Musik, Tanz und Theater:Der Gottesdienst als Popkonzert

Seit April 2016 ist die religiöse Gruppe "International Christian Fellowship" in Freising aktiv. Der Verein vermittelt eine sehr konservative Theologie auf "poppige" Weise. Um eine Sekte handelt es sich jedoch nicht

Von Clara Lipkowski, Freising

Was in Kirchen Gottesdienste sind, sind bei der Freikirche ICF "Celebrations". Das sonntägliche Ritual an der Haggertystraße folgt dabei keiner Liturgie, sondern einem "Style" und das Kirchengebäude heißt auch nicht Kirche, sondern "Celebrationhall". Die religiöse Gruppe "International Christian Fellowship" ist seit April in Freising aktiv. Zu den sonntäglichen Messen kommen bis zu 80 Menschen. Sich selbst bezeichnet ICF als überkonfessionelle Kirche auf biblischer Grundlage. Zuletzt war sie aufgefallen, als sie für den Gebrauchtwarenladen Rentabel in Freising Mitte Oktober ein Benefizkonzert veranstaltet hatte und die Einnahmen von ein paar hundert Euro spendete. Sie ist ein Ableger der gleichnamigen Freikirche, die 1996 in der Schweiz gegründet wurde und dort viel Zulauf hat.

In und um München gibt es mittlerweile vier ICF-Gruppen, eine davon ist die in Freising. Markus Kalb steht ihr seit September als "Preacher", also Pastor vor. Eine kirchliche Anerkennung hat ICF nicht, deswegen ist die Freikirche als Verein tätig.

Was aber ist ICF für eine Organisation? Laut Kalb geht es vor allem darum, "die Leute mit Gott zu "connecten", nicht mit einer Kirche, es gebe keine Vereinsbeiträge oder Aufnahmerituale, wer Lust habe kommt, wer nicht, bleibt weg, so beschreibt es Kalb. Der Verein finanziere sich zu 100 Prozent aus Spenden. ICF zählt sich zur "neocharismatischen Bewegung", deren Grundlage neben der Bibel eine persönliche Beziehung zu Jesus ist. Im Internet wirbt die Freikirche damit, dass man in Gott "persönlich begegnen" und kennenlernen könne. Wie soll das gehen? "Wir glauben an einen lebendigen Gott", sagt Kalb, "Gott ist nicht nur eine laute Stimme, die man vom Himmel hört, sondern in unserer Atmosphäre. Und das kann man in unseren Celebrations spüren." Statt sich starrer, überholter Kirchenriten zu bedienen, sei die Gemeinde "neu und anders". Die "Celebrations" würden moderner gestaltet, mit viel Musik, Tanz, Theater, Musical und der Freiheit, sich zu bewegen.

Bernd Dürholt ist Experte für neue religiöse Bewegungen beim evangelisch-lutherischen Dekanat in München. Er beschäftigt sich schon länger mit ICF. Er hat zwei "Celebrations" besucht und kann die Faszination für die Organisation durchaus verstehen: "Interessierte werden sehr herzlich und offen empfangen, zudem sind die Gottesdienste sehr poppig und mit teils sehr guter Musik perfekt inszeniert." Problematisch sei aber, dass der Verein auf diese "poppige" Weise eine sehr konservative Theologie vermittelt, etwa zum Bibelverständnis und in ethischen Fragen. "Zum Umgang mit Homosexualität bleiben die Prediger unklar, die Positionen interpretationsdürftig", sagt Dürholt. Noch im vergangenen Jahr war in den Münchner Gruppen Homosexualität als Sünde abgelehnt worden.

Darauf angesprochen erwidert der Prediger Kalb: "So einfach ist es nicht. Wir glauben, dass es nicht Gottes Idee ist, Sex vor der Ehe zu haben oder gleichgeschlechtlich zu lieben. Unsere Linie ist: Wir lieben Gott und wir lieben alle Menschen, das hat Jesus auch getan." Jeder sei willkommen, versichert er, schließlich hätten auch unter den ICF-Mitarbeitern ein paar einen "alternativen Lebensweg" eingeschlagen.

Neben den "Celebrations" dienen "Smallgroups" dem direkten Austausch untereinander. In Freising existieren derzeit drei solcher Gruppen, in denen etwa 20 Teilnehmer Themen wie Scheidung oder Sex vor der Ehe und deren Vereinbarkeit mit dem Glauben diskutieren. Eine vierte ist geplant.

Diese Kleingruppen sieht Dürholt als potenziellen Ort der Gefährdung. Je tiefer Mitglieder in Gemeindestrukturen und Materie einsteigen, desto größer sei die Gefahr, nicht mehr heraus zu kommen, vermutet er. Denn das Problem sei, dass die ICF-Mitarbeiter in diesen Gruppen auch seelsorgerisch tätig werden, gleichzeitig aber wenig über die interne Ausbildung bekannt ist. "Die Frage ist: Wie werden hier eventuell auftretende psychische Probleme und Glaubenszweifel aufgefangen?" Der Prediger Kalb wiegelt ab: "Ich selbst bin von meiner Begabung kein Seelsorger." Dafür seien andere zuständig, die dafür ausgebildet sind. Professionelle Schulungen erhielten Mitarbeiter aus einem Netzwerk aus Landes- und Freikirchen oder ökumenischen Stellen. Konkreter wollte er nicht werden.

Derzeit würden die ICF-Kirchen - auch die in Freising - noch von ihren Pastoren theologisch geprägt, sagt Dürholt. Die Organisation einzuordnen, sei deshalb schwierig. Den Begriff "Sekte" meidet er: "Eine Sekte ist ICF auf jeden Fall nicht. Eher würde ich sagen, eine evangelikale, neucharismatische Gruppe." Viele Fragen seien ihm bisher nicht beantwortet worden. Womit ICF vor einigen Jahren in der Schweiz aufgefallen ist, erinnert aber sehr stark an einen Kult. In einer "Celebration" von 2010 schilderte der Mitbegründer der ICF, Leo Bigger, detailliert wie er eine Frau von Dämonen befreite. Das sei natürlich theologisch problematisch, sagt Dürholt. Hier müsse man fragen: "Ist das seelsorgerisch verantwortbar? Was für Auswirkungen kann das auf die Psyche der Betroffenen haben?" Der Freisinger Prediger Kalb reagiert überrascht. Von einer Dämonenaustreibung habe er noch nicht gehört, sagt er, in Freising sei dies auch noch nie vorgekommen. Für ihn aber sei klar: Wer psychisch erkrankt ist, sollte zum Psychologen und nicht zum Dämonenaustreiber.

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