Inklusion:"Behinderte Menschen gehören in Freising dazu"

Inklusion: Viel Zeit verbringt Monika Haslberger am Schreibtisch, um auf Gespräche mit Politikern über die Situation behinderter Menschen vorbereitet zu sein.

Viel Zeit verbringt Monika Haslberger am Schreibtisch, um auf Gespräche mit Politikern über die Situation behinderter Menschen vorbereitet zu sein.

(Foto: Marco Einfeldt)

Monika Haslberger, die Vorsitzende der Lebenshilfe, empfindet die Situation in der Stadt als gut. Sie wünscht sich aber mehr Arbeitsplätze für Personen mit Handicap in "normalen" Firmen und mehr Wohnungen - die aber sind kaum zu finden

Interview von Katharina Aurich, Freising

"Ich hätte mir nie vorstellen können, so etwas zu machen, im Rampenlicht zu stehen und mehrmals im Monat nach Berlin zu fliegen, um auch mit Politikern zu verhandeln", sagt Monika Haslberger (61) rückblickend. Mittlerweile sei es für sie fast schon Routine, sowohl die Lebenshilfe Freising mit ihren über 700 hauptamtlichen Mitarbeitern, die über 1300 behinderte Menschen vom Säugling bis zum Senior betreuen, als auch die Belange behinderter Menschen in ganz Deutschland zu vertreten. Dafür hat die Freisingerin ein dichtes Netz mit Kontakten in der ganzen Republik aufgebaut. Denn eines sei klar, nur gemeinsam, auch mit den Behinderten selbst, könne man Verbesserungen durchsetzen. Haslberger ist Vorsitzende der Lebenshilfe Freising und auch im Bundesvorstand aktiv.

SZ: Warum kämpfen Sie und die Lebenshilfe mit einer bundesweiten Petition für Verbesserungen im sogenannten Bundesteilhabegesetz, das im Dezember im Bundestag verabschiedet werden soll ?

Haslberger: Wir sind zwar seit Jahren in das Gesetzgebungsverfahren mit eingebunden, was jetzt aber als Entwurf auf dem Tisch liegt, führt in vielen Punkten zu Verschlechterungen für unsere Menschen mit Behinderung. Zum Beispiel wird der Kreis der Leistungsberechtigten eingeschränkt. Dies könnte dazu führen, dass Menschen, die hier bei uns leben und betreut werden, keine Unterstützung mehr bekommen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die unklare Trennung zwischen Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung.

Warum ist das ein Rückschritt?

Die Menschen, die wir in unseren Einrichtungen betreuen, brauchen vorrangig Leistungen der Eingliederungshilfe, um am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen zu können. Wir haben seit kurzem eine Gruppe von Bewohnern in einem Haus in Marzling, die dort sehr selbständig wohnen und damit am ganz "normalen" Leben teilnehmen. Aber sie müssen dort versorgt und vielleicht auch eines Tages gepflegt werden und unser Ziel ist es, dass die Menschen auch dann in ihrer Wohnung bleiben können, wenn sie Pflege brauchen und nicht in eine Pflegeeinrichtung umziehen müssen.

Gibt es auch Verbesserungen in den neuen Gesetz?

Behinderte Menschen erhalten Grundsicherung, damit ist für das Nötigste gesorgt. Viele von unseren Klienten arbeiten, dafür erhalten sie Lohn. Bis jetzt haben sie keine Möglichkeit zu sparen und sich durch ihre Arbeit einen Wunsch zu erfüllen. Das soll im neuen Gesetz geändert werden und es soll unseren Menschen, die beispielsweise in Werkstätten arbeiten, die Möglichkeit gegeben werden, sich einen Geldbetrag - zunächst ist ein Freibetrag von 5000 Euro vorgesehen - anzusparen.

Welches sind Ihre wichtigsten Aufgaben im Bundesvorstand der Lebenshilfe?

Wir vertreten die Interessen der behinderten Menschen in der Politik, in den Gremien. Und mischen uns bei Gesetzesvorhaben in diesem Bereich ein. Die Stellungnahmen werden von den Fachreferenten der Bundesgeschäftsstelle erarbeitet, aber ich muss natürlich die Akten kennen. Im Bundesvorstand bin ich zuständig für den Bereich "Teilhabe am Arbeitsleben" und beschäftige mich mit dem Thema "Arbeitsmarkt" und der Frage, wie können behinderte Menschen besser integriert werden.

Wie wurde Ihre Tochter früher betreut, die mit dem Down-Syndrom auf die Welt kam und wo arbeitet sie jetzt?

Sie kam sehr bald in die Frühförderung, damit begann ihre Zeit bei der Lebenshilfe. Ich wollte nicht, dass sich alles auf sie konzentrierte und wollte auch Zeit für meine drei Buben haben, die danach auf die Welt kamen. Integration war damals, 1980, noch kein so großes Thema, es gab nicht die Vielfalt der Angebote wie heutzutage. Schließlich war sie es dann, die als Erstes meiner vier Kinder auszog, mit 21 Jahren in eine Wohngruppe. Dass sie die Erste sein würde, hätte ich nie gedacht, aber als die integrative Wohnanlage der Lebenshilfe an der Gartenstraße fertig wurde, gab es dort einen für sie geeigneten Platz und so haben wir es eben probiert - und mit Erfolg. Seit 15 Jahren arbeitet Elisabeth bereits in den Isar-Sempt-Werkstätten hier in Freising. Ich finde es grundsätzlich richtig und wichtig, dass behinderte Menschen aus dem Elternhaus ausziehen und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen.

Was raten Sie Schwangeren, sollten sie eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, um eine Behinderung frühzeitig zu erkennen - und wie war das damals bei Ihnen?

Es ist eine Herausforderung, ein behindertes Kind zu bekommen und es gibt natürlich Mütter, die sagen, ich schaffe das nicht. Das muss jede Frau selbst entscheiden, man muss jungen Müttern zugestehen, dass sie unsicher sind. Und man muss sie vor allem gut beraten, darf sie mit einer Entscheidung nicht alleine lassen. Ich habe in meiner ersten Schwangerschaft keine Voruntersuchung machen lassen, ich kam gar nicht auf die Idee. Bei meinen drei weiteren Schwangerschaften wurde mir das geraten und ich habe eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, hätte aber auch ein weiteres behindertes Kind nicht abtreiben lassen. Jedes Leben ist aus meiner Sicht lebenswert.

Sie haben vier Kinder groß gezogen, wie war das für die drei jüngeren Buben, mit einer behinderten großen Schwester aufzuwachsen?

Ich wollte immer mehrere Kinder, eine große Familie. Für uns ist Elisabeth eine Bereicherung, sie lief einfach immer mit im Alltag. Für ihre Brüder ist sie das Mädchen, nicht die Behinderte. Sie wurde auch nicht geschont oder in Watte gepackt. Wir waren eine ganz normale Familie, haben Ausflüge und Reisen gemacht. Dadurch, dass sie gut bei der Lebenshilfe betreut war, hatte ich Zeit für meine Jungs, zum Beispiel für ihre Sportaktivitäten und halt auch dafür, Taxi Mama zu sein.

Wie kam es dann, dass Sie sich an der Spitze der Lebenshilfe ehrenamtlich engagieren?

Ich wurde 1996 vom damaligen Vorstand angesprochen, ob ich mitarbeiten wollte, 1999 wurde ich dann zur Vorsitzenden gewählt, da war mein jüngster Sohn elf Jahre alt. Ich dachte als Erstes an die Reden, die man in einer solchen Position auch halten muss und dass ich das nicht kann. Aber es geht mit der Zeit. Ich bewundere die Menschen, die das gut können, vorne stehen und andere überzeugen. Ich schaue mir immer noch viel von anderen ab. Schließlich wurde ich 2008 bei der Neuwahl als Vertreterin Bayerns in den Bundesvorstand gewählt.

Was sind die Voraussetzungen, um solch einen Posten auszufüllen?

Voraussetzung ist dafür auch, dass man selbst betroffen ist. Denn so ist gewährleistet, dass man wirklich einen Bezug dazu hat und weiß, worum es geht. Man muss nicht BWL oder Jura studiert haben, aber es ist von Vorteil, Vorsitzende einer großen, in meinem Fall der Freisinger, Lebenshilfe zu sein. Denn wir betreuen behinderte Menschen ja in allen Bereichen, vom Säuglingsalter an bis zum Erwachsensein.

Inwieweit sind Behinderte selbst in den Gremien der Lebenshilfe vertreten?

Wir haben in allen Gremien sogenannte Selbstvertreter, natürlich auch im Bundesvorstand. Dies bedeutet zum Beispiel, dass alle Texte auch in "leichter Sprache", also sehr verständlich, verfasst werden. Alle finden das sehr gut und es ist auch für mich oft eine Erleichterung beim Lesen (lacht). Alle Unterlagen, auch die Jahresbilanz, gibt es in leichter Sprache, um so eine wirkliche Teilhabe zu ermöglichen.

Wirkt sich das auf die Arbeit in den Gremien aus ?

Ja, man braucht Zeit und Geduld, manchen fällt es schwer, gut hin zu hören. Unsere behinderten Menschen tun sich schwer, in der Leistungsgesellschaft mitzuhalten, sie benötigen für alles etwas länger. Aber es hat mit Respekt zu tun, dass wir in den Gremien langsamer sprechen und uns auf das ruhigere Tempo einlassen, das tut in unserer hektischen Welt auch gut.

Wie sieht es mit der oft gepriesenen "Barrierefreiheit" bei uns aus?

Natürlich ist noch viel zu tun, laut Sozialministerium soll Bayern ja bis 2023 komplett barrierefrei sein. Es braucht mehr Aufzüge zum Beispiel in Bahnhöfen, die natürlich zuverlässig funktionieren sollten. Auch Bordsteinkanten werden oft zu Hindernissen, wenn sie nicht abgesenkt sind. Ein gutes Beispiel ist der Streifen in der Ziegelgasse zwischen dem Kopfsteinpflaster, auf dem ein Rollstuhl fahren kann. Auf Kopfsteinpflaster geht das ja kaum.

Wie empfinden Sie die Situation für behinderte Menschen in Freising?

Ich empfinde sie als gut, bei uns gehören behinderte Menschen zum Stadtbild dazu, es ist normal, dass sie im Alltag sichtbar sind. Natürlich wären mehr Angebote wünschenswert, zum Beispiel Wohnungen, schließlich ist die Lebenshilfe ja ein verlässlicher Mieter. Aber da sind die Chancen fast aussichtslos, auf dem regulären Wohnungsmarkt etwas zu finden.

Was würden Sie gerne erreichen oder verändern? Junge Eltern von behinderten Kindern möchten, dass sie mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, dass sie mitbestimmen und dafür braucht es Angebote. Dazu gehört auch, dass behinderte Menschen am ersten Arbeitsmarkt teilnehmen können, also in "normalen" Firmen arbeiten, und dass sie wählen können, wo und wie sie wohnen möchten.

Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?

Ich bin gerne draußen, mache Sport. Geh ins Kino, reise. Jedes Jahr auch ein paar Tage mit meiner Tochter, wir machen gerne Wellnessurlaub zusammen.

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