OB-Wahl in Freising:Altbayerisches Herzklopfen

Am Sonntag wird in Bayern gewählt - viele Gemeinden und Städte bekommen dann einen neuen Bürgermeister. Besonders spannend wird es in Freising: Dort kämpfen sieben Kandidaten um den Chefsessel im Rathaus - eine Prognose, wer gewinnt, wagt nach dem Streit um die dritte Startbahn allerdings niemand.

Kerstin Vogel

So heiß umkämpft war selten ein Chefsessel im Rathaus: Gleich sieben Kandidaten treten am Sonntag in Freising an, um den scheidenden Oberbürgermeister Dieter Thalhammer (SPD) zu beerben. Immerhin fünf von ihnen dürfen realistisch auf einen Einzug in die Stichwahl hoffen. Und niemand in der Stadt wagt derzeit eine Wette auf den Ausgang. Doch die Einzigartigkeit dieser Wahl passt zur einzigartigen Situation der Stadt Freising.

OB-Wahl in Freising: Das Freisinger Rathaus. Wer nach der Wahl am Sonntag dort herrscht, wagt derzeit keiner zu prophezeien.

Das Freisinger Rathaus. Wer nach der Wahl am Sonntag dort herrscht, wagt derzeit keiner zu prophezeien.

(Foto: Marco Einfeldt)

Nur fünf Kilometer vom viel gepriesenen Jobmotor Flughafen entfernt, sitzen die 46.000 Freisinger auf einem Berg von Schulden. Alles in allem haben sich in den vergangenen Jahren 120 Millionen Euro aufgetürmt, weil natürlich wie anderswo auch sehr oft der Sachzwang regiert. So zogen etwa neue Anforderungen in der Kinderbetreuung immense Investitionen in Kindertagesstätten nach sich. Doch die Stadt kaufte auch für gut 18 Millionen Euro die ehemalige Steinkaserne vom Bund, um dort ein neues Wohngebiet zu entwickeln. Und diese Entscheidung ist nur ein Beispiel dafür, wie maßgeblich der nahe Münchner Flughafen die Politik der Stadt beeinflusst.

Die Arbeitsplätze dort locken immer mehr Menschen an. Viele von ihnen wollen in Freising leben und brauchen außer Wohnungen und Kindergartenplätzen auch Schulen, Straßen, kurz: einen fortwährenden Ausbau der Infrastruktur, der den städtischen Etat belastet.

Gleichzeitig bedroht der Nachbar Flughafen die Stadt ganz konkret. Wird die umstrittene dritte Startbahn gebaut, ist in großen Bereichen Freisings mit erheblichem Fluglärm zu rechnen. Die Kommune selber klagt gegen den Flughafenausbau, denn neben der Belastung der Bürger wäre die Entwicklung der nach München zweitgrößten Stadt im Großraum damit stark eingeschränkt. Sie könnte nur noch im Norden wachsen - auch deshalb die Investitionen in das Wohngebiet an der Steinkaserne.

Viele Wünsche der Freisinger sind in dieser Gemengelage lange Jahre auf der Strecke geblieben: ob Eisstadion, Hallenbad oder eine Aufwertung der Innenstadt. Auch mit diesen Ansprüchen der Bürger wird sich der nächste Oberbürgermeister konfrontiert sehen, zumal wenn er deren Umsetzung im Wahlkampf versprochen hat.

Was der Freisinger nicht mag, sind zu schnelle Veränderungen

Gleichwohl werden Versprechungen alleine am Wahltag nicht den Ausschlag geben. Es ist schwer zu sagen, was der Freisinger wirklich will, weil es die homogene Gesellschaft in dieser Stadt nicht gibt, schon angesichts des enormen Zuzugs gar nicht geben kann. Die Arbeitsplätze am Flughafen bringen viele Menschen nach Freising, die vielleicht nur ein paar Jahre bleiben, bevor sie weiter ziehen, dem nächsten Job hinterher. Daneben bildet der Campus Weihenstephan mit seinen etwa 8000 Studenten einen etwas unberechenbaren eigenen Kosmos in der Stadt - allen Bemühungen um eine bessere Integration zum Trotz.

Und richtig berechenbar ist am Ende auch der alteingesessene Freisinger nicht. Seine Stadt ist das Herz Altbayerns, dessen ist er sich bewusst. Er mag die drei Berge der Stadt, die Geschichte, die kirchliche Tradition. Er mag, dass mit Forschung und Lehre in Weihenstephan die Moderne ganz nah ist. Was der Freisinger nicht mag, das sind zu schnelle Veränderungen und - trotz seiner sicher konservativen Grundeinstellung: Irgendwie mag er auch keinen CSU-Oberbürgermeister.

Das hat zum einen eine gewisse Tradition. Vor dem SPD-Mann Thalhammer, der aus Altersgründen kein viertes Mal kandidieren darf, regierte 24 Jahre lang der für die SPD angetretene und später zu den Unabhängigen Freisinger Bürgern gewechselte Adolf Schäfer, und davor 22 Jahre lang Max Lehner (parteilos).

Aktuell aber ist der Freisinger verärgert, weil die Staatsregierung die ungeliebte dritte Startbahn forciert. Und auch wenn die Freisinger CSU immer wieder betont, im Abwehrkampf hinter den Startbahngegnern zu stehen: Dass der Freisinger das nicht ohne weiteres glaubt, bekam sie zuletzt bei den Kommunalwahlen 2008 zu spüren. Da verlor die CSU in der Stadt mehr als zwölf Prozentpunkte und kam am Ende nur noch auf 26,95 Prozent der Stimmen.

Die Freisinger CSU hat sich selbst zerlegt

Damit nicht genug, haben sich die Christsozialen im vergangenen Jahr auf einzigartige Weise selbst zerlegt. Mit Rudi Schwaiger, dem Bruder des Freisinger Landrats, und Tobias Eschenbacher hatte man zwei OB-Kandidaten in spe. Doch eine öffentlich zelebrierte Kampfabstimmung endete böse. Nach Schwaigers Sieg zog sich ein Riss durch die Stadtratsfraktion, der nicht mehr zu kitten war: Acht Stadträte um Fraktionschef Eschenbacher spalteten sich ab und gründeten im Spätsommer die neue Fraktion der Freisinger Mitte.

Seither hat der Wählerverein eine beachtliche Karriere hingelegt - und Eschenbacher selbst ins Rennen um das Amt des Oberbürgermeisters geschickt. Der 34-Jährige wird im Lager der konservativen Wähler wildern, dort also, wo sich neben Schwaiger auch der Freie Wähler Benno Zierer Stimmen erhofft. Der dritte Bürgermeister der Stadt ist bekannt und beliebt. Doch er hat ein Handicap, weil im Wahlkampf bekannt wurde, dass er vor Jahren Grundstücke an die Flughafenbetreiber verkauft hat. Manch ein Startbahngegner sieht das als Verrat am Widerstand an.

Dieser in starken Initiativen organisierte, von den Kirchen mitgetragene Widerstand macht Freising und die bevorstehende Wahl auch für die Grünen einzigartig. Mit ihrer von Anfang an klaren Haltung gegen den Flughafenausbau holten sie bei der Stadtratswahl 2008 starke 22,1 Prozent. In der derzeitigen Konstellation wäre es denkbar, dass der erste Grünen-Oberbürgermeister Bayerns in Freising gewählt wird. Kandidat Sebastian Habermeyer jedenfalls gelang es im Wahlkampf recht gut, sich nicht auf das Thema Startbahn reduzieren zu lassen. Und auch er hält sich als "lindgrüner Realo" für durchaus wählbar in der Mitte.

Helmut Priller (ÖDP) und Daniel Wilke (Linke) gelten als chancenlos. Bleibt die Sozialdemokratin Eva Bönig, die als Kindergartenleiterin und langjährige Stadträtin extrem bekannt und gut vernetzt ist. Sie baut zwar als einzige nicht explizit auf Wähler aus der konservativen Mitte. Vielleicht aber bekommt sie die paar Extrastimmen, die es für die Stichwahl braucht, wegen ihrer speziellen Einzigartigkeit aus einem anderen Lager: dem der Frauen.

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