Kommentar:Hausgemachter Verlust

Dem Kleingetier fehlen die Rückzugsorte

Von Alexandra Vettori

Man muss wohl nicht auf die Trends der Igelzählung warten, es ist auch so schon klar, dass es weniger werden. So wie Vögel, Bienen und Amphibien. Schuld daran sind keine Großwildjäger, auch nicht das Klima, sondern wir alle. Wir, die wir bereitwillig Lebensmittel kaufen, die mit Pestiziden und anderen Giften behandelt wachsen, wir, die wir unseren Garten im Herbst besenrein machen und eine öffentliche Grünpflege in unseren Wohnorten dulden, die auf Topfpflanzen und Kurzgeschorenes setzt und in wuchernden Hecken und ungemähtem Gras eine Einladung zur Müllablagerung und Gefährdung der Sicherheit sieht.

Immer wieder beklagen sich Bürger über rüden Rückschnitt in Parks und an Wegen, stets bekommen sie aus den Rathäusern oder Bauhöfen dieselben Antworten: Wegesicherung, Verkehrspflicht, Ordnung. Bittet man die ausführenden Organe, wenigstens punktuell natürliche Rückzugsorte für Kleingetier zu lassen, erntet man verdrehte Augen und Unverständnis. Den Fuhrpark der Stadtgärtner und Bauhofmitarbeiter hält keiner an, Ausnahmen sind nicht vorgesehen. In den Rathäusern hält man sich zurück, verweist auf die Vielzahl anfallender Arbeiten. Das eine Biotop hier, die andere extensive Blumenwiese dort. Ein echtes Naturschutzkonzept für öffentliches Grün, angepasst an den natürlichen Standort, gibt es nirgends.

Nun kann man darüber streiten, ob kahl geblasene Grünflächen und lichtes Gehölz wirklich ästhetischer sind als das Gestrubbel, das die Natur im Winter bietet. Und vermutlich kann man auch darüber streiten, ob Laub- und Strauchhaufen in einer Ecke des Parks, Friedhofes oder Sportplatzes wirklich ein Sicherheitsrisiko darstellen. Über eines aber kann man nicht streiten: Der Verlust der Artenvielfalt, der sich längst auch auf Allerweltstierchen wie Igel und Amseln erstreckt, ist eine hausgemachte Tatsache, geboren aus Bequemlichkeit und Ignoranz. Sage keiner, er hätte es nicht gewusst, wenn unsere Kinder irgendwann Vogelgezwitscher nur noch vom Band und Igel nur noch aus Kinderbüchern und dem Naturkundeunterricht kennen.

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