Serie: "Vater, Mutter, Firma":Mit Impulsen von außen

Die Sahlberg GmbH ist einer der größten Anbieter von Arbeitsschutz-Ausrüstungen in Europa. Damit das so bleibt, bricht der Firmenchef mit einer Tradition

Von Gudrun Passarge, Feldkirchen

Ein Polaroid-Foto von 1997 ist der Beweis. Zu sehen ist darauf ein Flipchart, auf dem alles zur Firmenübernahme geregelt ist. Wer wann kommt, wer wann geht, wer welche Funktion hat, wie Vater und Sohn miteinander umgehen. Es hat funktioniert, Peter Sahlberg hat sich 2002 aus dem Familienbetrieb zurückgezogen, sein Sohn Mathias hat als alleiniger Gesellschafter übernommen. Damit war er Chef eines Unternehmens, das sich als "Multispezialist für technische Produkte, Arbeitsschutz und Betriebseinrichtungen" bezeichnet. Chef in vierter Generation, der sich den Schritt gut überlegt hatte. Dass er überhaupt überlegen durfte, war schon eine Besonderheit: "Ich war der Erste, der sich entscheiden durfte."

Angefangen hat alles mit Gummi vor gut 100 Jahren. Der Urgroßvater des heutigen Firmenchefs machte sich 1907 selbständig mit einem Laden im Hof der Nieserstraße nahe dem Viktualienmarkt. Vorne verkaufte seine Frau Delikatessen, hinten hatte er alles für den täglichen Bedarf parat, von Schläuchen bis zum Sanitärbedarf. Schläuche spielen auch heute noch eine Rolle in dem Unternehmen, das mittlerweile 220 Mitarbeiter an Standorten in Feldkirchen, Heimstetten und in Nürnberg beschäftigt. Im Lager liegen sie in allen Variationen: blaue, schwarze, gelbe, dicke, dünne, geriffelte. Der Einsatz ist vielfältig. Mal fließt einfach Wasser durch, mal Bier, mal sind es Gefahrenstoffe, Abgase oder aber Späne, die abgesaugt werden. Die Firma berate die Kunden, welcher Schlauch aus welchem Material zur Anlage passe, damit Anforderungen wie etwa Hygiene und Sicherheit erfüllt seien, sagt Sahlberg. Ein Schlauch bei einem Lebensmittelhersteller etwa muss gewährleisten, dass nirgends etwas hängen bleibt, auch nicht an den Anschlüssen. Ist die Wahl getroffen, wird eine maßgeschneiderte Lösung eingebaut und auch gewartet, Sicherheitsüberprüfung inklusive. "Wir haben Leute, die sehr viel vom Thema Schlauch verstehen", erzählt der 50-jährige Geschäftsführer, der sich erinnert, als Kind mit dem Geruch von Gummi aufgewachsen zu sein. Er sagt, es sei Fingerspitzengefühl nötig beim Umgang mit den Schläuchen und dann spricht er von der "Seele des Schlauchs", also der innersten Schicht, die verletzt worden sein könnte, was wiederum ein Mitarbeiter dank endoskopischer Untersuchungsmethoden herausfinden kann.

Serie: "Vater, Mutter, Firma": Auf Paletten werden Kunststoffplatten, Schläuche und diverse technische Produkte gelagert. Teilweise produziert das Unternehmen auch selbst.

Auf Paletten werden Kunststoffplatten, Schläuche und diverse technische Produkte gelagert. Teilweise produziert das Unternehmen auch selbst.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Tatsächlich soll es heute sogar noch einzelne Mitarbeiter geben, die die Zusammensetzung des Gummis anhand des Geruchs erkennen können. Doch Sahlberg auf Gummi und Schläuche zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. Der Firmenchef bezeichnet das Unternehmen als einen der größten europäischen Anbieter von technischen Produkten und Arbeitsschutz-Ausrüstungen. Das Bild vom Bauchladen drängt sich auf bei einem Sortiment von etwa 120 000 unterschiedlichen Artikeln. Arbeitshandschuhe aus Rindsleder liegen genauso in den Lagerregalen wie eine hochmoderne Atemschutz-Ausrüstung für die Feuerwehr. Sahlberg verkauft an Handwerksbetriebe und Industrie, Bestellungen sind rund um die Uhr möglich. Und das Unternehmen produziert teils auch selbst. In der Halle stehen zum Beispiel große Maschinen, die passgenaue Dichtungen schneiden. "Unsere Funktion ist eine Bündelungsleistung", sagt der Chef. Die Geschäftspartner seien froh, wenn sie es nur mit wenigen Ansprechpartnern zu tun hätten.

Das gilt für jedes Detail: für besondere Klebeverfahren, spezielle Dichtrahmen, Lampengehäuse, die in Magnetresonanztomografen zum Einsatz kommen, oder auch für die elastische Lagerung eines Blockheizkraftwerks. Sahlberg führt durch das Lager des Fluid- und Polymer-Centers in Heimstetten und zeigt auf die unterschiedlichen Farben der Matten aus Polyetherurethanschaum. Die Farben sind ein Hinweis auf unterschiedliche Härtegrade. Das Thema hier ist Schwingungsdämmung. "Wir können damit ganze Räume oder ein ganzes Gebäude entschwingen", sagt Sahlberg. Das kann nötig sein, wenn etwa eine U-Bahn die Umgebung erzittern lässt. Die Firma hat auch Lösungen für Aufzüge, Ventilatoren und Messapparaturen im Angebot.

Serie: "Vater, Mutter, Firma": Sein Urgroßvater eröffnete 1907 seine eigene Gummiwarenhandlung. Jetzt leitet Mathias Sahlberg den Betrieb in vierter Generation.

Sein Urgroßvater eröffnete 1907 seine eigene Gummiwarenhandlung. Jetzt leitet Mathias Sahlberg den Betrieb in vierter Generation.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sahlberg kennt seine Firma bis zur letzten Schraube. Die gewachsene Verbindung ist gut zu spüren. Und trotzdem, so sagt er, habe er sich die Entscheidung, ob er das Familienunternehmen weiterführt, sehr genau überlegt: "Ich sehe durchaus die Ambivalenz. Da sind starke Wurzeln, Tradition, Kraft, auch spannende Themen. Aber es sind eben auch Erwartungen damit verbunden und gewisse Verpflichtungen." Aus heutiger Sicht ist der promovierte Betriebswirt froh, sein Berufsleben nicht im elterlichen Betrieb begonnen zu haben. Nach dem Studium war er bei Freudenberg, einem großen Familienunternehmen in Weinheim, für den Bereich Vliesstoffe zuständig. "Ich habe den Entscheidungsprozess von ganz oben an der Spitze genauso wie in der Projektebene mitbekommen. Diese Erfahrungen kommen mir heute noch zugute."

Bis 2014 war Mathias Sahlberg alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer. 2015 hat sich für ihn einiges verändert. Er hat Bernd Quade als Geschäftsführer und Mitgesellschafter in den Betrieb geholt - ein Novum für den Familienbetrieb, der 2007 sein 100-jähriges Bestehen feierte. Quade leitet das operative Tagesgeschäft, er selbst wird sich um die strategische Weiterentwicklung kümmern, um Zukunftsthemen und Wachstumsmöglichkeiten. Sahlberg erklärt, er habe den Eindruck gehabt, es sei gut, Impulse von außen zu bekommen. Quade kennt er schon seit vielen Jahren aus einem Unternehmerkreis, "da war schon eine Vertrauensbasis da".

Firmenhistorie

Der Urgroßvater kannte sich aus mit Gummi. Wilhelm Sahlberg eröffnete 1907 mit zwei Mitarbeitern seine eigene Gummiwarenhandlung in der Münchner Nieserstraße. 1930 übernehmen seine Kinder Oskar und Hildegard das Geschäft. Sie vertreiben Installationsmaterial und technische Gummiprodukte. 1954 beziehen sie das erste eigene Geschäftshaus in der Blumenstraße 17 in München. 1961 fängt mit Peter Sahlberg die dritte Generation im Unternehmen an. Er holt den ersten Maschinenbauingenieur in den Betrieb. Unter anderem liefert Sahlberg Teile für die Gleisbettung der neuen U-Bahn, die 1972 gebaut wird, sowie Teile für das Dach des Olympiastadions. Außerdem kommen Kunststofffertigteile neu ins Sortiment, 1994 wird das Geschäft mit Spezialschläuchen aufgebaut. 2002 übernimmt Mathias Sahlberg die Leitung. Neu sind Komplettlösungen für Industriebetriebe. 2006 kommt die eigene Fertigung in Heimstetten hinzu. Der Betrieb legt unter seiner Ägide großen Wert auf Ausbildung. Etwa zehn Prozent der Belegschaft sind Auszubildende. Der Betrieb arbeitet eng mit der Initiative "Joblinge" zusammen und gibt auch gering qualifizierten Jugendlichen eine Chance. 2014/2015 steigt Bernd Quade als erstes Nichtfamilienmitglied in die Firma ein. pa

Für Quade, der aus einem Start-up-Unternehmen kommt, war es eine Umstellung. Der 50-Jährige berichtet von der großen Herausforderung, in dem Familienunternehmen zu arbeiten. Natürlich habe er anfangs Bedenken gehabt, wie ihn die Mitarbeiter akzeptieren. Seine Aufgabe sei es nun, seit Jahren gewachsene Strukturen zu modernisieren und zu optimieren und dabei die Mitarbeiter dort abzuholen, wo sie stehen, "aber nicht mit der Holzhammermethode". Noch ist die neue Struktur zu frisch, um Bilanz zu ziehen, aber Sahlberg lehnt sich entspannt zurück. "Ich versuche jetzt losgelöst vom Druck mit etwas mehr Ruhe die Zukunftsplanung zu machen", sagt er.

Also die Vorbereitungen für die fünfte Generation? Sahlberg, der mit seiner Frau und den vier Kindern in München lebt, erzählt, seine älteste Tochter, 19, habe tatsächlich schon ein Praktikum in der Firma gemacht und studiere jetzt Betriebswirtschaft. Der Vater schmunzelt. "Wobei ich ihr davon abgeraten habe . . ." Stattdessen habe er ihr ein naturwissenschaftliches Studium empfohlen. An die Nachfolgeregelung mag der Hauptgesellschafter noch nicht denken. Bei seinen Kindern jedenfalls habe er "versucht, dass sie sich möglichst unbelastet von irgendwelchen Erwartungen entwickeln".

Aber wer weiß? Vielleicht wird es irgendwann in der Zukunft wieder ein Foto mit Verhaltensregeln und Zielen geben, diesmal wohl eher auf dem Smartphone.

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