Mehr Arbeit am Erdinger Amtsgericht:Richter am Limit

Weil immer mehr Passagiere des Flughafens gegen Airlines klagen, müssen heuer 4400 Verfahren bewältigt werden

Von Regina Bluhme, Flughafen

Kommt es am Münchner Flughafen zu Verspätungen, Annullierungen oder Überbuchungen, dann bedeutet das Ärger für Passagiere und Fluggesellschaften - sowie jede Menge Arbeit für das Amtsgericht Erding. Mittlerweile machen dort Klagen gegen Fluglinien über zwei Drittel der Zivilverfahren aus. Wegen des Mehraufwands fehlten derzeit sieben Richterstellen, sagt Stefan Priller, Pressesprecher des Erdinger Amtsgerichts.

Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahr 2011 wurden laut Stefan Priller am Amtsgericht Erding 1500 Zivilverfahren behandelt. "Heuer steuern wir auf 4400 Verfahren zu, gut zwei Drittel davon sind Entschädigungsverfahren gegenüber Fluglinien." Kommt es bei Flügen, die in München gelandet oder gestartet sind, zu rechtlichen Streitigkeiten, dann ist nämlich das Amtsgericht Erding zuständig. Bei den Klagen gegen Airlines liegt laut Priller die Kreisstadt deutschlandweit mittlerweile auf Platz Zwei. "Nur das Amtsgericht Frankfurt hat noch mehr zu bewältigen."

Dabei geht es mitunter recht international zu. Klagt zum Beispiel ein spanischer Reisender gegen die Fluggesellschaft Iberia, dann findet das Verfahren immer dann in Erding statt, wenn das Flugzeug in München gestartet ist. "Wir haben schon viel Auslandsbeteiligung auf beiden Seiten", sagt Priller. Was wiederum einen erheblichen Mehraufwand bedeute, zum Beispiel für die Zustellung der Klageunterlagen und für Vernehmungen; mitunter müssten Zeugen sogar eigens eingeflogen werden, auch schon mal aus Dubai.

Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Passagieren beriefen sich die Fluglinien meist auf einen "außergewöhnlichen Umstand", so Priller. Liegt der vor, ist die Airline nicht entschädigungspflichtig. Gerade ist am Amtsgericht ein Verfahren wegen eines Flugausfalls anhängig. "Kurz vor dem Start ist der Pilot auf einer Eisplatte ausgerutscht, der Flug musste abgesagt werden", sagt der Pressesprecher. Kann sich die Fluglinie auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen oder müsste sie immer einen Piloten in Reserve halten? Das Urteil steht noch aus.

Ziemlich eindeutig ist die Lage bei Verspätungen oder Flugausfällen aufgrund von Gewittern. Ein Blitzschlag ist ein außergewöhnlicher Umstand. Ebenso der Brand am Flughafen Rom, der im Mai 2015 die Reiseroute vieler Gäste durcheinander brachte. Erfolg mit seiner Klage hatte dagegen ein Passagier, dessen Flug Verspätung hatte, weil es auf der maroden Rollbahn einer griechischen Insel zu einem Reifenplatzer gekommen war.

"Wir sind das am meisten belastete Amtsgericht in ganz Bayern", sagt Priller. Das im April eröffnete Satellitenterminal am Flughafen habe seine Auswirkungen, "ganz zu schweigen, wenn die dritte Startbahn kommt". Nach Auskunft des Amtsgerichts hat Erding derzeit exakt 13,25 Richterplanstellen, darunter einige Teilzeitstellen. "Das ist viel zu wenig", sagt der Pressesprecher. "Gemessen an der Zahl der Verfahren müssten es sieben Richter mehr sein." Noch eine Zahl nennt der Pressesprecher: Es gibt eine Kennziffer für die Arbeitsbelastung, die ein Richter bewältigen kann. "Sie wurde auf 1,0 festgelegt, in Erding beträgt sie 1,6." Ein kleiner Lichtblick ist in Sicht: Im Dezember wird laut Priller eine zusätzliche Richterstelle besetzt werden. Das Arbeitspensum wird weiter steigen, davon ist der Sprecher des Amtsgerichts überzeugt.

"Man schätzt, dass in der Vergangenheit nur 20 Prozent aller Anspruchsberechtigten gegen Fluglinien geklagt haben", so Priller. Mittlerweile pochten aber immer mehr Fluggäste auf Entschädigungen. Ein Grund sind seiner Ansicht nach unter anderem die vielen Online-Rechtsberatungsportale, "bei denen sie sich schnell informieren können, ob sie mit Ihren Forderungen vor Gericht Aussicht auf Erfolg haben".

Die Urteile aus Erding erwiesen sich immer wieder als Grundsatzentscheidungen, die in die Fachliteratur eingehen würden, so Priller. "Bei den meisten Verfahren bei uns geht es um Ausgleichsansprüche bis maximal 600 Euro. Bis zu dieser Höhe ist keine Berufung möglich." Somit entscheidet hier der Erdinger Richter also sowohl in erster als auch in zweiter Instanz.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: