In 20 Jahren 20 Knochenbrüche:"Glasknochen sind keine Krankheit"

Die 20-jährige Katharina Böhm aus Fahrenzhausen hat mit der Behinderung leben gelernt und gibt ihre Erfahrungen weiter.

Von Tobias Weiskopf, Fahrenzhausen

In 20 Jahren 20 Knochenbrüche: Katharina Böhm arbeitet ehrenamtlich als stellvertretende Landesvorsitzende der Glasknochen-Gesellschaft.

Katharina Böhm arbeitet ehrenamtlich als stellvertretende Landesvorsitzende der Glasknochen-Gesellschaft.

(Foto: Marco Einfeldt)

Leicht zurückgelehnt sitzt Katharina Böhm auf ihrem Stuhl, schlürft genüsslich an ihrem lauwarmen Kakao und ein warmes, herzliches Grinsen im Gesicht. Ein unglaublich positives Gefühl von Zufriedenheit strahlt die 20-Jährige aus und beginnt von ihrer "Besonderheit" zu erzählen. "Ich habe Glasknochen", erklärt sie. Über 20 Mal habe sie sich schon etwas gebrochen, darunter auch einige Wirbel. Mit Fingern und Zehen seien es sogar einige Mal mehr.

Als Kind hat Katharina Böhm sich mehrmals die Beine gebrochen und daher erst spät laufen gelernt. Das sei den Eltern komisch vorgekommen, im Krankenhaus wurde aber nie die richtige Diagnose ge-stellt, erzählt sie. Ihre Familie habe sich dann selbständig informiert und einen Termin bei einem Professor in München gemacht. "Da bin ich dann reingelaufen, er hat mich angeschaut und wusste sofort, dass ich Glasknochen habe", berichtet die Studentin. Ein Gentest hat die Gewissheit gegeben. Diagnose: Osteogenesis Imperfecta, kurz OI, ein Gendefekt, der bei ihr durch Spontanmutation entstanden ist, in anderen Fällen auch durch Vererbung weitergegeben wird. Wegen eines Mangels an Kollagen, ein faserbildendes Protein, das die Knochen stabilisiert und zugleich flexibel hält, sind ihre Knochen leicht brüchig. In ihrem Fall ist es der Typ I, die häufigste und leichteste Form.

In Deutschland gibt es rund 6000 Betroffene

In Deutschland wird die Zahl der Betroffenen auf etwa 6000 geschätzt. Selbsthilfe, Austausch mit anderen Betroffenen, Informationsveranstaltungen zu neuesten medizinischen Erkenntnissen sowie regelmäßige Familienwochenenden bietet die deut-sche OI-Gesellschaft, die regional über Landesverbände organisiert ist. Der Verein habe von Anfang an auch Katharina Böhm und ihrer Familie viel geholfen, sagt sie. Inzwischen ist die Studentin nicht nur Mitglied, sondern stellvertretende Landesvorsitzende in Bayern und als Ansprechpartnerin für Betroffene und ihre Familien da. "Bei Familienwochenenden kann man als Kind einfach mal ungehemmt spielen, weil alle wissen, wie sie mit einander umgehen müssen", betont sie.

Natürlich müsse sie in ihrem Alltag immer auf ihre brüchigen Knochen und die damit verbundenen Einschränkungen Rücksicht nehmen. Anfangs habe sie beim Schulsport noch mitgemacht, mit der Zeit wurde das Risiko allerdings zu groß. Alternativen seien Schwimmen und Tauchen, das entlaste den Rücken und tue ihr gut. Zusätzlich ist Katharina Böhm einmal wöchentlich bei der Physiotherapie. Zwischendrin müsse sich zur Entspannung auch mal hinlegen. Über die Jahre hat sie ihren Körper kennengelernt und weiß, was sie kann und was nicht. "Ich kann nicht so lange laufen, nicht viel stehen. Manchmal habe ich starke Rückenschmerzen und nutze deshalb meinen Rolli. An anderen Tagen habe ich nicht so viele Schmerzen", erzählt Böhm.

Der Rollstuhl ist eine Bereicherung

Der Rollstuhl sei auch keine Belastung, sondern viel mehr eine Bereicherung. "Auch als Sicherheitsaspekt. Im Schwimmbad kann ich nicht ausrutschen und bei Konzerten habe ich meinen Raum für mich", sagt die Studentin und ergänzt mit einem Schmunzeln: "und immer einen Sitzplatz.". Ihr großes Glück sei es, beide Beine benutzen zu können, denn wenn ein Aufzug mal kaputt ist, könne sie die Treppe nehmen. Die einzigen behindertengerechte S-Bahnstationen im Landkreis gebe es in Freising, die nächste in Oberschleißheim, man müsse sich eben entsprechend umstellen. Grundsätzlich führe sie aber ein Leben wie jeder andere Jugendliche.

Was sie schon immer einmal loswerden wollte: "Ich sehe das nicht als Glasknochen-Krankheit, sondern als Behinderung", stellt sie klar, "und ich leide auch nicht an Glasknochen, sondern habe einfach Glas-knochen." Darauf lege sie besonderen Wert, denn in den Medien werde oft falsch damit umgegangen. "Ich bin behindert", sagt die Erziehungswissenschafts-Studentin aus Fahrenzhausen, "aber ich lasse mich nicht zu viel einschränken." Der einzige Traum auf den sie verzichten müsse: Trampolinspringen und Achterbahnfahren. Bei abrupten Stopps und heftigen Bewegungen sei das Risiko von Brüchen zu hoch. Ein realistischer Wunsch ist mehr Akzeptanz bei anderen Menschen und ein offener und ehrlicher Umgang, anstatt einfach zuzupacken und zwanghaft zu helfen, einfach mal nachfragen.

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