Positives Signal in schwierigen Zeiten:Singen statt polemisieren

Positives Signal in schwierigen Zeiten: Politik hat im deutsch-türkischen Chor "Gülnihal" nichts verloren. Das Bild zeigt die Sänger und Sängerinnen bei der Verleihung des Kulturpreises.

Politik hat im deutsch-türkischen Chor "Gülnihal" nichts verloren. Das Bild zeigt die Sänger und Sängerinnen bei der Verleihung des Kulturpreises.

(Foto: Marco Einfeldt)

Deutsche und Türken musizieren im gemischten Chor "Gülnibal" gemeinsam. Beim Klang anatolischer Volkslieder gerät "das schmutzige Spiel der Politik" in Vergessenheit, findet Chorleiter Seref Dalyanoglu

Von Julia Kitzmann, Freising

Türken und Deutsche in einem Chor, orientalische Klänge im bayerischen Freising - in diplomatisch schwierigen Zeiten ist das ein positives Signal: Deutsche und Türken können doch miteinander. Und so setzen die Mitglieder des deutsch-türkischen Chores "Gülnihal" der aufgeheizten Stimmung die Musik entgegen. "Wir wollen gemeinsam singen, musizieren. Unsere Treffen sind kein politischer Stammtisch", erklärt Chorleiter Seref Dalyanoglu. Und doch - eine Meinung zu den aktuellen Verwerfungen haben die Sänger.

"Ich habe dazu einiges zu sagen", meint Seyda Lehmann mit Nachdruck. Sie kam vor 45 Jahren als Neunjährige nach Deutschland. Was denkt sie über die Auftritte türkischer Minister in Deutschland? "Nein, Deutschland sollte ihnen kein Podium für Wahlwerbung bieten." Sie ist überzeugt: "Die AKP hat alle demokratischen Rechte in der Türkei Stück für Stück untergraben. Die türkische Regierung kann nicht Rechte wie die Rede- und Versammlungsfreiheit in einem anderen Land einfordern, die sie in ihrem eigenen missachtet." Deswegen sorge sie sich auch weniger um das deutsch-türkische Verhältnis: "Ich mache mir Sorgen um die Türkei."

Unterstützung bekommt sie von Emine Uludag, die in Freising lebt. Anders als ihre Chorkollegin gehört sie zu den 1,4 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland. Mit zehn Jahren kam sie nach Deutschland - 1972 war das. Und trotzdem: "Die Türkei ist - wie Deutschland auch - meine Heimat." Und: "Ich liebe meine Heimat." Auftritte türkischer Minister in Deutschland findet sie nicht richtig: "ich habe mich in den vergangenen Jahren oft gefragt: Warum erlaubt Deutschland das? Das hätte von Anfang an unterbunden werden sollen." Doch viele der in Deutschland lebenden Türken unterstützten Erdogans Kurs. "Hier im Chor", erklärt sie, "sind aber die meisten gegen ihn."

Lehmann erzählt, dass oft deutsche Freunde fragten, wie es ihrer Familie und ihr gehe. "Meine Verwandten in der Türkei berichten, dass die Leute ihre Meinung öffentlich nicht äußern können. Die Menschen in der Türkei sind verunsichert." Sie sei sich sicher, dass Erdogan eine Niederlage beim Referendum nicht akzeptieren werde. Einreiseverbote lehnen beide Frauen jedoch ab: "Das bringt nur neue Komplikationen", meint Lehmann. Sie fügt an: "Erdogan genießt schon jetzt die Berichterstattung. Er macht sich zum Opfer." Dennoch wünsche sie sich ein entschiedeneres Vorgehen der Bundesregierung: "Sie müsste mehr Härte zeigen. Erdogan wird zunehmend größenwahnsinnig." Doch wisse sie natürlich, dass Versammlungen nicht einfach verboten werden könnten. "Auftritte unter bestimmten Auflagen" seien vielleicht eine Lösung. Uludag fürchtet auch direkte Folgen: "Unter den Spannungen leiden wir in Deutschland. Wir leben hier und bekommen das zurück." Ihre Angst ist spürbar. Umso eindringlicher wirkt ihre Forderung: "Die Lage muss sich beruhigen."

Dieser Meinung ist auch der Chorleiter. Er warnt, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Dalyanoglu, der in Istanbul studiert hat, hat eine dezidierte politische Meinung. Das merkt man, auch wenn er sagt, in "erster Linie Musiker zu sein." "Meinungsfreiheit ist ein Grundprivileg demokratischer Staaten. Wenn türkische Minister hier auftreten, sollte deutschen Politikern das auch in der Türkei zugestanden werden". Zudem verweist er auf ein Gesetz aus dem Jahr 2008, das den Auslandswahlkampf verbiete. Sanktionen aber seien keine Lösung: "Wem bringt das was? Niemand profitiert. Nur die Spirale der Vorwürfe geht weiter." In seinem türkischen Freundeskreis komme es durchaus zu kontroversen Diskussionen: "Solche Unterhaltungen enden häufig als Streitgespräch. Aus Respekt vor der Freundschaft versuche ich das Thema so gut es geht auszuklammern." Entschieden sagt er: "Eines muss klar sein, für Deutsche und für Türken: Wir leben nicht in der Türkei, wir leben in Deutschland." Sein Ton wird sarkastisch: "Wenn wir in der Türkei den tollsten Flughafen und die tollste Wirtschaft haben, sollen die Leute doch dort hinziehen." Die Fronten aber seien verhärtet.

Das bestätigt auch Ismet Ünal von der Islamischen Gemeinde Freising: "Ich rede mit vielen, das Thema wird kontrovers diskutiert." Auch er darf wählen. Was meint er? "Die Stimmung ist jetzt zu aufgeheizt für Auftritte. Das ist alles aus dem Ruder gelaufen." Populisten gebe es auf beiden Seiten: "Noch ist die Türkei ein Rechtsstaat und kein Gefängnis." Vor allem beklagt er sich über die Berichterstattung: "Seit Jahren werden Türken und die Türkei mit Erdogan gleichgesetzt. Das ist schade. Man muss unterscheiden zwischen Normalbürgern und Politikern oder Populisten."

Seref Dalyanoglu bleibt da lieber bei der Musik. "Das schmutzige Spiel der Politik", wie er sagt - es gerät in Vergessenheit beim Klang der anatolischen Volkslieder, intoniert von seinem gemischten Chor.

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