Pflegedienste boomen:Wenn das Alter zur Mühsal wird

Pflegezeit

Wer im Alter zu Hause Hilfe braucht, ist auf Mobile Pflegedienste angewiesen

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Mobile Pflegedienste sind für immer mehr Senioren, die zu Hause leben, unabkömmlich und der Bedarf ist groß. Die Personaldecke aber ist dünn und Fachkräfte werden darum händeringend gesucht.

Von Christian Gschwendtner, Freising

Es ist 8.17 Uhr und Christian Grassl schließt eine Wohnungstür auf, die ihm nicht gehört. Grund zur Sorge ist das nicht. Christian Grassl kommt in guten Absichten. Die alte Dame hinter der Tür empfängt ihn mit einem Lächeln. Sie hat es sich bereits in der Essnische bequem gemacht und weiß natürlich was kommt: Blutzucker messen, Tabletten einnehmen, die Insulinspritze. "Business as usual" könnte man sagen. Wenige Monate ist es her, da hat die 87-Jährige zusammen mit ihrem Mann den 70. Hochzeitstag gefeiert. Weil der aber noch schläft, spricht sie jetzt gleich für ihn mit: "Der Pflegedienst hat uns wieder in Topform gebracht". Und deshalb bekommt Altenpfleger Grassl wie jedes Mal Süßigkeiten angeboten. Tägliche Routine eben.

Die ambulanten Pflegedienste im Landkreis boomen. Schon jetzt können sie die Nachfrage kaum noch bedienen. Wenn zum 1. Januar 2017 das geplante Pflegestärkungsgesetz II in Kraft tritt, dann dürften die Engpässe weiter zunehmen. Statt den bisherigen drei Pflegestufen soll es dann fünf sogenannte Pflegegrade geben. Bei den Ambulanten weiß noch keiner so genau, wie sich diese Umstellung konkret in der Praxis auswirken wird. Sie könnten aber die großen Profiteure werden. Brigitte Solick hält es für wahrscheinlich, dass der Grundsatz "Ambulant vor stationär" künftig noch stärker zur Anwendung kommt. Solick ist Leiterin des Mobilen Heiliggeist-Pflegedienstes, einer von vier ambulanten Einrichtungen in Freising. Gerade hat sie das zehnjährige Bestehen gefeiert. Anders als ihre Mitkonkurrenten haben die Heiliggeist- Dienste im Moment noch Kapazitäten frei. Das sei aber alleine den konjunkturellen Schwankungen geschuldet und werde sich schon bald wieder ändern, sagt Solick.

Wie alle anderen ambulanten Pflegedienste im Landkreis Freising sucht Solick deshalb händeringend nach Fachkräften. Nur finden sie allesamt kein neues Personal. Die Rückmeldung auf Stelleninserate ist äußerst dürftig. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an den Pflegeberuf rasant. "Wenn es von den Rahmenbedingungen her einigermaßen passt, der Bewerber qualifiziert ist, würden wir sofort einstellen", sagt Regina Simnacher von der Caritas in Freising. Bei den Pflegediensten des Roten Kreuzes und der Arbeiterwohlfahrt ist der Tenor derselbe. Besonders begehrt sind die Touren am frühen Morgen, bei denen Alte und Kranke gewaschen und für den Tag fit gemacht werden. Während dieser Pflege-Rushhour ist die Personaldecke aber derart dünn besiedelt, dass Anfragen abgelehnt werden müssen.

Die Arbeit muss Freude machen

Grassl Krankenpfleger

Christian Grassl wollte ursprünglich einmal Fachinformatiker werden. Über den Zivildienst ist er dann beim Heiliggeist Pflegedienst gelandet

(Foto: Lukas Barth)

Auch Christian Grassl ist eher zufällig zum Beruf des Altenpflegers gekommen. Ursprünglich wollte der 29-Jährige einmal Fachinformatiker werden. Über den Zivildienst ist er dann beim Heiliggeist-Pflegedienst gelandet. Heute ist Grassl dort stellvertretender Leiter. Die Arbeit macht ihm Spaß. Und diese Freude am Beruf sei auch besonders wichtig, sagt Grassl, sonst halte man nicht lange durch. Seiner Ansicht nach ist die Bezahlung von Pflegekräften gar nicht das größte Problem. Diese sei in den vergangenen Jahren besser geworden. "Viele junge Leute schrecken einfach die unattraktiven Arbeitszeiten ab, die Dienste an Wochenenden und feiertags", sagt er.

Grassl selbst hat den nötigen Elan. An diesem frühen Mittwochmorgen geht es weiter zu einem Freisinger Mehrfamilienhaus, die Treppen hoch, auf der Türschwelle wartet bereits die nächste ältere Dame. Und wie so oft an diesem Tag spielen sich rührselige Szenen zwischen Rollatoren und Kompressionsstrümpfen ab. Die Rentnerin erzählt, wie schwer es ihr - die selbst ein Leben lang andere Menschen gepflegt hat - am Anfang gefallen sei, Hilfe von außen zu akzeptieren, und wie sehr sie sich jetzt über die Anwesenheit des jungen Helfers freut.

Da ist auch noch die Frau, bei deren Mann gewissermaßen mit dem Übergang in den Ruhestand Parkinson diagnostiziert wurde. Vor sechs Wochen hat sie sich beim Versuch, ihren stürzenden Gatten aufzufangen die Zähne ausgeschlagen. Für den Zahnarztbesuch ist seitdem keine Zeit. Sie kann ihren Mann nicht so lange alleine lassen. Umso mehr merkt man ihr die Erleichterung wegen des Pflegedienstes an. Es sind überhaupt auffällig viele Frauen, die ihre Männer aufopferungsvoll pflegen.

Weil die ambulanten Dienste in der Regel keine 24-Stunden-Betreuung anbieten können, weil Heimpflege ein kostspieliges Unterfangen ist, greifen immer mehr Haushalte auf osteuropäische Arbeitskräfte zurück. Das Internet ist voll mit entsprechenden Inseraten. Von den 586 Empfängern ambulanter Pflegeleistungen im Landkreis Freising (Stand Dezember 2013) dürften etwa zehn Prozent diese Dienste in Anspruch nehmen, heißt es in der Branche. Die Beschäftigungsverhältnisse sind oftmals schwierig. Für viele ist der ambulante Pflegedienst trotz Haushaltshilfe unabkömmlich. Und deshalb muss Christian Grassl an diesem Vormittag auch weiter. Auf seiner To-do-Liste auf dem Smartphone fehlen noch einige grüne Häkchen.

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