Neufahrner Zeitzeugen:Mit Bettlaken den Amis entgegen

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Als der Historiker Ernest Lang erstmals Luftbilder von Neufahrn aus dem April 1945 zeigt, kommen bei Zeitzeugen Erinnerungen hoch. Bei einem Jungen hat sich damals der Flugzeugabsturz eines Amerikaners mit allen Details eingebrannt.

Von Birgit Grundner, Neufahrn

Die dramatischen Ereignisse liegen fast 70 Jahre zurück, doch der Neufahrner Andreas Stegschuster kann sich noch gut an die Details erinnern: Als Siebenjähriger war er mit seinen Geschwistern daheim in der Strickerei seiner Eltern am heutigen Samweg, als es plötzlich "einen riesigen Kracher" gab. Eine amerikanische Maschine war direkt neben dem Haus abgestürzt, die Kinder sahen die verbrannte Leiche des Piloten.

"An einem Finger hatte er einen Ehering", erzählt Stegschuster, "aber als wir später wieder hinkamen, waren der Finger und der Ring weg." Sehr belastet habe ihn das damals, berichtete der Senior jüngst bei einer Veranstaltung des Heimat- und Geschichtsvereins zum Kriegsende 1945. Dort sah er auch zum ersten Mal ein Foto, das die Erinnerung wieder ganz lebendig werden ließ: Die Amerikaner hatten bei Aufklärungsflügen am 20. April 1945 Luftaufnahmen von Neufahrn gemacht, die sie kürzlich freigegeben haben.

Ernest Lang, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins, nutzte die Chance und erwarb die Aufnahmen, die nun erstmals vor 120 Zuschauern gezeigt wurden. Deutlich ist darauf die Absturzstelle zu sehen. Außerdem haben Notabwürfe Spuren im südlichen Neufahrn nahe der Kiesgrube hinterlassen, die später zum Fußballplatz wurde und heute ein Wohngebiet ist. An der jetzigen Schulbaustelle am Fürholzer Weg waren Bunker und Baracken der Luftwaffenhelfer und der holländischen SS. Und wo heute der Wasser-Zweckverband seinen Sitz hat, befanden sich damals die Baracken des Außenlagers des KZ Dachau. 500 Häftlinge waren dort untergebracht. Sie sollten eigentlich in der Garchinger Heide noch einen Flugplatz errichten, der aber nie fertig wurde. Den Boden für die Piste haben sie allerdings noch abgetragen. Ebenfalls auf den Luftaufnahmen zu erkennen sind die Deckungslöcher, welche die Häftlinge für die Wachmannschaft anlegen mussten, erläutert Lang.

Nach ihrer Befreiung hätten die Häftlinge alle Speisen gegessen, die sie nur bekommen hätten können, erinnert sich Pfarrer Otto Steinberger, der in einem Bauernhof an der Dietersheimer Straße aufgewachsen ist und die Zeit als Kind miterlebt hat. Er wollte gerade zum Ministrieren gehen, als er erlebte, wie am 29. April 1945 amerikanische Panzer von Eching gen Neufahrn vorrückten.

Auf dem Heimweg sah er dann den Maurermeister Hans Grau mit SS-Leuten verhandeln. Diese wollten offenbar noch Maschinengewehre auf dem Turm der alten Kirche installieren. Doch das Glockenhaus hatte keine Öffnung nach Westen. Grau konnte den SS-Leuten anscheinend einreden, dass eine weitere, neuee Öffnung die Statik des Gebäudes gefährdet hätte. Später wurde am Turm eine weiße Fahne gehisst, die zuvor auf einem benachbarten Bauernhof aus zwei Betttüchern zusammengenäht worden war. Die amerikanischen Panzer waren da schon auf Höhe des Ährenwegs. Otto Steinbergers Mutter gab ihren Kindern weiße Taschentücher, "mit denen haben wir dann gewunken".

Mit vielen weiteren Zeitzeugen hat der Historiker und Journalist Ernest Lang in den vergangenen Jahrzehnten gesprochen. Er hat in Archiven recherchiert, die Aufzeichnungen früherer Ortschronisten gelesen und Unterlagen der Pfarrei studiert, um die jüngere Neufahrner Geschichte zu rekonstruieren. So erfuhr er auch von dem amerikanischen Piloten, der nach einer Landung mit dem Fallschirm wohl von einem örtlichen Nazifunktionär erschlagen worden wäre, wenn nicht der Kirchenpfleger Josef Pleßl eingegriffen hätte. Lang erinnerte auch an Pfarrer Jungmann, der sich in einer Widerstandsgruppe engagiert hatte, und an den Taglöhner, der sich freiwillig gemeldet hatte, um den Amerikanern den Ort zu übergeben. Er ging den Soldaten mit einem weißen Betttuch entgegen.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner begann eine neue Zeit - für die Kinder auch eine spannende Zeit. "Wir haben die Kippen der Amerikaner gesammelt, sie den Rauchern gegeben und dafür großes Lob bekommen", erzählt Pfarrer Steinberger und fügt schmunzelnd hinzu: "Wir haben allerdings nicht alle abgegeben." Andreas Stegschuster erinnert sich noch gut an sein kindliches Staunen, als er das erste Mal einen farbigen US-Soldaten gesehen hat.

© SZ vom 13.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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