Mitten im Landkreis:Vor dem Nisten ausmisten

Was man bei der Vogelbeobachtung alles lernen kann

Von Berthold Neff

Wie das so ist im Leben, muss man sich immer wieder eingestehen, dass der Weg zur Hölle tatsächlich mit guten Vorsätzen gepflastert ist. So zum Beispiel hatte man sich für den Winter ganz fest vorgenommen, den Nistkasten hoch oben in der Gleditschie zu säubern, den die Kohlmeisen im vergangenen Frühjahr geentert und zur erfolgreichen Reproduktion genutzt hatten. Aber dann war es mal zu windig oder zu kalt, mal zu matschig oder zu warm, um die Leiter aus dem Keller zu holen und auf ihr zur Vogel-Behausung emporzusteigen.

Und plötzlich war es auch schlicht zu spät dafür, das alte Nest samt aller Hinterlassenschaften zu entfernen, denn die Kohlmeisen hatten sich schon wieder eingefunden. Nun, da sie wieder rund um das Einflugloch herumschwirrten, war ans Saubermachen nicht mehr zu denken. Man will ja schließlich kein Unmensch sein und ihnen das häusliche Niederlassen verleiden. Man lässt also die Leiter im Keller und sucht sich ein bequemes, sonniges Plätzchen, um das Treiben in der luftigen Höhe genau zu beobachten.

Leider kann man die einzelnen Vögel überhaupt nicht auseinanderhalten. Eine Meise hackt wie wild auf das Holz am Einflugloch ein. Das ist, so viel weiß man immerhin, ein Männchen, das die künftige Nisthöhle auf ihre Tauglichkeit hin inspiziert und dabei - nicht ganz unwesentlich - auch schon Brautschau betreibt. Und dann schlüpfen die ersten Meisen durch das Loch hinein und tun, was der Mensch dort auf der Terrasse versäumt hat: Sie misten aus. So geht das ein paar Tage lang, und dann ändern sich die Vorzeichen auf einen Schlag. Jetzt wird angeliefert, hier ein Grasbüschel, dort etwas Moos, da passt schon einiges in so einen Schnabel, auch wenn er recht klein ist.

Angesichts der regen Tätigkeit fällt es einem schwer zu glauben, dass hier nur ein Pärchen zugange ist. Die Fachliteratur versichert, dass Kohlmeisen eine monogame Saisonehe führen - aber es steht nirgends geschrieben, dass sie auch Saisonarbeiter beschäftigen, die ihnen beim Hausbau helfen, Schwarzarbeiter sicherlich. Aber vielleicht haben sie, da es ja bei ihnen einen zunehmenden Anteil an Nichtbrütern gibt, eine stille Übereinkunft getroffen: Dieses Jahr helfe ich dir, im nächsten Jahr machen wir es umgekehrt. So finden die jungen Männchen, die in den meisten Populationen in der Mehrheit sind und deshalb zwangsläufig ohne Partnerin bleiben, eine sinnvolle Beschäftigung.

So sinnvoll solche Absprachen für den Arbeitsmarkt und das Bruttosozialprodukt sein mögen - es gibt einen, der solche Verträge mit einem Schlag zunichte machen kann. Schon nähert er sich lautlos, auf leisen, schwarzen Sohlen. Man wird den Kater der Nachbarin im Auge behalten müssen. Er schafft es nämlich auch ohne Leiter nach oben zum Nistkasten.

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