Hallbergmoos:Ein erstes Zuhause im fremden Land

Hallbergmoos: Otto Schittler, Leiter der Clearingstelle für unbegleitete Flüchtlinge in Hallbergmoos, vor dem Neubau.

Otto Schittler, Leiter der Clearingstelle für unbegleitete Flüchtlinge in Hallbergmoos, vor dem Neubau.

(Foto: Marco Einfeldt)

In den vergangenen 25 Jahren hat das Haus Chevalier im Jugendwerk Birkeneck mehr als 1000 junge unbegleitete Flüchtlinge betreut und vielen dabei geholfen, in der Arbeitswelt erfolgreich Fuß zu fassen

Von Alexandra Vettori, Hallbergmoos

Als vor 25 Jahren das Haus Chevalier im Jugendwerk Birkeneck als erste Clearingstelle für unbegleitete Flüchtlinge in Bayern eröffnet wurde, war von einer Flüchtlingswelle noch nicht die Rede. Inzwischen sind bereits mehrere abgeebbt, doch im Haus Chevalier blieb man dem Grundsatz treu, den Leiter Otto Schittler so formuliert: "Wir arbeiten mit jungen Menschen. Ihre Flucht ist nur ein Merkmal, das sie aber weiter und zu allererst Kinder und Jugendliche mit Anspruch auf Erziehung sein lässt." An diesem Mittwoch wird das Jubiläum gefeiert, doch all die Dankes- und Lobesworte werden nicht darüber hinweg täuschen, dass das vorbildliche Konzept dem politschen Zeitgeist gerade mal wieder nicht entspricht.

Wie sonst wäre es zu erklären, dass derzeit nur 15 der 24 Plätze mit jungen Flüchtlingen zwischen 15 und 18 Jahren besetzt sind, obwohl ein Erweiterungsgebäude in Bau ist? Doch die 24-Stunden-Betreuung an 365 Tagen mit Fachpersonal ist teuer, der Regelsatz liegt bei 178,56 Euro pro Tag und Nase. Dafür gibt es intensive Deutschkurse, pädagogische Begleitung bei der Vermittlung der mitteleuropäischen Kultur, zu der auch gehört, dass man sich über berufliche Leistungen definiert. Dazu dienen die Ausbildungs- und Praktika-Möglichkeiten in den Birkenecker Werkstätten. 2018 wird der lange geplante Ersatzneubau für das Haus Chevalier fertig, ausgerechnet jetzt gehen die Einreisezahlen unbegleiteter Flüchtlinge dramatisch zurück. Immerhin: Die öffentliche Jugendhilfe signalisiert deutlich, dass sie auf das Haus Chevalier nicht verzichten will.

Als 1992 der Flughafen München im Erdinger Moos eröffnet wurde, erwartete die Staatsregierung, dass hier auch viele minderjährige Flüchtlinge ankommen würden, ähnlich wie in Frankfurt. Das Kreisjugendamt Erding fragte beim Jugendwerk Birkeneck an, wo straffällig gewordene Jugendliche untergebracht sind, ob man sich vorstellen könnte, eine Clearingstelle für minderjährige Flüchtlinge einzurichten. Clearing bedeutet, dass die Situation der Jugendlichen geklärt wird, was die persönlichen, gesundheitlichen und rechtlichen Bedingungen anbelangt. In Birkeneck war man dazu bereit und legte im Oktober ein Konzept beim bayerischen Sozialministerium vor. Wegen ungeklärter Finanzierungsfragen drohte die Sache zu scheitern, die Landeshauptstadt München sicherte schließlich die Finanzierung für fünf Plätze.

Im November 1992 wurde das erste Kind aufgenommen, weitere folgten rasch, unter anderem ein Mädchen mit Baby und eines mit einem Kleinkind. Im Frühjahr 1993 setzte mit der Balkankrise ein erster Ansturm ein, in den Jahren darauf schwankte die Belegung, erstmals blieben Plätze länger unbesetzt. 1995 begrüßte man das 100. Kind. 1997 drohte ein Zuständigkeitsstreit der freien Träger, der Landeshauptstadt und des Freisinger Jugendamtes, das Haus Chevalier aufzureiben. Erst 1998 klärte sich die Lage, die Belegung von Haus Chevalier durch Jugendämter außerhalb des Landkreises Freising war weiter möglich. In den Folgejahren stieg das Aufkommen mal, mal nahm es ab, im Jahr 2000 gab es nur noch eine Gruppe mit 15 Plätzen, 2008 stiegen die Flüchtlingszahlen wieder, im Sommer wurde das Haus auf zwei Gruppen erweitert. Ende 2013 begrüßte man den 1000. Jugendlichen. Von 2015 an war man dauerhaft überbelegt, seit kurzem aber schlägt der neuerliche Flüchtlingsrückgang durch.

Dass das Konzept im Haus Chevalier funktioniert, zeigen viele Beispiele. Otto Schittler nennt einen Afghanen, der hier Lesen, Schreiben und Deutsch lernte und nach der Ausbildung zum Lackierer einer der besten Absolventen der Innung wurde. "Heute lebt er in München und ist Steuerzahler", sagt Schittler. "Das ist keine Besonderheit, auch wenn nicht alle einen Abschluss erhalten, schaffen es die meisten, sich in der Arbeitswelt zurecht zu finden."

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