Im Landkreis schrieb der Dichter  zwei seiner Stücke:Behagliches Posthäusl, behäbiges Freising

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Als Ludwig Thoma die einstige Haushälterin seiner Familie in Allershausen besuchte, hat das Haus zwischen Kienberger- und Ludwig-Thoma-Straße weniger modern ausgesehen. (Foto: Marco Einfeldt)

Mit Allershausen verband der Dichter Ludwig Thoma gute Erinnerungen, weil dort die frühere Haushälterin der Familie lebte. Die katholische Domstadt und Zentrumspolitiker Balthasar von Daller dagegen waren Zielscheibe seines Spotts

Von Peter Becker, Freising

150 Jahre alt wäre Ludwig Thoma in diesem Jahr geworden. In Bayern genoss er lange Zeit den Status eines volkstümlichen Schriftstellers, der dem Volk aufs Maul schaute, Spießbürger und Preußentum verspottete und sich mit beißender Kritik an Gesellschaft, Klerus und Staat nicht zurückhielt. Ganz klar, dass viele bayerische Städte und Gemeinden eine Straße nach ihm benannt haben. In Rudelzhausen gibt es eine solche und natürlich auch in Freising. 238 Meter ist sie lang und befindet sich im Stadtteil Lerchenfeld. Die Verbindung Thomas zu Stadt und Landkreis gründet aber tiefer.

In Freising lebte Balthasar von Daller, Landtagsabgeordneter der Zentrumspartei, die Thoma verachtete. Er war Zielscheibe seines Spotts und widmete ihm das Gedicht "Das Freisinger Rhinozeros". Die Verbindung des Schriftstellers zum Landkreis wiederum beruht auf dem Umstand, dass in Allershausen die langjährige Haushälterin der Familie Thoma, Viktoria Proebstl, genannt "Viktor", lebte. Dort blieb Thoma oft wochenlang.

Ernst Wengert nennt in einer Ausgabe der Zeitschrift Amperland von 1967 Auszüge einer Korrespondenz zwischen Thoma und Josef Hofmiller. Er zeigt sich dabei besorgt über die Revolutionswirren im Jahr 1918, als Kurt Eisner in München den "Freistaat" ausrief. Die "politischen Gärungen", wie Wengert schreibt, haben Freising erreicht. Thoma hatte sich gerade an einer Abhandlung über die "geistliche Stadt" erfreut, als ihn ein Brief Hofmillers erreichte. "So muss auch dieses uralte Stück Altbayern versaut werden. Die alte Korbinianslinde mag verdorren", antwortete Thoma.

Im Spottgedicht "Das Abenteuer des Gymnasiallehrers" schildert Thoma den Ausflug eines Freisinger Professors namens "Josef" nach München. Er beschreibt ihn als Philologen und treuen Gatten, der Liebe nur als Zweck der Volksvermehrung kennt. Von Münchner Kollegen hört er jedoch, wie man sich in der Landeshauptstadt bei ausschweifenden Festen ergötzt. "Er war schon aus Prinzip dagegen und war im Vornherein verletzt." Um es anschließend mit Abscheu beschreiben zu können, beschließt der Professor, sich das Treiben mal selbst anzusehen. Thoma beschreibt, wie der gute Professor auf einmal vom Sinnesrausch übermannt wird. "Ihn ergreift ein Schönheitsdurst", schreibt der Dichter, und auf einmal sei dem Freisinger die Treue des deutschen Mannes ziemlich Wurst gewesen. Die erste Frau, die er anspricht, erteilt ihm gleich eine derbe Abfuhr. Er sei wohl Philologe, meint sie abschätzig. Das erkenne man am abgelatschten Schuh. Und in seinem Bart befänden sich noch Linsen und Sauerkohl. Am Ende des Abends findet "Josef" doch noch sein amouröses Abenteuer. Bis zum nächsten Abend "um halb acht" bleibt er bei seinem Gspusi. Dann fährt er zurück nach Freising, wo ihn seine Frau schon sorgenvoll erwartet. Weil er von großer Müdigkeit befallen war, machte ihm seine Frau sofort das Bett bereit. "Und Josef hat sich ausgezogen, und sprach, dass er erkältet sei", schreibt Thoma. Er habe noch dies und das gelogen, denn eine Frau fragte vielerlei. "Josef" musste aber erfahren, dass Lügen kurze Beine haben. Als er sich ausgezogen hatte, stellte es sich heraus, dass er in Hast und Eile die Unterhose seines Gspusi "aus duftend weißem Leinen" angezogen hatte.

Thoma prangert in seinen Werken oft dieses Spießbürgertum an und wetterte im gleichen Maße gegen den Provinzialismus, der ihm in Bayern allgegenwärtig zu sein schien. Da wurde insbesondere die bayerische Zentrumspartei als Sammelbecken des politischen Katholizismus zur Zielscheibe seines Spotts. Sie war aus der bayerischen Patriotenpartei hervorgegangen. Ihr Programm forderte die Verwirklichung christlicher Grundsätze in allen Lebensbereichen. Einer ihrer bedeutendsten Vertreter war Prälat Balthasar von Daller aus Freising. Ihm widmete Thoma das Gedicht vom "Freisinger Rhinozeros". In Freising, so beginnt es, habe man ein Vorsintflutrhinozeros entdeckt. Jeder frage sich nun, warum dies ausgerechnet an diesem Ort der Andachtsstunden geschehen sei. "Was tat der alte Knochenriese in unser frömmsten Zentrumsstadt?" fragt sich Thoma. Er mutmaßt, dass das Tier wohl eine Vorahnung gehabt habe, dass es in Dallers Wirkungskreis ganz gut aufgehoben sei. "Ist typisch dieser Fund zu nennen?", fragt sich Thoma weiter und gibt selbst die Antwort: "Man muss nur Freising näher kennen, dann sagt man 'ja' und weiß, warum.

Der Lieblingsort von Thoma im Landkreis Freising war wohl das "Posthäusl" in Allershausen. Eila Hassenpflug schreibt in einer Ausgabe des Amperland, dass Thoma von 1899 an häufig in Freising die Postkutsche bestiegen habe, um zu "Viktor", der ehemaligen Haushälterin der Familie, zu fahren. Thoma schreibt selbst in seinen "Erinnerungen", dass sich dort eine Schwester von ihm mit dem Wachtmeister Hübner verheiratet habe. Dort habe er ein kleines Häusl gemietet. Dieses war zuvor das Haus des Posthalters gewesen, weshalb es "Posthäusl" genannt wurde. Thoma machte Viktoria Proebstl den Vorschlag, dort einzuziehen.

Dies war zu der Zeit, als er Redakteur beim Simplicissimus geworden war. Dort erwarb er sich den Ruf eines linksliberalen Gesellschaftskritikers. Dies stand ganz im Gegensatz zu seinen späteren Beiträgen im Miesbacher Anzeiger, in denen er als antisemitischer Hetzer auftrat. In seinen "Erinnerungen" schreibt Thoma, dass ihn im "Posthäusl" jedes Mal ein Gefühl der Behaglichkeit überkam.

Eila Hasselpflug schreibt, dass sich Viktoria auf der Heimfahrt von der Erstaufführung von Thomas "Lokalbahn" in München eine tödliche Erkrankung zugezogen hatte. Die Geschwister Thoma haben ihr einen Grabstein auf dem Allershausener Friedhof gestiftet. Der war allerdings 1967, als der Aufsatz in Amperland erschien, bereits nicht mehr vorhanden. Eila Hassenpflug schreibt weiter, dass die Stücke "Die Medaille" und "Bauernhochzeit" im Posthäusl entstanden sind. Als Vorbild für letztere, die Thoma ins Dachauer Land verlegte, diente Hassenpflug zufolge die Hochzeit des Bauern Matthäus Badhorn im Jahr 1901 in Allershausen.

© SZ vom 02.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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