Sea-Eye:Wenn Retter in Seenot geraten

Sebastian Keller

Sein Einsatz als Kapitän auf der "Sea-Eye" war wohl nicht der letzte: Der Moosburger Sebastian Keller will aktiver Seenotretter bleiben.

(Foto: Lukas Barth)

Als Kapitän der Sea-Eye fährt der Moosburger Sebastian Keller einen Einsatz, um Flüchtlinge vor der libyschen Küste zu retten. Dann geht das Schiff kaputt.

Von Clara Lipkowski, Moosburg

Am Anfang sind es nur kleine schwarze Punkte am Horizont, die der Moosburger Sebastian Keller und seine Crew an Bord der Sea-Eye frühmorgens auf dem Mittelmeer entdecken. Knapp 20 Meilen sind sie von der libyschen Küste entfernt. Beim Blick durch das Fernglas wird klar: Dort treiben drei Gummiboote. Voll beladen mit Menschen. Der Treibstoff der Boote ist längst verbraucht. Die Insassen hoffen auf die ideale Windrichtung. Ihr Ziel: Norden. Hauptsache weg aus Libyen, wo sie an Bord gegangen sind, möglichst nach Sizilien, Europa, wo das Leben viel besser zu sein scheint. All das erfährt Keller erst später, da ist die Rettungsaktion schon gelaufen.

Sebastian Keller, 63, ist eigentlich Regierungsrat im bayerischen Wirtschaftsministerium und war viele Jahre Kreisbrandmeister. Im vergangenen Jahr beschloss er zu helfen. Er wurde Skipper auf der Sea-Eye, welche die gleichnamige Hilfsorganisation von einem Fischkutter zu einem Rettungsschiff umfunktioniert hatte. Die Mission ist seine erste, von Ende Mai bis Anfang Juni. Er ist der Kapitän an Bord, unter den neun weiteren Crewmitgliedern sind ein Arzt, ein Maschinist und Wachgängerinnen. Ziel ist nicht, die Flüchtlinge zu transportieren, sondern Ersthilfe zu leisten, wenn jemand verletzt oder dehydriert ist. An Bord sind etwa 1000 Schwimmwesten und eine eigene Krankenstation.

Nach zwei Tagen der erste Einsatz: Ein anderes Rettungsschiff ruft die Sea-Eye zu Hilfe. "Aber dann entdecken wir selbst Gummiboote", erzählt Keller, "da können wir ja denen nicht mehr helfen." Jetzt muss alles schnell gehen: Die Crew informiert die Seenotleitstelle MRCC Rom per Funk und nähert sich den Schlauchbooten. Aus ein paar Hundert Metern Entfernung fahren auf einem Beiboot drei Helfer zu den Geflüchteten und versorgen sie mit Schwimmwesten und Wasser. Keller, der Kapitän, verlässt das Schiff nicht.

Kurz darauf entdecken sie das nächste Boot. Am Ende des Tages haben sie 490 Menschen versorgt. "Die waren seit etwa drei Uhr morgens unterwegs, daher waren sie noch stabil, die Boote noch weitgehend intakt", sagt Keller. "Sie hätten schon noch eine Zeit lang durchgehalten." Er geht praktisch an den Einsatz heran, emotionslos aber nicht. Vorab war die Crew in einem Briefing auf das Schlimmste vorbereitet worden: Es könne sein, dass man Leichen sieht, Schwerverletzte. "Zum Glück wurden wir davon verschont."

Die Crew nimmt an diesem 25. Mai 25 Menschen an Bord: Schwangere, zwei Frauen mit Kleinkindern und zwei, die Krampfanfälle haben. Außerdem die Ehemänner, um bei der späteren Verteilung Chaos zu vermeiden. Während die Frauen behandelt werden, erzählen sie ein bisschen, auf Englisch, Französisch, sie sind aus Äthiopien und Zentralafrika. "Eine Frau hatte ihre Tabletten nicht mehr, daher die epileptischen Anfälle." Was macht das mit einem, so ein Einsatz? "Da kommst du nicht zum Nachdenken", sagt Keller, "du arbeitest einfach. Wie bei der Feuerwehr."

Am späten Abend werden die Flüchtlinge von der Küstenwache abgeholt. Es bleibt der einzige Einsatz der Crew. Kurz danach muss sie vorzeitig zurück zum Hafen von Valletta - das Schiff ist nahezu kaputt. Schon vor der Mission waren zwei Tage für Reparaturen draufgegangen. Unterwegs dann der Schreck: "Bei einer Maschinenraumkontrolle merken wir: Alles steht unter Wasser", sagt Keller. Kühlwasser tritt aus. Der Motor läuft noch, aber der Strom droht auszufallen. "Dann hätten wir keinen Radar gehabt, keine Navigation." Nach nur vier Tagen müssen sie zurück.

"Man muss sich wirklich überlegen, ob so alte Technik nützt." Trotzdem will er aktiver Seenotretter bleiben, bald als Rentner. Weht ihm Kritik entgegen, Hilfsschiffe wie seines könnten Menschen zur Flucht animieren, winkt er ab: "Sie fliehen so oder so." Die Not sei einfach zu groß. Noch auf See erfährt er, dass am Tag der Rettung 16 Boote aus Libyen auf dem Meer trieben. Auf jedem mehr als 100 Menschen.

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