Handwerk:Wie zwei Gehörlose eine eigene Schreinerei betreiben

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Die harmonische Arbeitsatmosphäre schätzen Vater Josef Glatt und Sohn Simon, Schreiner aus Rudelzhausen, gleichermaßen. (Foto: Marco Einfeldt)

Vater und Sohn Glatt betreiben eine Schreinerei in Rudelzhausen. Für Gespräche mit hörenden Kunden haben sie eine Dolmetscherin.

Von Clara Lipkowski, Rudelzhausen

Nach den langen geschlungenen Wegen über Land, ist die Werkstatt der Glatts das erste, was man nach dem Ortseingang Kohlmühle sieht. Links der Straße Felder, rechts das große Längsgebäude, daneben eine Scheune. Dies ist der Sitz der Familienschreinerei Glatt. Genaugenommen von Vater Josef und Sohn Simon.

Betritt man die Werkhalle, schlägt einem der Geruch frisch geschnittenen Holzes entgegen, Maschinen brummen, hier und da ist ein Sägen zu hören, überall liegen Holzausschnitte auf Böcken, stehen Hölzer in verschiedenen Größen und Längen an Wände gelehnt, Späne liegen auf dem Boden. Die Schreiner sind bei der Arbeit, ein Großauftrag, eine Firma hat eine komplette Büroeinrichtung bestellt. Türen müssen gesägt und lackiert werden, ein Konferenztisch braucht noch Füße. Der Zweimannbetrieb läuft.

Seit zwanzig Jahren betreibt Josef Glatt die Schreinerei, doppelt so lang ist er Schreinermeister. Er ist in der Gegend aufgewachsen, deswegen wollte er sich hier niederlassen. Er wurde auf einen Schweinestall aufmerksam und funktionierte ihn zur Werkstatt um. Viele Jahre später folgte ihm sein Sohn Simon in den Beruf. Vor Kurzem hat er seine Gesellenprüfung bestanden. Vor der Münchner Schreiner-Innung wurde er als Bester geehrt.

Auch damit tritt er in die Fußstapfen seinen Vaters: Er hatte die gleiche Auszeichnung 1980 erhalten. Erst wollte der 22-Jährige Automechaniker werden. Der gewohnte Umgang mit Holz brachte ihn dann aber doch zum Schreinern: Als Kind hatte er stets mit Holzspielzeug gespielt, sich selbst ein Baumhaus gebaut. "Ich war einfach immer in der Schreinerei", sagt er, "ich bin hier aufgewachsen." Eigentlich sagt er es nicht, er zeigt es. Genau wie sein Vater ist Simon gehörlos. Deswegen hat er auch in München die Berufsschule für Gehörlose besucht. Nun, als Schreinergeselle, arbeitet er fest in der väterlichen Schreinerei. Zu den Kunden zählen Hörende und Gehörlose.

Treffen Vater und Sohn einen hörenden Kunden, begleitet Michaela Meyer diese Termine. Sie ist angehende Dolmetscherin für Gebärdensprache und Simons Freundin. Sie übersetzt, was sich die Kunden wünschen, wie der Tisch, Stuhl oder Schrank aussehen soll und welches Material es sein darf. Seit einem Jahr macht sie das, erledigt auch Telefonanrufe. "Für mich ist es eine gute Praxisübung zum theoretischen Studium", sagt sie - und für die Glatts eine große Hilfe. "Manchmal erschrecken Kunden, wenn ihnen klar wird, dass wir gehörlos sind", zeigt der Vater. Hätten sie sich daran gewöhnt, klappe die Kommunikation anschließend gut. Die weitere Kommunikation über den Auftrag regeln die Schreiner mit den Kunden selbst. Per E-Mail oder schon mal mit Händen und Füßen.

Michaela Meyer ist angehende Gehörlosendolmetscherin. (Foto: Marco Einfeldt)

Dass Josef Glatt nichts hört, wurde festgestellt als er zwei Jahre alt war. Er spielte im Sandkasten und hörte nicht, wie sein Vater näher kam. Da stimmt etwas nicht, vermuteten die Eltern, gingen mit ihm zum Arzt und bekamen die Diagnose. Sohn Simon Glatt ist von Geburt an gehörlos. Er nutzt ein Hörgerät, damit er Geräusche wahrnehmen kann, etwa die der Maschinen. Der Vater spürt die Geräusche etwa durch Vibrationen der Maschinen. "Außerdem habe ich ein weitwinkliges Sehfeld, das hilft", zeigt der Vater und Michaela Meyer übersetzt.

Die Schreinerei indes wächst und wächst. Die Auftragslage ist gut. In der Scheune neben dem ehemaligen Stall sind mittlerweile Material und mehrere Maschinen ausgelagert. Der Laden brummt, auch, weil die Zusammenarbeit zwischen Vater und Sohn funktioniert. "Ich lerne viel von meinen Sohn", sagt Josef Glatt, "er hat oft Ideen, Neues auszuprobieren, Materialien zu kombinieren etwa." Auch der Sohn schätzt die Atmosphäre. "Wir verstehen uns einfach gut", zeigt er. So erweitert der Betrieb immer wieder das Angebot. "Das ist das Interessante, wir arbeiten ständig an unterschiedlichen Möbeln mit unterschiedlichen Materialien", zeigt Simon.

Zig Maschinen füllen die Werkhalle. Kreissägen, Fräs- und Schleifmaschinen, Pressen und Hobel stehen so im Raum verteilt, dass die Männer sich im Slalom durch die Werkstatt bewegen. "Diese Maschine ist fast 30 Jahre alt und richtig gut", sagt Simon und zeigt auf eine Fräse. "Aber ich wünsche mir modernere Maschinen", zeigt Simon und grinst. In der Berufsschule hat er gelernt, mit einem Computerprogramm Holz zu verarbeiten. Beim Vater geht es noch analog zu. Aber eine neue Fräse, würde Simon trotzdem gerne anschaffen: "Die spart nicht nur Zeit, sondern auch Kraft."

Dass der Sohn nicht ewig in der Familienfirma mitarbeiten wird, ist beiden klar. "Er soll auch Erfahrungen in anderen Betrieben sammeln", findet der Vater. Und Simon würde gerne digitaler arbeiten. In zwei Jahren könnte es sein, dass sich Josef Glatt einen neuen Mitarbeiter suchen muss. Dann will Simon seinen Meister machen - ganz wie der Vater.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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