Interview:Schulweghelferin mit Herz

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Schulweghelferinnen leisteten auch in Freising einen großen Beitrag zur Sicherheit der Schulkinder, lobt die Polizei. (Foto: Marco Einfeldt)

Seit 23 Jahren hilft Ingrid Thoma Generationen von Grundschülern über den Zebrastreifen - ihre Namen kennt die 72-Jährige alle. Heutzutage reden die Kinder nicht mehr so viel wie früher, hat sie festgestellt, und auch die Eltern haben sich verändert

interview Von Anne Gerstenberg

Wie eine Bilderbuch-Oma steht Frau Thoma (72 ), wie alle Kinder sie nennen, mit ihrer vollen grauen Lockenpracht, den roten Wangen und dem wohlwollenden Lächeln morgens um fünf vor acht auf dem Zebrastreifen an der Finkenstraße und winkt die letzten kleinen Schulranzenträger, die eintrudeln, schnell in Richtung Schule. Mit einem "Guten Morgen" und "Beeil dich!" und einem liebevollen Lachen schickt sie die Kinder in den Unterricht. Sie ist da für die Kinder, teilt ihre Sorgen und Nöte und macht die Schule zu einem Zuhause für sie. Als Schulweghelferin bekommt sie für ihre ehrenamtliche Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung von 7,50 Euro die Stunde, für jeden angefangene halbe Stunde sind es 3,50 Euro.

SZ: Frau Thoma, wie lange sind Sie schon Schulweghelferin?

Ingrid Thoma: Dieses Jahr sind es genau 23 Jahre.

Warum haben Sie damals damit angefangen?

Meine Tochter kam auf die höhere Schule, da hab ich mir gesagt: Ich muss jetzt wieder was gescheites machen. Bis dahin war ich ja immer Hausfrau und es war toll, mein eigenes kleines Gehalt zu haben. Deswegen habe ich hier angefangen und es hat mir so riesigen Spaß gemacht, dass ich nie wieder damit aufgehört habe.

Was macht denn das besondere Verhältnis aus, das Sie zu den Eltern und Kindern haben?

Ich kenne hier alle und alle kennen mich. Manche verstehen das nicht, aber wenn man sich jeden Morgen grüßt, dann kommt man irgendwann ins Gespräch. Ich rede gerne mit den Kindern, frage, wie es ihnen geht. Die Eltern wissen, dass die Kinder bei mir gut aufgehoben sind und die Kinder gewöhnen sich an mich. Ich freue mich, all die Erstklässler kennenzulernen. Oft kenne ich schon die großen Geschwister. Ich weiß alle Namen, das fällt mir nicht schwer.

Haben Sie nie das Bedürfnis nach einer Auszeit, um Ihr Rentnerleben auf Reisen zu genießen?

Nein! Wir sind schon so viel rumgekommen, ich bin gerne Zuhause! Wenn ich Urlaub brauche, machen wir das in den Schulferien.

Wie machen Sie das denn im Winter oder bei schlechtem Wetter?

Mir macht das nichts aus, wenn's kalt ist. Ich brauch bloß feste, warme Schuhe, eine gefütterte Jacke mit warmem Pullover drunter und meine Handschuhe. Nur Regen und Wind mag ich nicht so gern und die Hitze in diesem Sommer war schwer zu ertragen.

Und wenn die Kinder Schule aus haben?

Bin ich auch da! Manchmal sogar vier Mal am Tag! Um viertel nach elf, um viertel nach zwölf und um eins. Ich muss mir immer die Stundenpläne von den Kindern zusammensuchen, damit ich weiß, wann ich da sein muss. Es ist schade, dass die Schule mir da nicht entgegenkommt.

Haben sich die Kinder im Laufe der Zeit verändert?

Ja, schon ein bisschen. Sowohl die Kinder, als auch die Eltern. Das ist eine neue Generation mit neuen Werten. Die sind reservierter, reden nicht mehr so viel. Frech sind die Kinder trotzdem nicht zu mir und wenn, dann sage ich ihnen, dass das so nicht geht, darauf hören sie.

Bringen inzwischen auch mehr Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule?

Das wird immer mehr und ich verstehe gar nicht, wieso! Alle Kinder haben eigentlich kurze und sichere Schulwege, trotzdem sind hier morgens um halb acht richtige Kolonnen an Autos. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders. Da sind alle in kleinen Grüppchen zu Fuß gekommen, haben unterwegs vor der Schule noch geratscht.

Aber Sie fahren mit dem Fahrrad?

Ja, immer! Ich brauche nur fünf Minuten.

Was sind Ihre schönsten Erinnerungen?

Es gibt so viele schöne Erinnerungen! Am schönsten ist es, wenn die Kinder lächeln und nett grüßen! Zum Geburtstag bekommt jeder von mir einen Lolli, zu Ostern gibt es Schokoladenostereier, da freuen sie sich immer. Und wir haben so viel Spaß zusammen. Letztes Jahr war hier ein Biber und die Kinder haben gerufen: "Frau Thoma! Schau, der Biber!" Der war natürlich total verschreckt und hat sich versteckt. Was haben wir gelacht. Aber es gibt auch traurige Momente...

Zum Beispiel?

Die Kinder erzählen mir von ihrem Kummer, wenn ihre Eltern sich trennen, jemand aus der Familie krank ist oder die Mama nicht kommt, obwohl sie sie abholen wollte. Dann warte ich mit ihnen. Vergangenes Jahr habe ich einen Jungen drei Wochen lang nach Hause begleitet, weil seine Mama eine Operation am Fuß hatte. Traurig ist es auch, wenn sich die Viertklässler verabschieden. Da kommen mir immer die Tränen, weil ich diese Kinder vier Jahre lang begleitet habe .

Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?

Die Anerkennung und Wertschätzung. Das liebe ich so an meiner Arbeit. Da kommt so viel zurück! An Weihnachten bekomme ich von den Kindern immer was Selbst gebasteltes, Kärtchen und Süßigkeiten. Mein Mann fragt, wer das alles essen soll, aber ich freue mich so sehr. Ich hebe alle Karten und Briefe auf! Viele Eltern fragen mich am Schuljahresende, ob ich weiter mache.

Und machen Sie denn weiter?

Ja, auf jeden Fall. Solange ich nicht krank werde und die Stadt mich lässt, mache ich das hier weiter. Im Gegensatz zu allen anderen freue ich mich am Ende der Ferien schon, wenn die Schule wieder losgeht!

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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