Braukultur in Freising:Vom Rausch zum Genuss

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130 Mitarbeiter erforschen am Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie des Wissenschaftszentrums Weihenstephan die Vielfalt der Geschmacksaromen im Bier. Statt Masse ist heute Klasse gefragt

Von Katharina Aurich, Freising

Bier ist nicht gleich Bier, ganz im Gegenteil, das traditionelle Getränk steckt voller Überraschungen. "Vom Rausch zum Genuss" könnte man die Tendenz in der aktuellen Bierforschung bezeichnen. Im "Oxford der Brauwissenschaften", wie der Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie des Wissenschaftszentrums Weihenstephan der TU-München gerne genannt wird, erforschen 100 Mitarbeiter aus 16 Nationen sowie 30 studentische Hilfskräfte die Vielfalt, die im Gerstensaft steckt. Voller Experimentierfreude wird ausprobiert, welche Geschmacksaromen sich in der Würzpfanne der Forschungsbrauerei entwickeln und was im Gärtank passiert. Die Forschungseinrichtung auf dem Weihenstephaner Berg bietet Hochtechnologie auf kleinstem Raum, auf nur 300 Quadratmetern experimentieren nicht nur Wissenschaftler, sondern natürlich lernen hier auch die Studierenden die gängigen Brauverfahren.

Das Image des Bieres verändert sich, getrunken werden die neuen Kreationen häufig nicht mehr aus einem Maßkrug, sondern aus einem Kelch - Genuss vor Masse. "Wir wollen den Rückgang des Bierkonsums stoppen und beispielsweise auch Frauen als Bierliebhaberinnen gewinnen", beschreibt Professor Thomas Becker. Natürlich werde auch in Zukunft das Reinheitsgebot erfüllt, es biete einen großen Spielraum für neue Geschmacksrichtungen, ist er überzeugt.

Für die Brauerei Weihenstephan entwickeln die Forscher Spezialbiere, sogenannte Craft-Biere mit vielfältigen, überraschenden, blumig-fruchtigen oder herb-malzigen Aromen. "Wir wollen die Geschmacks - und Aromabreite und die Möglichkeiten des Brauprozesses voll ausschöpfen", so Becker. Der Alkohol werde variiert, vollmundige Biere mit einem höheren Gehalt entstehen, denn im Alkohol lösten sich die Aromastoffe leichter. Aber es gebe auch spannende Biere mit wenig oder gar keinem Alkoholgehalt. Diese vielfältigen Biersorten fänden in Deutschland wieder mehr Beachtung, freut sich Becker.

Ein schöner Nebeneffekt der Kooperation der TU mit der Staatsbrauerei Weihenstephan sei, dass die Biere, die in der Forschungsbrauerei entstehen, nicht weg geschüttet, sondern über das Unternehmen vermarktet und getrunken werden. Aber die Brauwissenschaftler seien keine Produktdesigner, stellt der Professor klar, sondern "wir wollen verstehen, was während des Brauprozesses passiert".

Kreative Köpfe sind nicht nur Brauer und Wissenschaftler, sondern auch die Hopfenpflanzer. Sie züchten neue Sorten, Aromahopfen, und kooperieren eng mit den Wissenschaftlern in Weihenstephan. Genauso so wie die Mitglieder des Mälzerbundes, die neue Malzmischungen generieren, beschreibt Becker. Ein dichtes Netzwerk an nationalen und internationalen Fachleuten arbeite auf der Suche nach immer neuen Bieren zusammen.

In der Forschungsbrauerei der Fakultät für Brau-und Getränketechnologie wird zur Zeit unter anderem versucht, alkoholfreien und alkoholarmen Bieren einen runden vollmundigen Charakter durch fermentativen Glycerineintrag zu geben. Auch die zunehmenden Lebensmittel-Allergien haben die Forscher im Visier. Während der Keimung wird auf natürliche Art und Weise ein Peptidasecocktail aufgebaut, der in der Lage ist, das für Zöliakiekranke schädliche Gluten abzubauen. Dadurch werden Gersten-/Weizenbiere mit den üblichen Qualitätsmerkmalen glutenfrei hergestellt. Schaum ist eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale des Bieres. Ein Forschungsprojekt identifiziert schaumstabilisierende sowie schaummindernde Bierinhaltsstoffe und wie sie sich auf die Freisetzung der Aromastoffe auswirken. Als Ergebnis wird die Brauindustrie zukünftig die Schaumstruktur und -stabilität noch besser beeinflussen können.

Finanziert werden die umfangreichen Forschungsaktivitäten am Lehrstuhl aus Drittmitteln und aus staatlichen Forschungsmitteln. Im Moment laufe beispielsweise ein Projekt mit dem Titel "Individualisierung von Getränken". Untersucht wird, wie sich individuell geprägte Produkte vermarkten lassen. Auch wenn sich der Geschmack oder der Alkoholgehalt der Biere in Zukunft immer wieder ändern und die Vielfalt zunimmt, eines gelte immer: "Man kann vom Bier nicht krank werden und es verdirbt nicht ", sagt Becker zufrieden.

In unmittelbarer Nähe der Forschungsbrauerei der TU München liegen die Gebäude der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Auch hier sind die Wissenschaftler in Sachen Bier nicht untätig. Seit vier Jahren gibt es den Studiengang "Brau- und Getränketechnologie".

Geforscht werde bisher gemeinsam mit einer Brauerei in Kelheim, wie die ausgelaugten Malzrückstände des Brauprozesses, der "Biertreber", verwendet werden können, berichtet Professor Winfried Ruß. Der Treber werde "brachial" in einer Rapspresse entwässert, die Trockensubstanz diene als Brennstoff zur Wärmegewinnung. In dem Presswasser befinde sich als puddingartige Substanz dann das Eiweiß des Trebers sowie die Kohlendydrate. Beide Stoffe werden in der Biogasanlage dann vergärt und somit das Abfallprodukt Treber restlos wieder verwertet, schildert Ruß.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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