Flucht aus Syrien:Majd ist angekommen

Flucht aus Syrien: Anfang September hat Majd Al Hosaini eine Ausbildung als Industriemechaniker in einer Freisinger Firma begonnen. Der Syrer spricht mittlerweile fließend Deutsch.

Anfang September hat Majd Al Hosaini eine Ausbildung als Industriemechaniker in einer Freisinger Firma begonnen. Der Syrer spricht mittlerweile fließend Deutsch.

(Foto: Marco Einfeldt)

Als Majd Al Hosaini beschließt, dass Syrien für ihn nicht mehr sicher ist, ist er 17. Und hat eine Kugel im linken Knie. In Freising baut er sich ein neues Leben auf - und kämpft mit latentem Rassismus.

Von Anne Gerstenberg, Freising

Als Majd Al Hosaini beschließt, dass Syrien für ihn nicht mehr sicher ist, ist er 17. Er spielt Fußball in der ersten Liga, ist schon "ein kleiner Profi". In zwei Wochen beginnen seine Prüfungen für den höchsten syrischen Schulabschluss, sein Vater hat ein Restaurant in Damaskus, an den Wochenenden ist er bei seinen Großeltern, lässt sich von seiner Oma verwöhnen.

Als Majd Al Hosaini beschließt, dass Syrien für ihn nicht mehr sicher ist, hat er eine Kugel in seinem linken Knie. Er ist angeschossen worden von einem Soldaten der Armee des Präsidenten Assad - auf offener Straße, am helllichten Tag. Einfach so. "Ich wusste, wenn Ausgehverbot besteht, dann wird man angeschossen, wenn man trotzdem auf die Straße geht", erzählt Majd: "Aber es war kein Ausgehverbot. Es war einfach nur so." Nach diesem traumatischen Erlebnis entscheidet er, dass er Syrien verlassen muss.

Inzwischen lebt Majid seit zwei Jahren in Deutschland, in Freising. Er hat Deutsch gelernt, spricht es fast fließend. Innerhalb eines Jahres machte er einen Hauptschulabschluss an der Berufsschule Freising, er spielt in der Stammmannschaft des SE Freising in der Landesliga. Sein Knie tut ihm beim Training und nach den Spielen immer noch weh. Anfang September hat er eine Ausbildung als Industriemechaniker in einer Freisinger Firma begonnen.

Die Kugel aus dem Bein wird stümperhaft entfernt

Als Majd angeschossen wird, gibt es in Damaskus keine Krankenhäuser mehr, keine qualifizierten Ärzte. Er muss sich die Kugel stümperhaft aus dem Bein entfernen lassen. Seine Flucht ist eine Odyssee voller Strapazen, auf der er vermutlich sehr viel mehr Glück hat, als manch anderer. Ohne seiner Mutter von der Schussverletzung zu erzählen, verabschiedet er sich, er werde einen Freund im Libanon besuchen.

Der siebzehnjährige Verwundete mietet sich ein Auto und fährt allein los. "Das war sehr gefährlich", sagt er, "auf dem Weg musste ich durch Kriegsgebiete fahren. Ich habe die Menschen auf der Straße neben mir sterben sehen."

Tiefe Traurigkeit in seinen Augen

Im Libanon wird endlich seine Schusswunde operiert. Er ruft seine Eltern an, sie besuchen ihn mit seinem Bruder für eine Woche. "Das war das letzte Mal, dass ich meine Eltern gesehen habe", sagt Majd. Man sieht tiefe Traurigkeit in seinen Augen. Danach hat sein Vater ihm ein Flugticket nach Ägypten gekauft. Dort bleibt er einen Monat, weiß nicht, wie und wohin es weitergehen soll. Von einem Freund hört er, man könne auf einem Boot ganz einfach in drei Tagen nach Europa übersetzen.

Durch den Fußball hat er schon viel über Deutschland erfahren. "Ein Leben in Deutschland, das war immer mein Traum", sagt er - seine Augen leuchten. Er beschließt, diesem Traum nachzugehen und kauft für 3000 Dollar einen Platz auf einem Boot. "Das waren die schlimmsten Tage meines Lebens", berichtet er.

Er erzählt von den Erlebnissen distanziert, hat die Erinnerungen in Begriffe abstrahiert, die er während seiner Erzählung abarbeitet. "Das Boot war winzig, es waren 150 Passagiere an Bord", erinnert er sich. In den ersten Stunden, als sich alle der Unmöglichkeit, diese Reise lebendig zu überstehen bewusst geworden sind, geraten sie in Panik. "Wir boten dem Schlepper jeder je 1000 Dollar, wenn er nur umdreht und zurück nach Ägypten fährt", schildert Majd. Doch der Schlepper erzählt ihnen, sie würden in zwei Stunden ein größeres Boot erreichen.

Ohne Pass gibt es kein Hotelzimmer

"Aus zwei Stunden wurde ein Tag, dann noch einer", berichtet Majd weiter, "wir hatten nichts zu trinken und nichts zu essen, hatten uns damit abgefunden, dass wir im Meer unser Ende finden würden." Am dritten Tag kommen weitere 150 Menschen auf das Boot, weil ihr eigenes zu sinken droht. Es ist nicht mehr genug Platz, um zu sitzen oder zu liegen. "Wir konnten nur noch stehen." Am fünften Tag fällt der Motor aus. "So sind wir noch einen Tag auf dem Meer getrieben, dann haben wir einen Notruf abgesetzt", sagt Majd.

Innerhalb von zwei Stunden hat die italienische Küstenwache das Boot gefunden, die Menschen auf andere Schiffe umsteigen lassen, sechs Stunden später ist Majd auf Lampedusa. "Alles, was ich dann noch wollte, war auf einer richtigen Matratze schlafen zu können", erinnert er sich. Aber ohne Pass kann man kein Hotel mieten. So muss er auf seiner Reise durch Italien mit vier anderen Flüchtlingen in Gärten schlafen oder in Zügen.

Ein Schlepper bringt Majd nach München

Über Rom, Mailand und Verona geht es weiter nach Nizza. "Wir wussten, dass in Österreich die Grenzkontrollen hart sind. Deswegen wollten wir versuchen, über Frankreich nach Deutschland zu kommen", erzählt er. Doch in Nizza werden sie von Beamten aufgegriffen. Die lassen ihnen die Wahl zwischen einer Registrierung in Frankreich oder dem Rückweg zu Fuß nach Italien. Majd will nach Deutschland. Einer seiner Begleiter hat einen Freund am Comer See.

"Dort konnten wir für einige Tage wohnen, dann hatte er uns einen Schlepper organisiert, der bereit war und für 400 Dollar pro Person nach Deutschland zu bringen", erzählt Majd. So kommt er nach München, wo er registriert wird. "Damals war das alles noch sehr viel entspannter als heute, nicht so viele Menschen."

Schüler initiieren Deutschunterricht für die Flüchtlinge

Majd wird nach Freising geschickt. Hier lebt er zunächst gemeinsam mit anderen Syrern, Nigerianern und Eritreern in einer Wohngemeinschaft an der Wippenhauserstraße neben dem Camerloher-Gymnasium. Dort hat er Franz kennengelernt, einen Schüler der Oberstufe. Er besucht ihn häufig, sie trinken gemeinsam Tee in der Wohngemeinschaft. Ein Mädchen aus der Oberstufe, die so etwas schon einmal gemacht hat, initiiert Deutschunterricht für die Flüchtlinge in dem Wohnheim.

Zwei Mal in der Woche geben Schüler der Oberstufe des Camerloher-Gymnasiums den Flüchtlingen in ihrem Oberstufenzimmer Deutschunterricht, auch Franz engagiert sich. Im Sommer spielen sie auf dem Sportplatz gemeinsam Fußball.

Beim Training werden sechs Sprachen gesprochen

Franz Wagner erzählt: "Das war witzig! Es wurden sechs Sprachen auf den Spielfeld gesprochen! Aber Fußball ist eine ganz eigene Sprache, darüber haben wir uns verstanden." Im darauffolgenden Herbst kann sich Majd für eine Übergangsklasse an der Berufsschule anmelden und dort seinen Hauptschulabschluss nachholen. Er muss ein Pflichtpraktikum für die Schule absolvieren. Der Abteilungsleiter seines Fußballvereins hilft ihm bei der Bewerbung. Er bekommt den Praktikumsplatz bei der Freisinger Firma. Aus drei Monaten Praktikum werden fünf. Der Chef bietet ihm einen Ausbildungsplatz an. "Weil ich pünktlich, fleißig und diszipliniert war", erzählt Majd.

Er und Franz sind inzwischen enge Freunde geworden. Sie nennen sich gegenseitig "Bruder" und unternehmen viel zusammen. Majd ist Teil seines Freundeskreises, wird gerne zu gemeinsamen Unternehmungen eingeladen. Das letzte Weihnachtsfest hat er bei Franz' Familie gefeiert. "Er hat auch Geschenke bekommen, obwohl er ja Muslim ist", erzählt Franz lachend. Mit dem Mädchen, das die Deutsch-Kurse an der Schule organisiert hat, ist Majd seit acht Monaten zusammen. Im Sommer sind sie dieses Jahr eine Woche gemeinsam am Gardasee gewesen. Dass sie zwei unterschiedlichen Kulturkreisen entstammen und sie Christin ist, stört dabei nicht.

"Sie fehlen mir sehr"

Große Sorgen macht sich Majd um seine Familie, die noch immer bei Damaskus lebt. "Sie fehlen mir sehr", sagt er. Manchmal haben seine Eltern zwölf Stunden lang keinen Strom und können sich nicht bei ihm melden. Dann ist er in großer Sorge, dass ihnen etwas passiert sein könnte. "Dort, das ist kein Leben mehr. Sie haben nichts dort!", sagt er traurig.

Majds Bruder ist inzwischen die Flucht über die Balkanroute nach Budapest gelungen. Franz' großer Bruder ist genau zu dieser Zeit dort gewesen und hat Majds großen Bruder getroffen. "Er wollte ihn so gerne mit nach Deutschland nehmen, damit er zu Majd kann. Aber er wusste, dass das nicht geht", erzählt Franz.

Mit einem der letzten Züge kann Majds Bruder aus Budapest nach München reisen. Die beiden Syrer sehen sich nach drei Jahren endlich wieder. Doch nun ist Majds Bruder einem Flüchtlingsheim bei Stuttgart zugeteilt worden. "Das ist nicht so optimal, aber ich hoffe, dass er bald zu mir kommen darf!", erzählt Majd.

Nur Absagen bei der Wohnungssuche

Dafür sucht er nach einer größeren Wohnung, denn seine eigene hat nur ein Zimmer. Das ist nicht so einfach für Majd. "Ich bekomme nur Absagen!", erzählt er: "Wenn jemand meinen ausländischen Namen hört, oder meinen dunklen Teint und Bart sieht, wird mir sofort gesagt, dass ich kein potenzieller Mieter bin." Einmal ist Franz mit seinen blonden Haaren und blauen Augen zu einer Besichtigung gegangen. "Als ich Majds Namen auf den Zettel geschrieben habe, wurde ich sofort abgelehnt."

Majd versteht das nicht. Die Wohnungen seien ausdrücklich für Studierende und Auszubildende ausgeschrieben. Als Auszubildender habe er ein festes Gehalt, das er vorweisen könne.

Türsteher in der Diskothek weisen den Syrer ab

Latenter Rassismus äußert sich auch in anderen Alltagssituationen. Oft will Majd mit allen anderen in das Nachtlokal in der Luitpoldanlage. Doch der Türsteher lässt ihn nicht rein, sobald er den Ausweis sieht, der seinen Asylstatus ausweist. "Solche gehören hier nicht rein", hat er schon zu hören bekommen, oder: "Die Disco ist schon voll", während an ihm vorbei ständig neue Gäste hinein gewunken werden. "Den kenne ich nicht", hat der Türsteher auch mehrfach seine Ablehnung begründet.

"Ein Türsteher kann doch nicht all seine Gäste kennen! Das ist so ein Schmarrn!", ärgert sich auch Franz immer wieder über diese Ungerechtigkeit. Um auf den Missstand aufmerksam zu machen, hat er eine E-Mail an den Betreiber der Diskothek geschickt, jedoch ohne eine Resonanz. "Geändert hat sich seitdem nichts."

Jeden Freitag geht Majd in die Moschee. Dort hat er erfahren, dass viele Syrer in Freising angekommen sind. Er besucht sie in der Asylunterkunft, spricht mit ihnen, versucht ihnen Mut zu machen. Vor Kurzem hat ihn der Besitzer eines türkischen Lebensmittelgeschäftes in Freising angesprochen. Er habe so viel Obst übrig und würde es gerne den Flüchtlingen spenden, wisse aber nicht wie. Das bringt Majd jetzt immer mit zu den Asylbewerbern.

Es scheint, als könne Majd sein Leben hier fortsetzen, nur eben nicht auf dem Level, das er in Syrien einmal hatte und ohne seine Familie. Aber er ist froh, hier so gut angekommen zu sein. Nur noch eine Kleinigkeit fehlt Majd, damit er sich vollends angekommen fühlt: sein Führerschein. Den macht er momentan abends nach der Arbeit, wenn er kein Training hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: