Polizei sammelt immer mehr jugendliche Bierleichen ein.:Die Freude am Rausch

Drogenberaterin Bärbel Würdinger bezeichnet das "Vorglühen" als Einstieg zur Sucht. Streetworkerin Kerstin Barth warnt vor übertriebener Panikmache

Magdalena Kiess

- Am Bierkonsum wird der Erfolg des Volksfestes abgelesen. Die Rekordzahl von 52 616 getrunkenen Litern zur Halbzeit, löste bei den Veranstaltern Freude und Zufriedenheit aus. Gleichzeitig aber spricht die Freisinger Polizei von "überproportional vielen" stark alkoholisierten Personen in diesem Jahr. Allein am vergangenen Dienstag, dem Dolce-Vita-Abend, wurden sechs vom Dienststellenleiter der Freisinger Polizei Anton Hemmer als "Bierleichen" bezeichnete Jugendliche aufgefunden. Bis zu zwei Promille Alkohol hatten sie im Blut. Die meisten von ihnen seien erst 15 oder 16 Jahre alt gewesen.

Laut Bärbel Würdinger, Leiterin der Sucht-Beratungsstelle von Prop e. V. in Freising, sei das "bewusste in den Rausch trinken" zum Trend geworden. Auch das jahrelang beobachtete Phänomen des "Vorglühens", wobei man sich vor der eigentlichen Feier schon einmal "warm trinkt", sei dabei Mittel zum Zweck. Dabei sei der vermehrte Konsum von Spirituosen, um möglichst schnell betrunken zu werden, ein weiterer Risikofaktor: Man könne, gerade in jungem Alter, kaum einschätzen, wie stark und schnell Schnaps wirke, so die Expertin. Auch immer mehr Mädchen würden laut Hemmer auf den Zug aufspringen.

Zur Frage, wie man auf den so starken Alkoholmissbrauch reagieren solle und ob hier Jugendliche besonders gefährdet seien, gibt es unterschiedliche Ansichten. Würdinger erwähnt die Suchtgefahr. Der Missbrauch sei eine Etappe in der Stufenleiter zur Sucht. An häufige Alkoholexzesse, wie etwa am Wochenende, gewöhne man sich schnell und das sei logischerweise abhängigkeitsfördernd. Beim gezielten Betrinken, beim Anstreben des Rauschzustands, sei der Genuss komplett ausblendet. Deshalb müsse man von Missbrauch sprechen, wenn man sich nicht an dem Getränk selbst freut, sondern nur seine Wirkung anstrebt.

Kerstin Barth, Streetworkerin in Freising, hält nichts von übertriebener Panikmache. Das Vorglühen an sich dürfe man nicht verteufeln. Es ist wie die spätere Party eine Befriedigung des Bedürfnisses nach Geselligkeit und Gemeinschaft. Außerdem sei dieses Phänomen nicht nur bei Jugendlichen sondern durchaus auch bei jungen Erwachsenen sehr verbreitet. Ihrer Erfahrung nach würde das Warmtrinken vor der Fete aber nicht gleich zu einem unkontrollierten Gelage ausarten. Man würde sich auf den Abend einstimmen, zum Beispiel bei jemandem zu Hause, sich fertig machen, sich austauschen, und schon einmal ein oder zwei Bierchen trinken. Barth betonte weiter, dass der Alkoholkonsum bei Jugendlichen im Moment eher sinke. Dennoch räumte sie ein, dass die Zahl der alkoholabhängigen Jugendlichen gestiegen sei.

Sie kenne den Wunsch junger Menschen nach dem Rauschzustand: "Prinzipiell ist auch das ein natürliches Bedürfnis, das wir schon von klein auf haben. Als Kinder wollen wir uns ausprobieren. Haben Sie nicht schon einmal ein Kind beobachtet, dass sich absichtlich so lange im Kreis dreht, bis es ihm schwindelig wird? Ähnlich ist es beim Alkohol. Wenn man erwachsen wird, ist es interessant mit dem neuen Getränk Erfahrungen zu sammeln."

Dabei spiele natürlich auch der Reiz des Verbotenen eine Rolle: etwa ob man es schaffe, sich mit 15 schon ein Bier zu kaufen. Das fühle sich nach Erwachsen-werden an. Barth wünscht sich keine strengeren Kontrollen, sie sei kein Fan von staatlicher Regulierung, sagt sie. Vielmehr halte sie es für wichtig, den Jugendlichen den Umgang mit den Suchtmitteln Zigarette und Alkohol zu lernen, um den Reiz zu mindern und Aufklärung zu betreiben. Das sei ihrer Meinung nach der richtigere Ansatz und würde den generationenübergreifenden Zusammenhalt fördern.

Kontrollieren könne man Aktionen wie das Vorglühen zu Hause nicht, sagt Hemmer. Auf öffentlichen Plätzen würden gerade bei besonderen Anlässen wie dem Volksfest vermehrt Kontrollen durchgeführt. Dennoch könne man nicht überall sein und auch nicht jeden kontrollieren. Nach seinen Angaben hätte die Polizei auf dem Volksfest vielen Minderjährigen Alkohol und Zigaretten abgenommen. Er sehe aber die Verantwortung in erster Linie bei den Eltern: "Sie sind für die Erziehung und Kontrolle verantwortlich und müssen sich kümmern, dass ihr Sprössling nicht mitten in der Nacht auf der Straße liegt."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: