Politik in der Kritik:Im Stich gelassen

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Immer weniger Lehrer wollen eine Schule leiten. Kerstin Rehm fordert das Kultusministerium auf einzugreifen.

(Foto: Privat)

Volksschulleiter im Landkreis klagen, dass die Anforderungen in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind. Neben dem Unterricht bleibt für diese Zusatzaufgaben aber nicht genügend Zeit

Von Gudrun Regelein, Freising

Erst heute habe sie wieder von einem Schulleiter gehört, dass er am liebsten hinschmeißen würde, erzählt Kerstin Rehm, Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). "Viele Schulleiter sind am Ende der Fahnenstange angelangt." Rehm weiß, wovon sie spricht: Sie leitete viele Jahre lang die Grundschule in Haag. "So schön diese Aufgabe auch war, sie ging an die Substanz."

Mittlerweile aber sei das Arbeitspensum für Rektoren an Grund- und Mittelschulen nicht mehr zu bewältigen, sagt Rehm. "Schulleiter haben ihre Grenzen erreicht, ihre Aufgaben nehmen ständig zu." Erst kürzlich hat auch die BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann im Namen von 5000 Volksschulleitern einen Brandbrief an Ministerpräsident Horst Seehofer geschrieben. Die Schulleiter fühlten sich allein gelassen und überfordert, daran änderten auch die Nachbesserungen der vergangenen Jahre nichts. Gründe dafür gebe es viele, meint Kerstin Rehm. "Die Leitungszeit beispielsweise ist definitiv zu kurz." Für das Management der Schule bleibe nicht ausreichend Zeit - denn Rektoren müssten auch Unterricht halten und haben - zumindest an den kleineren Schulen - dazu noch eine Klassleitung. Aber auch die Konrektoren bräuchten eigentlich mehr Anrechnungsstunden, betont Rehm - derzeit erhielten sie gerade einmal ein bis drei. "Nach außen hin funktioniert die Schule. Das liegt auch an dem Loyalitätsempfinden der Lehrer und Schulleiter - aber eigentlich arbeiten alle immer in Überforderung."

Zusätzliche Aufgaben, wie die Integration oder die Inklusion, müssten geschultert werden, ohne dass es in irgendeiner Form Unterstützung gebe. Seit einigen Monaten besuchen beispielsweise Inklusionsschüler die kleine Grundschule in Wolfersdorf. Der dortige Leiter Norbert Mayr fühlt sich "im Regen stehen gelassen", eine Unterstützung wegen dieser zusätzlichen Aufgabe erhält er nicht. Die Elterngespräche, Kontakte mit den zuständigen Ämtern und Wohlfahrtsverbänden: All dies koste aber zusätzlich Zeit, berichtet er. "Es gibt Höhen und Tiefen", sagt Mayr. Und immer wieder sehr belastende Situationen, in denen man als Schulleiter eigentlich mehr Zeit bräuchte. Mehr Zeit - Leitungs- und Verwaltungszeit - würde sich auch Renate Bruckmeier, Leiterin der Grund- und Mittelschule Neustift, wünschen. Sie arbeite häufig am Limit, fühle sich als "Prellbock" für Eltern, Schulaufsicht, Schüler und Lehrer, schildert sie. Seit Jahren kämen neue Aufgaben hinzu. So sei die Mittelschule seit 2014 eine offene Ganztagsschule. Zwar mit einem externen Träger, aber: "Die pädagogische Verantwortung liegt dennoch bei uns."

Josef Eschlwech ist bereits seit 14 Jahren Rektor an der Neufahrner Grundschule am Fürholzer Weg, zuvor war er dort zehn Jahre lang stellvertretender Leiter. In diesen Jahren habe sich der Schulbetrieb enorm verändert, sagt Eschlwech. "Schulleiter - aber auch Lehrkräfte - sind mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo es nicht mehr weitergeht." Auch an kleinen Schulen nähmen unter Schülern Verhaltensauffälligkeiten zu, deshalb steige der Beratungsbedarf und die Zahl der Elterngespräche - beim Stundenkontingent aber werde dies nicht berücksichtigt, erzählt er. Die Heterogenität der Klassen fordere die Lehrkräfte enorm. "Die Schule soll alles richten, die Defizite der Gesellschaft sollen von uns aufgefangen werden. Das geht an die Substanz", sagt Eschlwech. Pädagoge sei nach wie vor sein Traumberuf, betont er. Aber als Schulleiter fühle er sich von der Politik im Stich gelassen. "Und das stellt die Berufswahl schon in Zweifel."

Tatsächlich gibt es immer weniger Lehrer, die bereit sind, eine Schule zu leiten, wie die BLLV-Kreisvorsitzende sagt. "Immer weniger Lehrer möchten diesen Job mit seinen immensen Anforderungen machen." Schulleiter stünden allein auf weiter Flur. Von der Politik sei es unverantwortlich, die Grund- und Mittelschulen, die Basis des Schulsystems, nicht stärker zu unterstützen. "Der Rubikon ist überschritten. Es ist längst an der Zeit, etwas seitens des Kultusministeriums zu unternehmen. Wir haben akut nicht nur einen Lehrernotstand", warnt Kerstin Rehm, "sondern bereits auch einen Schulleitungsnotstand."

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