Mitten in Freising:Monsterjagd am Rockkonzert

Wer sich blind in der Oberen Hauptstraße zwischen einparkenden Autos, rasenden Radlern und freischwingenden Baggerarmen bewegt, spielt nicht nur Pokémon, sondern auch mit seinem Leben

Von serafine dinkel

Endlich gehen die auch mal raus", freuen sich Eltern pubertärer Computerzocker. Während ordinäre PC-Spiele ihre Fans dazu veranlassen, im abgedunkelten Zimmer vor dem Computer zu kauern, bringt sie die Handy-App Pokémon Go nach draußen. Raus aus dem Elektrosmog, rein in die Natur. Könnte man meinen.

Die irrealen Pokémons findet man auf einer realen Karte. Wer eines der Monster fangen will, muss laufen. "Augmented Reality", "erweiterte Realität", heißt das Konzept, das virtuelle Elemente in die reale Welt einbindet. Die wäre allein zu langweilig, es muss die erweiterte Fassung her, wie bei einem alten Brettspiel. Spinnt man die Erweiterung weiter, braucht man bald kein Smartphone mehr, um die Tierchen zu sehen, sondern nur noch eine smarte Brille. Keine schlechte Lösung vielleicht - so könnten Pokémon-Jäger wieder aufrecht gehen. Die Körperhaltung derer, die man in Freisings Innenstadt antrifft, ist nämlich kaum besser als die der Drinnenzocker: Zwar laufen sie, sind dabei aber bucklig übers Display gebeugt.

Das kann gefährlich werden. Automobilclubs warnen vor dem Einsatz des Spiels im Straßenverkehr. Aber auch Fußgänger müssen aufpassen: Wer sich quasi blind in der Oberen Hauptstraße zwischen einparkenden Autos, rasenden Radlern und freischwingenden Baggerarmen bewegt, spielt nicht nur Pokémon, sondern auch mit seinem Leben. Manche Zocker scheinen tatsächlich wie mit Scheuklappen durch die Stadt zu laufen. So wie ein Grüppchen Jugendlicher, das neulich während der Rockklassiker-Show vor dem Süßwarenstand zum Stehen kam, die Bühne keines Blickes würdigte und laut fluchend Pokémons suchte. Oder der junge Mann, der sich während des Konzertes einen Weg mitten durch die Menge bahnte wie Moses durchs Rote Meer: Isoliert vom ausgelassenen Feiern und der mitreißenden Musik, hielt er nicht den Heiligen Gral, sondern sein Smartphone in die Höhe, die Pokémon-Go-App geöffnet.

Das "Immerhin bewegt man sich"- Argument ist übrigens nicht haltbar. Rumlaufen kann man mittels anderer Apps und einfacherer Tricks auch virtuell, das GPS lässt sich täuschen. Manch einer spielt angeblich längst nicht mehr auf Freisings Straßen, sondern in den USA.

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