Moosburg:Die andere Kraft

Moosburg: Andreas Bochinski (2. von links) ist einer von drei Asylsozialberater bei der Caritas und für etwa 160 Menschen zuständig.

Andreas Bochinski (2. von links) ist einer von drei Asylsozialberater bei der Caritas und für etwa 160 Menschen zuständig.

(Foto: Marco Einfeldt)

Viele der Asylbewerber im Landkreis haben eine harte Zeit auf der Flucht gemeistert. Jetzt aber brauchen sie "Dokumente, Zettel und Connections" für ihre Verfahren. Asylsozialberater Andreas Bochinski hilft ihnen

Von Gudrun Regelein, Moosburg

Farid, der junge Afghane, balanciert ein Tablett mit Thermoskanne, Teetassen und Zucker vor sich her. "You want tea?", fragt er Andreas Bochinski und gießt dem Asylsozialberater der Caritas eine Tasse des dampfenden Tees ein. Farid lebt seit vier Monaten in dem Normstahl-Gebäude, das zur Asylunterkunft umfunktioniert wurde. "Es gefällt mir hier", sagt er in perfektem Deutsch. In Afghanistan arbeitete der 22-Jährige als Englisch-Lehrer, hier in Deutschland würde er gerne studieren. Aber dafür braucht er immer wieder neue Dokumente, weshalb er auch in die Beratung von Bochinski gekommen ist.

55 Menschen wohnen in der Unterkunft, Familien und alleinstehende Männer. Hauptsächlich aus Afghanistan seien diese geflohen, aber auch aus Nigeria und dem Senegal, berichtet Bochinski. Seit vergangenem Herbst betreut und berät er Flüchtlinge, er ist einer von drei Asylsozialberatern bei der Caritas und ist für etwa 160 Menschen zuständig. Laut dem Landratsamt leben derzeit 2223 Asylbewerber im Landkreis Freising, um diese kümmern sich neben den vielen ehrenamtliche Helfern die professionellen Asylsozialberater. Momentan sind für diese exakt 11,25 Stellen vergeben. Dazu kommen noch einmal zwei sogenannte Objektbetreuer, die zwar keine sozialpädagogische Ausbildung haben, die aber dennoch Ansprechpartner für die Asylbewerber sein sollen.

Eigentlich sei der Schlüssel ein Asylsozialberater für 150 Flüchtlinge, das wäre für ihn auch eine "vernünftige Arbeitsgrundlage", sagt Bochinski. Für ihn bedeute die größte Herausforderung die Vielzahl an Menschen, die er betreue - und die Fülle der Anforderungen. "Jeder befindet sich in einer anderen Phase des Asylverfahrens: Bei dem einen geht es um eine Erstorientierung, bei dem anderen um Deutschkurse und bei dem dritten darum, eine Arbeit und Wohnung zu finden."

In der Normstahl-Unterkunft bietet Bochinski einmal in der Woche eine Sprechstunde an. "Ich suche die Menschen dort auf, wo sie leben." Das habe eine ganz andere Intensität, sagt er. Die Flüchtlinge seien dankbar für jeden, der zu ihnen komme, "sie nutzen jede Hand, die sich bietet", seien froh um die Besuche der Asylsozialberater oder der Ehrenamtlichen. Gerade betreut eine Flüchtlingshelferin im Nebenraum die Kinder, die in der Unterkunft leben, bei ihren Hausaufgaben. Am Abend werde dort noch ein Deutschkurs stattfinden, berichtet Bochinski. Es gebe viele, die sich freiwillig engagierten. Vielleicht, weil man viel zurückbekomme. "Von Menschen, die nichts mehr haben."

Herzlichkeit und Wärme seien das beispielsweise. "Wir können auch viel von den Flüchtlingen lernen." Viele Dinge würden sich vom Büro im Caritaszentrum aus nicht überblicken lassen, vieles erfahre er nur an Ort und Stelle in der Unterkunft, erzählt Bochinski weiter.

An diesem Nachmittag habe ihm ein Bewohner beispielsweise die Unterschränke in der Küche gezeigt, die in der vergangenen Woche repariert wurden. Ein anderer habe ihn wegen eines Krankenscheins für einen Neurologen angesprochen. "Die Themen haben eine Wahnsinns-Bandbreite", sagt Bochinski. Da gehe es um Gesundheit, um Deutschkurse, um das MVV-Ticket, darum, Familienmitglieder nachzuholen, aber auch um Konflikte im Haus und um individuelle Probleme, beispielsweise um Beziehungskonflikte. Je besser er die Flüchtlinge kennenlerne, umso mehr erfahre er von ihnen - und von ihren seelischen Belastungen. Das Einzige, was er nicht leisten könne, sei eine Rechtsberatung.

Sein kleines Zimmer im Keller des Gebäudes ist spartanisch eingerichtet. Nur ein kleiner Tisch, drei Stühle und ein Feldbett stehen hier, das einzige Bild an der Wand hat er selber aufgehängt. "Das ist dem Stil des Hauses angepasst. Karg, so, wie das Leben der Flüchtlinge hier auch ist", sagt Bochinski und geht in den ersten Stock. Aus einem der Zimmer dringt laute Musik, Schuhe stehen vor den Türen, in einer Ecke Kinderwagen. Der Berater klopft an eine Tür und tritt vorsichtig ein. In dem Zimmer ist es sehr warm, die rosa Vorhänge an den Fenstern sind zugezogen und lassen kaum Tageslicht herein. Eine junge, hochschwangere Frau sitzt auf dem Bett und schaut Bochinski erwartungsvoll an. Sie erwarte Zwillinge, lebe mit ihrer zehn Monate alten Tochter alleine hier, berichtet Bochinski. Die junge Frau hofft, dass ihr Partner, der in einer anderen Unterkunft lebt, bald nach Moosburg kommen dürfe. Sie sei müde, sagt sie.

In dem Gespräch mit dem Asylsozialberater geht es um eine finanzielle Unterstützung für die Baby-Erstausstattung, um den Arzttermin am nächsten Tag und um die Entbindung. Ende Mai ist der errechnete Termin, aber sie glaubt, dass die Babys früher geboren werden, sagt sie und legt die Hände schützend um ihren Bauch. Von ihrem Partner habe sie nichts gehört, beantwortet sie Bochinskis Frage und schüttelt müde den Kopf.

Manchmal seien seine Schützlinge auch frustriert, wegen der oft sehr langwierigen Asylverfahren beispielsweise. "Da kann aber auch ich nichts machen", sagt Bochinski. Auch bei der Vermittlung in eine eigene Wohnung könne er - bei der angespannten Wohnungssituation - nur ganz wenig helfen. Natürlich spüre er die Befindlichkeiten der Flüchtlinge, er wolle "berührbar" sein - aber er müsse auch handlungsfähig bleiben. "Ich versuche, mich von Misserfolgen nicht runterziehen zu lassen." Er trage viele positive Bilder mit sich, es gebe auch viele kleine Erfolge, schildert Bochinski. "Ich bin kein Wundermensch, aber ich versuche, den Menschen in ihrer schwierigen Situation Kraft und Zuversicht zu geben." Das seien "tolle Powertypen", sonst wären sie nicht hier. Derzeit aber bräuchten sie eine andere Kraft, jetzt gehe es um Dokumente, Zettel und Connections, jetzt bräuchten sie Kraft, das langwierige Verfahren durchzustehen.

Steve aus Nigeria möchte ihn sprechen. Der junge Mann will unbedingt arbeiten - egal was, Hauptsache einen Job haben. Um Geld zu verdienen, um Kontakte zu knüpfen und Deutsch zu lernen - um sich besser zu fühlen, wie Bochinski es formuliert. "Das Leben hier ist langweilig", sagt er und verfällt unwillkürlich ins Englische, als er den Tagesablauf der Bewohner beschreibt: "Sleeping and eating."

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