Mehr Angebote für betroffene Familien:Einfach mal tief ausatmen

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Die Leistung der pflegenden Angehörigen spielt bei der Betreuung von Demenzkranken ein große Rolle. Dennoch brauchen auch sie einmal eine Auszeit, die Hilfsorganisationen haben darauf reagiert

Von Gudrun Regelein, Freising

Etwa 1,6 Millionen Menschen in Deutschland sind laut Bundesministerium für Gesundheit bereits heute an Demenz erkrankt. Bis zum Jahr 2050 werde sich diese Zahl noch einmal nahezu verdoppeln. "Die meisten von uns werden sich wohl in irgendeiner Form mit diesem Thema auseinandersetzen müssen", sagt Edith Wesel von der Caritas Freising. Gemeinsam mit Marianne Lieb von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Moosburg betreut sie in der Fachstelle für pflegende Angehörige und in der Koordinierungsstelle für niedrigschwellige Betreuung betroffene Familien. Deren Zahl steigt, berichtet Wesel. "Aber wir haben auch mehr Angebote für die Betroffenen und ihre Familien." Das Hilfsnetzwerk im Landkreis sei weit gespannt.

Im neu eröffneten Café Malta des Malteser-Hilfsdienstes beispielsweise können sich demenzerkrankte Menschen regelmäßig treffen. Jeden Donnerstag wird dort gemeinsam gefrühstückt und dann zusammen mit den haupt- und ehrenamtlichen Begleitern entschieden, wie der Vormittag gestaltet wird: Gesellschaftsspiele, Malen, Spaziergänge oder auch Marmelade einkochen stehen auf dem Programm. Auch die Caritas hat ein ähnliches Angebot: Das Café Miteinander. In zwei Gruppen werden demenzerkrankte Menschen jeden Dienstag in einer entspannten Atmosphäre betreut - es wird gesungen, gebastelt, erzählt und gescherzt. "Beim letzten Mal war ein früherer Musiker da. Er hatte sein Keyboard dabei, alle haben mitgesungen und waren richtig high", berichtet Doris Burghart-Kirsch von der gerontopsychiatrischen Fachberatung der Caritas Freising. "In der Runde wurde der Musiker wieder zu einer ganz anderen Persönlichkeit, einer, die Zuhause nicht mehr erscheinen kann", sagt sie.

Das Café Miteinander sei ein wunderbares Angebot - nicht nur für die demenzerkrankten Gäste, die hier ein wenig Abwechslung in ihrem Alltag erleben und ihre eigenen Fähigkeiten wieder entdecken können. Sondern auch für ihre Angehörigen, die entlastet werden und einmal Zeit für sich selber haben. "Das ist ein tiefes Ausatmen, das Wissen, da kann ich ihn lassen, es geht ihm gut", schildert Burghart-Kirsch. Die Betreuung demenzerkrankter Familienangehöriger sei immens anspruchsvoll. "Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist es eine Herausforderung." Spätestens dann, wenn die Erkrankten nicht mehr alleine gelassen werden können. "Bei älteren Ehepaaren höre ich sehr oft von den pflegenden Partnern, dass es viele Jahre mit einer Betreuung rund um die Uhr gegeben hat. Bis die Überforderung schließlich so groß ist, dass sie komplett handlungsunfähig sind."

Die pflegenden Angehörigen spielten eine ungemein große Rolle, denn ohne sie würde die ambulante Betreuung nicht funktionieren, betont Edith Wesel. Sie könne nur jedem raten, sich frühzeitig Hilfe zu suchen - auch wenn es zunächst schwerfalle. Sei es aus Scham, da die Krankheit noch immer stigmatisiert werde - oder aus dem Gefühl heraus, das erkrankte Familienmitglied dann im Stich zu lassen. Angebote für betroffene Familien aber gebe es viele. Neben der Beratung nennt Wesel die Schulung für Angehörige als idealen Einstieg: Ein mehrtägiges Seminar mit vielen Informationen über die Erkrankung, Leistungen der Pflegeversicherung und über verschiedenste Hilfsangebote. "Grundsätzlich geht es darum, überhaupt erst einmal einordnen zu können, wie man mit dieser Situation umgeht", betont Wesel. Unterstützung finde man aber auch durch Betreuungsgruppen und Helferkreise, in Angehörigengruppen, durch ambulante Pflegedienste, die hauswirtschaftliche Versorgung und die Tagespflege. Sogar eine Wohngemeinschaft für demenzerkrankte Menschen gebe es im Landkreis. Für Pflegeleistungen gebe es seit Einführung des neuen Pflegestärkungsgesetzes auch mehr Geld - gerade bei der Tagespflege, berichtet sie.

Dass man auch einmal loslassen könne, müssten viele Angehörige von demenzkranken Partnern aber erst mit der Zeit lernen. Bei einem von ihr betreuten Ehepaar habe sich der Ehemann jede Woche einen Tag "frei" genommen und sei Radfahren gegangen, erzählt Edith Wesel. Seine demente Frau habe er in die Tagespflege gebracht. Die Pause sei für beide gut gewesen: "Ohne diese Zeit für sich selber hätte er es vielleicht nicht ausgehalten", sagt Edith Wesel.

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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