augen des Marienkäfers geht es in sehr gemütlichem Tempo vorwärts. Offenbar sind die Stadträte dieses Jahr gewillt, kein einziges Fahrgeschäft auszulassen. Beim Schützenstand Steininger Alm testen die Ersten gleich ihre Treffsicherheit.

Spontan bilden sich politisch ungewöhnliche Koalitionen. So gibt Peter Geiger von der CSU seiner Kollegin Birgit Mooser-Niefanger von den Grünen Schießtipps, hilft gar beim Nachladen. Mooser-Niefanger kann es anscheinend selbst nicht ganz glauben. "Wenn Grüne von Schwarzen das Schießen lernen", sagt sie und lacht.

Ein paar Meter weiter wird es nass. OB Tobias Eschenbacher, Reinhard Fiedler, Karl-Heinz Freitag und Peter Geiger drängen in die Wildwasserbahn. In Baumstämmen sitzend werden sie zuerst ein paar Meter in die Höhe gezogen, dann sausen sie eine Rutsche hinunter. Unten spritzt es gewaltig. "Gut schaugts aus", kommentiert Bönig diesen Ausflug trocken, als die vier wieder vor ihr und dem Marienkäfer stehen. Zur Entspannung gibt es eine Runde Kettenkarussell.

Beim anschließenden Kamelrennen versuchen die Stadträte, sich als Freisings bester Kameltreiber zu profilieren, was aber nicht allen gelingt. Kulturreferent Hubert Hierl etwa muss sich abgeschlagen mit dem letzten Platz zufrieden geben. Er nimmt die Niederlage sportlich: "Das hat mit Kultur ja nix zu tun", sagt er.

Ohnehin werden alle Kameltreiber bei der folgenden Fahrt im Schnee-Circus gleichermaßen durchgerüttelt. Gefühlte zwei Stunden hält der Schausteller sie in den im Kreis rasenden Wagen gefangen, bevor er sie auf wackeligen Beinen in die Freiheit entlässt. Eschenbacher wirkt zum ersten Mal leicht angeschlagen. "Das ist das Blöde: Wenn ich dabei bin, dauert die Fahrt doppelt so lang", sagt er. Das Amt des Oberbürgermeisters kann eben manchmal auch eine Bürde sein.

Danach geht es hoch hinaus im Riesenrad und für alle Wagemutigen ins Amazonas. Dort lauern Wasserfontänen, Hängebrücken und ein rotierender Tunnel. Zur Entspannung gibt es dann eine Runde Karussell, diesmal auf der Kinderbahn: Rudi Schwaiger wählt den pinken Partybus, Freitag und Sebastian Habermeyer nehmen das blaue Polizeicabrio.

Ganz zum Schluss fehlt nur noch - natürlich - "Hau den Lukas". Die Paradedisziplin von Freitag, der im vergangenen Jahr wissen ließ, sein Rekord liege bei 44 Schlägen. An diesem Samstag gibt er sich allerdings mit deutlich weniger zufrieden. Zehnmal holt Freitag aus, zehnmal bimmelt die Glocke. "Angeber", ruft jemand aus dem Publikum anerkennend. Gelächter. Mit dieser letzten Übung ist für die Stadträte endlich der Weg ins Festzelt frei. Zum Glück, selbst Bröckls Marienkäfer geht langsam die Luft aus.

Im Zelt tanzen viele junge Besucher bereits auf den Tischen, draußen wird es dunkel. Im Schwarz der Nacht blinken und strahlen die Fahrgeschäfte jetzt um die Wette. Das Klassentreffen ist vorbei - schon am nächsten Tag regiert wieder die Politik.

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