Interview:Die Mutter der Hochschulgemeinde

Interview: Hochschulpfarrerin Anne Lüters schätzt den Kontakt mit Studierenden und könnte sich auch vorstellen, eines Tages einmal Kneipenpfarrerin zu sein.

Hochschulpfarrerin Anne Lüters schätzt den Kontakt mit Studierenden und könnte sich auch vorstellen, eines Tages einmal Kneipenpfarrerin zu sein.

(Foto: Marco Einfeldt)

Pfarrerin Anne Lüters betreut in Weihenstephan die Studierenden und führt viele Gespräche mit den jungen Leuten. Dabei hat sie enormen Druck durch das Studium und ein ständiges Wechselspiel von Pauken und Feiern bemerkt, das ihr Sorge bereitet

Interview von Katharina Aurich, Freising

Anne Lüters ist gemeinsam mit dem katholischen Hochschulseelsorger Dirk Berberich bei der ökumenischen Hochschulgemeinde in Freising-Weihenstephan für das Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München und die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf zuständig. Zu ihren Aufgaben gehören die Beratung von Studierenden, das Abhalten von Gottesdiensten und zunehmend auch die Schaffung eines ruhigen Umfeldes zum Lernen vor den Prüfungen. Daher ist auch eine Woche "beten, büffeln, bewegen" fester Bestandteil im Programm der HSG. Dann kochen die Mitarbeiter abwechselnd ein warmes Mittagessen für die gestressten Studierenden.

SZ: Sie waren nach Ihrer Ausbildung zunächst Pfarrerin in der Christi-Himmelfahrts-Gemeinde. Wie war der Anfang in Freising?

Lüters: Nach meinem Vikariat wurde ich sozusagen ins kalte Wasser geworfen und war für etwa 2700 evangelische Gläubige in Neustift, Haag, Zolling und Langenbach sowie für die Klinikseelsorge zuständig. Für alle wollte ich ein regelmäßiges Programm anbieten, natürlich Gottesdienste, aber auch zum Beispiel ein Frauenfrühstück - das war nicht unanstrengend. Aber es ist typisch, wenn man eine Stelle beginnt, bekommt man viele Aufgaben und muss genau überlegen, wie man die bewältigt. Da ich immer gerne studiert habe und gerne mit jungen Menschen zusammen bin, bewarb ich mich, als nach eineinhalb Jahren bei der Hochschulgemeinde eine halbe Stelle frei wurde.

Welche Rolle spielen Sie für die jungen Studierenden?

Früher sahen sie in mir wohl eher die große Schwester. Sie saßen in meinem Büro auf dem Sofa und erzählten und diskutierten gesellschaftliche Fragen. Aber das verändert sich gerade. Neulich bezeichnete mich jemand als HSG-Mama. Das ist aber auch okay.

Was bewegt die Studenten heutzutage, welche Fragen stellen sie?

Zum Beispiel, ob der Weg, den sie gewählt haben, wirklich ihr Weg ist. Oder wie ihr Leben aussehen soll, ob sie nach ihrem Studium ein gutes Leben führen und ihre Träume erfüllen können. Und immer wieder, ob sie dem Druck im Studium Stand halten.

Haben die Anforderungen an Studierende zugenommen?

Ja. Ich habe den Eindruck, dass sich der Prüfungsdruck in den vergangenen Jahren sehr verstärkt hat. Es gibt fast keine Zeit mehr, in der nicht studiert und gelernt wird. Das merken wir bei der Programmgestaltung: Die Zeit, in der wir Veranstaltungen anbieten können, wird immer kürzer. So ist im Wintersemester gefühlt ab Weihnachten Prüfungszeit. Bei so viel Paukerei ist erstaunlich, dass unsere Veranstaltungen noch gut besucht werden und einige es sogar schaffen, sich nebenher zu engagieren. Davor habe ich großen Respekt.

Ist die Kirche oder der Glaube für junge Menschen anziehend oder überzeugend?

Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Halt nimmt zu, ein Teil der jungen Menschen findet dies in der Kirche, sie wollen ihren Glauben bewusst leben und das spirituelle Angebot annehmen. Von anderen wird die Kirche rigoros abgelehnt, da hat eine Polarisierung nicht nur unter den Studierenden, sondern auch innerhalb der Gesellschaft stattgefunden.

Wo finden die Studierenden einen Ausgleich und Entspannung?

Natürlich gibt es auf dem Campus viele Angebote wie Unisport und Unichor. Und auch unser Angebot will Ausgleich bieten - und das gelingt uns. Aber ich habe den Eindruck, dass viele in ihrer Freizeit genauso exzessiv, wie sie vorher gelernt haben, chillen. Bei den meisten Studentenpartys wird extrem viel Alkohol getrunken. Dadurch verschwindet der Druck aber nicht. Und ich frage mich, wo in dem Wechselspiel von Pauken und Feiern Platz ist für gesellschaftspolitische Auseinandersetzung, Das ist übrigens nicht nur ein Phänomen bei den Studierenden. Es geht doch auch uns Berufstätigen so. Es ist normal geworden, im Job maximale Leistung zu erbringen, dann möchte man auch maximale Entspannung in der Freizeit. Ich halte diese Entwicklung für sehr bedenklich.

Warum?

Diese Art zu leben bereitet junge Menschen wenig auf die Zukunft vor, denn wo ist der Ort, an dem sie ihre Standpunkte finden können, die mehr beinhalten, als in Facebook auf "gefällt mir" zu klicken? Für die Herausforderungen in der Zukunft brauchen wir Menschen, die nicht nur funktionieren, sondern nachdenken und Position beziehen. Deswegen laden wir in der Hochschulgemeinde immer wieder Referenten aus den verschiedensten Fachgebieten ein und bieten Studierenden die Gelegenheit, sich mit ihren Positionen und Lebensentwürfen auseinanderzusetzen.

Es gab auch ein Seminar, in dem Studierende Geflüchtete unterstützten, wie ist das gelaufen?

Das war für mich wunderbar! Ich habe gesehen, wie viele Studierende Lust haben, sich mit dem Thema Asyl auseinanderzusetzen und sich sehr motiviert einbringen, wenn die Uni ihnen den Rahmen dazu gibt und ihr Engagement anerkennt. Die Studierenden haben gesagt, dass sie endlich einen Weg sähen, wie sie Engagement mit dem Studium vereinbaren könnten. Ich bin sehr froh, dass ich bei diesem Seminar mitarbeiten durfte und habe erlebt, wie Spaß und Leichtigkeit allen gut getan hat. Leider wird das Seminar von der TU München nicht mehr weitergeführt.

Was geben Sie den jungen Menschen in Ihren Predigten als Botschaften mit?

Jeder Mensch ist wertvoll, egal, was man leistet. Jeder ist ein wunderbares Geschöpf, Gott ist es egal, wie viel Erfolg du hast oder was du versiebst.

Und wo finden Sie selbst Entspannung und Ausgleich zu Ihrer Arbeit?

Ich spiele mit vier anderen Frauen mit viel Lust Cello, so oft wir Zeit finden. Ich habe vier Patenkinder, denen ich mich gerne widme und ich treffe mich mit Freunden und spiele gerne. Außerdem mag ich es, in Cafés zu sitzen und mich dort auch mit Studierenden zu treffen - das ist immer eine entspannte Atmosphäre, in der auch gute Gespräche entstehen. Vielleicht ende ich eines Tages als die Kneipenpfarrerin.

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