Gewerkschaft beobachtet Entwicklung:Bier zapfen nach Feierabend, weil der Vollzeitjob nicht ausreicht

Bayerisches Lokal "Trumpf oder Kritisch' in München, 2015

Tagsüber am Schreibtisch im Büro, abends am Zapfhahn an der Bar: Für viele Menschen im Landkreis Freising ist der Zweitjob mittlerweile Realität.

(Foto: Robert Haas)

Die Zahl der Zweitjobber im Landkreis ist in den vergangenen Jahren angestiegen. Etwa 7500 Freisinger haben neben ihrem Haupterwerb noch einen weiteren Arbeitsplatz - oftmals im Hotel oder Restaurant.

Von Laura Dahmer, Freising

Tagsüber vor dem Schreibtisch, abends am Zapfhahn der Hotelbar - für immer mehr Berufstätige im Landkreis scheint das Alltag zu sein. Und nicht etwa, um ein wohlverdientes Feierabendbier zu genießen. Sondern, um es für andere zu zapfen: Etwa 7500 Freisinger haben neben ihrem Haupterwerb noch einen Zweitjob. Das ist ungefähr jeder elfte Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte, 13 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Besonders häufig trifft man die Zweitjobber wohl in Hotels, Restaurants und Cafés an: Mit 2135 Stellen im Minijob-Bereich ist das Gastgewerbe eine der Vorreiter-Branchen im Landkreis. Wer abends Bier ausschenkt, Restaurantgästen Essen bringt oder am Wochenende im Café bedient, sitzt nicht selten tagsüber in der Verwaltung oder im Metallbetrieb.

Diese Entwicklung macht sich auch im Hotel Landgasthof Hofmeier bemerkbar: "Wir haben schon immer viele geringfügig Beschäftigte, das liegt im Hotelbetrieb in der Natur der Sache", erzählt Anna Elisabeth Hofmeier. Besonders in diesem Jahr sei ihr aber eine Veränderung aufgefallen. "Wir haben eine Stellenanzeige geschaltet - da haben sich bemerkenswert viele gemeldet, die bereits in Voll- oder Teilzeit arbeiten." Die kämen aus allen Branchen, aus Bürojobs und Schichtarbeit - meistens, um sich Notwendiges dazu zu verdienen.

"Der normale Vollzeitjob allein reicht wohl nicht mehr", stellt Hofmeier fest. Für die Wirtin kommen mit den Zweitjobbern auch Probleme. Sie müssen ihre Arbeitszeiten mit dem Haupterwerb koordinieren, können oft nur zu bestimmten Zeiten. Hinzu kommt: Nach gesetzlichen Vorgaben darf ein Arbeitnehmer nicht mehr als 48 Stunden in der Woche machen. "Wir sind da immer in der Zwickmühle, dass die Leute bei uns nicht zu viel arbeiten", bedauert Hofmeier. Dabei sei ihr Betrieb mittlerweile auf die Arbeitskraft der Zweitjobber angewiesen. "Wir tun uns im Gastgewerbe immer schwerer, Fachpersonal zu finden", weiß sie. Das Verhältnis zwischen gelernten Kräften und Zweitjobbern habe sich im Landgasthof in den vergangenen Jahren spürbar verschoben.

"Auch andere Gründe sind denkbar, zum Beispiel der Wunsch nach Arbeitsflexibilität", sagt die Arbeitsagentur

Die Arbeitsagentur Freising bestätigt diesen Trend. Aus den Zahlen gehe aber nicht hervor, warum Menschen sich für den Zweitjob entscheiden. "Es lässt sich nicht per se sagen, dass der Nebenjob als Zuverdienst genutzt wird. Auch andere Gründe sind denkbar, zum Beispiel der Wunsch nach Arbeitsflexibilität", wirft Pressesprecherin Christine Schöps ein. Im Handel werden noch mehr der oft als Zweitjob genutzten Minijobs im Landkreis angeboten als im Gastgewerbe. Auf Platz drei steht der Privatbereich.

Georg Schneider, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, beobachtet die Verschiebung mit Sorge. Das Gastgewerbe dürfe nicht zur reinen Minijobber-Domäne werden, "Aushilfen können auf Dauer keine Fachkräfte ersetzen", ist er sich sicher. Das könne auch nicht im Sinne der Arbeitnehmer liegen, Schneider befürchtet Ausbeutung. "In der Gastronomie herrscht eine andere Mentalität als im Büro. Es ist nicht üblich, dass man auf die Uhr schaut und auf Arbeitszeiten achtet." Das führe oft dazu, dass der übliche Lohn von 450 Euro in der geringfügigen Beschäftigung als Pauschale angesehen wird. "Wenn man da nachrechnet, wird der gesetzliche Mindestlohn meist nicht eingehalten", so der Geschäftsführer.

Die Gewerkschaft sieht Handlungsbedarf in der Politik. Der Mindestlohn sei zwar ein überfälliger Schritt gewesen, aber zu niedrig. Die Zahlen der Arbeitsagentur zeigen keine deutliche Veränderung: Seit der Einführung des Mindestlohns 2015 gibt es in Freising 18 Zweitjobber weniger. "Ob das etwas miteinander zu tun hat, ist schwierig zu bewerten", sagt auch Schöps.

Laut Schneider müssten außerdem einheitliche Tarifverträge her - und um die Altersvorsorge müsse der Staat sich auch kümmern. "Ein Großteil der Menschen, die heute auf einen Zweitjob angewiesen sind, wird im Alter mit Armutsbezügen leben müssen", prognostiziert er. Auch Hofmeier wünscht sich gesetzliche Veränderungen, vor allem beim Arbeitszeitgesetz.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: