Neue Betrügermasche:Falsche Schluchzer

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Zwei Betrüger haben mit einer erfundenen Geschichte über eine schwer kranke Tochter bei zahlreichen Pfarrämtern Spenden ergaunert. Die Pfarrer in Freising und Umgebung haben Strategien für derartige Fälle entwickelt

Von Korbinian Eisenberger Und Laura Caspari, Freising

Der Mann mit dem Rosenkranz hat das Gesicht in den Händen vergraben. Seine Tochter habe jetzt keine Haare mehr, Leukämie, sagt er und schluchzt. Seit einem Unfall könne er nicht mehr arbeiten - um Geld zu sammeln, pilgere er jetzt von Pfarramt zu Pfarramt. Allein aus Freising, Ebersberg und Erding hatten ein Dutzend Pfarreien Miroslaw G. und seinem Begleiter Bargeld zwischen 30 und 70 Euro gespendet. Dass sie dabei einem Betrüger auf den Leim gingen, bemerkten sie zu spät.

"Wir haben eine Warnung von der Diözese über einen Mann bekommen, dessen Tochter angeblich an Leukämie erkrankt ist", erzählt Axel Windecker von der Pfarrei St. Lantpert in Freising. Der Betrug war aufgeflogen, als die aus Polen stammenden Männer beim Klauen erwischt wurden. G.s Partner entkam, er selbst wurde von der Polizeiinspektion Ebersberg festgenommen und verhört. Dabei gestand er schließlich, dass die ganze Geschichte erfunden war. Gegen den Mann wird jetzt wegen Betrugs und Ladendiebstahls ermittelt.

"Zu uns kommen ständig Leute, die Geld von uns haben wollen", erzählt Windecker. Am häufigsten bekommt er dabei folgende Geschichte zu hören: Ein Angehöriger sei im Ausland verstorben, der Leichnam solle wieder in die Heimat überführt werden. Die Kosten dafür seien aber zu hoch für die Familie, zum Teil würden angeblich Summen über 3000 Euro verlangt. "Da werden manchmal auch Familien angegeben, die hier in Freising wohnen", weiß Windecker. "Wenn man dann dort anruft, findet man aber schnell heraus, dass die Geschichte nicht stimmt." Wenn er den Eindruck hat, dass es sich bei den Bettlern eigentlich um Betrüger handelt, alarmiert der Pfarrer notfalls die Polizei. "Das ist von der Diözese auch so gewünscht", erklärt Windecker. "Es kann ja nicht sein, dass denjenigen, die wirklich hilfsbedürftig sind, durch solche Betrüger die Chance auf Unterstützung genommen wird."

Er ist fest davon überzeugt, dass es sich bei den Betrügern um organisierte Banden handelt, die immer nach dem gleichen Prinzip vorgehen. Sie kommen außerhalb der Bürozeiten des Pfarrbüros, wenn keine Sekretärin mehr da ist, um direkt mit dem Pfarrer sprechen zu können. Sie versuchen, den Geistlichen unter Druck zu setzen, sagen, dass er sie als Mann der Kirche doch nicht abweisen könne. Wenn Windecker ihnen dann erklärt, dass er ihre Geschichte nicht glaubt oder sie für weitere Hilfen an die Caritas verweist, werden die "armen" Bettler auf einmal aggressiv. Der anfangs unterwürfige Bittsteller zeigt eine andere, aggressive Seite, der Pfarrer wird beleidigt und verflucht. Dann steigen die Betrüger in einen Transporter und fahren weg. "Die Zahl solcher Vorfälle schwankt stark, das kommt immer in Wellen", erklärt Windecker.

Peter Lederer vom Pfarrverband St. Korbinian in Freising geht damit restriktiv um. Er verweist Bedürftige meist sofort an die Caritas weiter. "Die Caritas kann da viel besser weiterhelfen, die haben das Know-how, die Vernetzung zu den Behörden und Fachangestellte für solche Situationen", erklärt Lederer. Dort könne viel schneller überprüft werden, ob die Geschichte Hand und Fuß hat - und die Mitarbeiter der Caritas werden extra für solche Fälle geschult. "Wenn in einer Firma Leute EDV-Probleme haben, schickt man sie ja auch in die EDV-Abteilung", erläutert der Pfarrer sein Vorgehen.

Doch wie kann man Betrüger von wirklich Bedürftigen unterscheiden? Ein Generalverdacht gegenüber Menschen, die bei Pfarreien um Geld bitten, ist sicher nicht die richtige Lösung. Pfarrerin Juliane Fischer von der evangelisch-lutherischen Kirche in Hallbergmoos hat dafür eine Strategie entwickelt. Direkt mit den Leuten zu sprechen ist dabei eine wichtige Voraussetzung. "Ich achte immer genau darauf, wie schnell und undeutlich die Leute ihren Namen aussprechen", erklärt Fischer. Wenn sie den Namen versteht, schaut sie auch in der Gemeindekartei nach, ob die angegebene Adresse mit dem Namen übereinstimmt. Wenn sie jemand telefonisch kontaktiert, schaut sie ganz genau auf die Uhrzeit. "Jemand ruft um 6 Uhr 59 bei uns an - da schrillen bei mir schon die Alarmglocken", sagt Fischer. Solche Menschen könnten es morgens meist kaum erwarten, dass die Bürozeit anfängt und jemand ans Telefon geht.

Bei angeblichen Rechnungen oder Bahntickets verzichtet Fischer darauf, den Bittstellern Geld zu geben. Die Rechnung lässt sie sich zeigen und begleicht sie im Zweifelsfall selbst. Sie bietet den Leuten an, mit ihnen zum Bahnhof zu fahren, um ein Ticket zu lösen. "Machen Sie sich doch keine Mühe, mir reicht das Geld" - wenn solche Antworten kommen, ist für die Pfarrerin klar, dass es nicht um das Ticket geht.

Ein Allheilmittel ist die Strategie natürlich nicht. "Klar bin ich auch schon mal reingefallen", gibt Fischer unumwunden zu. "Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht." Wenn ihr etwas verdächtig vorkommt, informiert sie aber sofort ihre evangelischen und katholischen Kollegen.

© SZ vom 02.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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