Josef Stadler, Freund der Ameisen:"Wir sind ja nur ein Hauch"

Josef Stadler, den viele nur Ameisensepp nennen, kümmert sich seit 35 Jahren um die Nester der Insekten im Wald. Er lobt zwar das steigende Umweltbewusstsein der Menschen, beklagt aber, dass es so oft nur ums Geld geht und er weiß, dass der Mensch sich oft zu wichtig nimmt.

Von Alexandra Vettori

FreisingEines stellt Josef Stadler gleich klar, bevor es in den Wald geht: "Ich bin keiner für die Publicity." Er sei ein Naturmensch, sagt der 71-Jährige, 48 Berufsjahre als Spengler, Dachdecker und Bauleiter, nie weit in Urlaub gewesen mit seiner Frau ("warum auch, es ist so schön bei uns, wir haben das einfach nicht gebraucht"), seit über 50 Jahre Imker und - das ist der Anlass des Besuches - seit 35 Jahren ehrenamtlicher Ameisenbeauftragter im Landkreis Freising. Vor Weihnachten ist Josef Stadler dafür von der staatlichen Forstverwaltung geehrt worden. Die Forstleute wissen, was sie an dem rührigen Ameisenfreund haben, nicht nur, weil Josef Stadler maßgeblich am Bau des Walderlebsnispfades in Freising beteiligt war.

Angefangen hat alles mit einem Ameisenhaufen - "es ist ja eigentlich ein Nest", erklärt Stadler - der für eine Straße versetzt werden musste. Schon vor 35 Jahren wusste man um die Bedeutung der kleinen Krabbler im Naturkreislauf und so holte der Förster Josef Stadler zur Hilfe, weil dieser als Imker Erfahrung im Umgang mit Insektenvölker hatte. Stadler ist dabei geblieben. Mehrmals in der Woche ist er auch heute noch unterwegs in den Wäldern des Landkreises und fährt die Ameisennester ab. Das Größte ist bei Attenkirchen, fast zwei Meter hoch, mit einem Kegelumfang von fünf Metern. Was wenige wissen: Die Bauten reichen auch tief ins Erdreich, eineinhalb Meter tief. Ganz unten befinden sich zum Beispiel die Pilzkammern, in denen die Ameisen die Nahrung für ihre Larven erzeugen. Die ausgeklügelte Organisation der Ameisenvölker hat Stadler von Anfang an fasziniert, ebenso wie die der Bienen. 50 000 Tiere umfasst ein kleines Volk, in den großen Bauten leben weit über 200 000.

Mit roten Pfosten kennzeichnet Stadler die Bauten, nicht nur als Mahnung zur Achtsamkeit für Spaziergänger, sondern vor allem für die Waldarbeiter. Die fällen die Bäume dann so, dass sie nicht auf die Ameisenhaufen fallen und diese zerstören. Diese Umsicht lässt man nicht nur walten, weil Waldameisen, Große, wie Kleine, zu den geschützten Arten zählen. Vielmehr wissen die Forstbesitzer sehr genau, wie eifrig die Insekten bei der Schädlingsreduzierung helfen: Ohne Ameisen würde sich zum Beispiel die Fichtengallwespe wesentlich stärker ausbreiten, deren Raupen Bitterstoffe enthalten, die Vögel nicht schmecken. "Aber die Ameisen", sagt Stadler, "die packen das." Auch Borkenkäferlarven stehen auf dem Speiseplan. Dazu dienen sie selbst als Nahrung für viele Vögel wie Spechte und Amseln.

Der Ameisenbeauftragte, den viele nur den "Ameisensepp" nennen, ist oft auch mit Kindergarten- und Schulkinder unterwegs, erklärt ihnen die Welt der Tiere, die meist wegen der fiesen Wirkung ihrer Ameisensäure bekannt und gefürchtet sind. Ganz fasziniert seien die Kinder dann immer, wenn er ihnen erzähle, dass sich Wildschweine und Rehe extra auf Ameisenhaufen stellen, damit die Insekten ihre Säure verspritzen. "Das hilft nämlich gegen Zecken", erklärt Stadler. Früher hätten sich auch Waldarbeiter Hände und Fußknöchel mit Ameisensäure bestrichen, mittels Taschentücher, die sie vorher auf die Haufen legten. Auch die Symbiosen, die Ameisen mit anderen Tierarten eingehen, begeistern Stadler. So lebt beispielsweise der Rosenkäfer mit seinen Larven im Ameisenbau als Untermieter. Auch mit Rindenläusen verstehen sich Ameisen gut, diese werden gemolken. Ebenfalls erstaunlich sei, wie die Tiere für Sauberkeit im Bau sorgen. So tragen sie zum Beispiel Harzbrocken hinein, um Bakterien zu bekämpfen. "Jeder Ameisenhaufen und jeder Bienenstock ist steriler als ein Krankenhaus", sagt Stadler.

In der Sonne neben einem Ameisenhaufen kommt der Ameisensepp dann ins Philosophieren, jahrtausendelang haben die Ameisen dank ihrer strikten Organisation überlebt. Zum Vergleich zählt Stadler all die Reiche menschlicher Hochkulturen auf, die Inkas, die Römer, die Ägypter, "alle zusammengebrochen". Im Gegenteil zu denen der Ameisen und Bienen, die seien eben geprägt von der Natur. Diesen natürlichen Zusammenhalt habe die moderne menschliche Gesellschaft allerdings leider weitgehend verloren, sinniert er. Auch wenn, da ist der Ameisensepp doch ganz Optimist, es heute viel mehr Menschen gebe als früher, denen die natürlichen Zusammenhänge bewusster und wichtig seien. "Das Umweltbewusstsein ist schon gestiegen", stellt er im Rückblick auf 35 Jahre Ameisenschutz fest. Auch im Waldbau. Wobei Stadler da einen großen Wunsch hätte: "Man müsste mehr alte Bäume stehen lassen, die fehlen mir immer mehr. Dabei wären die so wichtig als Lebensräume, auch für Käuze und Eulen. Vor 40 Jahren hatten wir noch Uhus da, die gibt es jetzt nicht mehr", sagt Stadler. Es gehe halt immer auch ums Geld heutzutage, das sei das Problem. Dabei, sagt Stadler lächelnd, "sind wir ja nur ein Hauch - aber das kapiert kein Mensch."

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