Symbol einer stolzen Bürgerschaft:"Die Freisinger haben Geld wie Heu und bauen sich ein neues Rathaus"

Symbol einer stolzen Bürgerschaft: Mit der langen Geschichte des Freisinger Rathauses können sich Interessierte bei Führungen am "Tag des offenen Denkmals", am Sonntag, 10. September, vertraut machen.

Mit der langen Geschichte des Freisinger Rathauses können sich Interessierte bei Führungen am "Tag des offenen Denkmals", am Sonntag, 10. September, vertraut machen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Anfang des 20. Jahrhunderts ist das Freisinger Rathaus baufällig, unmodern und zu klein. Am Marienplatz entsteht ein repräsentativer Neubau, auf den Nachbarn mit Neid blicken.

Von Peter Becker, Freising

"Die Freisinger haben Geld wie Heu und bauen sich ein neues Rathaus." So ähnlich wie die Moosburger Zeitung mag auch mancher Stadtbewohner den Neubau am Marienplatz skeptisch beurteilt haben. Die damaligen Stadtväter mit ihrem Bürgermeister Stephan Bierner sahen das anders. Freising erfuhr an der Wende zum 20. Jahrhundert einen Entwicklungsschub, den erst der Erste Weltkrieg beendete. Das alte Rathaus genügte den Ansprüchen nicht mehr, ein neues musste her. Mit der Geschichte des Gebäudes können sich Interessierte bei Führungen am "Tag des offenen Denkmals", am Sonntag, 10. September, vertraut machen. Er steht diesmal unter dem Motto "Macht und Pracht".

Das alte Rathaus war zu klein geworden und überdies baufällig. Bürgermeister Bierner, seit 1899 im Amt, überzeugte den Magistrat, den alten durch einen neuen, repräsentativen Bau zu ersetzen. So steht es in einem Faltblatt, welches das Stadtarchiv 2005 anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Freisinger Rathauses herausgab. Die Zeiten hatten sich gewandelt. Das alte Freisinger Rathaus beherbergte außer der Verwaltung eine Schranne, in der ein Aufseher das von den Bauern gelieferte Getreide begutachtete. Dazu gab es verschiedene Läden und Wohnungen für städtische Angestellte wie den Stadtschreiber. Seine vielseitige Verwendung und das wenige Geld, das der Stadt zum Erhalt des Bauwerks zur Verfügung stand, waren Gründe dafür, dass das Rathaus wenig repräsentativ war.

Ein neues Rathau als stattliches Denkmal des wiedererstarkten Bürgertums

Das Fürstbistum gehörte längst der Vergangenheit an. Das Bürgertum hatte Mitte des 19. Jahrhunderts infolge der Industrialisierung an Selbstbewusstsein gewonnen. Mit der zunehmenden Verstädterung, so heißt es in dem Faltblatt, kamen auf die Kommunen neue verwaltungstechnische Aufgaben zu wie die Gesundheitspflege, das Straßen- und Verkehrswesen. Bierner drängte auf eine effektive Stadtverwaltung, die seiner Ansicht nach angemessen untergebracht sein musste. "Ein neues Rathaus sah er als stattliches Denkmal des wiedererstarkten Bürgertums, ein würdiges Symbol seiner in Selbstverwaltung wurzelnden Bedeutung seiner Macht und seiner Rechte", heißt es im Faltblatt weiter.

Bierner verfasste eine Denkschrift, in der er zusammen mit Stadtbaumeister Abele drei Möglichkeiten gegeneinander abwog: den Umbau des damaligen Rathauses oder des alten Magistratsgebäudes. Das befindet sich an der Bahnhofstraße 1. Die zweite Möglichkeit wäre der Umzug in das alte Realschulgebäude gewesen, den Asamkomplex. Am zweckmäßigsten und kostengünstigsten erschien aber der Neubau eines Rathauses am Marienplatz. Im Erdgeschoss und zwei Obergeschossen sollten 21 Büroräume unterkommen, dazu ein großer und ein kleiner Sitzungssaal. Die Kosten wurden auf 180 000 Mark geschätzt. In der Endsumme waren es dann 227 290 Mark.

Die Freisinger Brauereien mussten den Bau mitfinanzieren

Zur Finanzierung mussten die in Freising ansässigen Brauereien beitragen. Dazu verhängte die Stadtverwaltung einen Lokalmalzuschlag um 30 Prozent, wohl eine höhere Besteuerung. Dies sei gerechtfertigt, hieß es. Denn schließlich standen die Eingemeindung von Neustift (1905) und der Einzug einer Garnison in die Jägerkaserne auf dem Vimyberg kurz bevor. Die Brauereien konnten daher mit höheren Umsätzen rechnen.

Am 23. Oktober 1903 fasste der Magistrat den Beschluss, ein neues, repräsentatives Rathaus zu bauen. Man wollte sich eine weitere Peinlichkeit ersparen, wie etwa beim Besuch des Prinzen Ludwig von Bayern, der bei einem Besuch gefragt hatte, wo denn eigentlich das Freisinger Rathaus stehe. Den ausgelobten Wettbewerb gewann Architekt Günther Blumentritt. An der Bauausführung waren viele Freisinger Firmen beteiligt. Vorherrschender Baustil dieser Zeit war der Späthistorismus, wie es im Faltblatt heißt. So auch beim Freisinger Rathaus. Es griff Motive des späten Mittelalters und der deutschen Renaissance auf, die im Rückblick als ganz besondere Epoche des Bürgertums aufgefasst wurde. In der Zeit um die Jahrhundertwende entstanden weitere repräsentative Bauwerke in Freising: das Waisenhaus, das Hofbrauhaus, die Jägerkaserne, der Schlachthof sowie Gebäude auf dem Weihenstephaner Berg.

Eingeweiht wurde das Freisinger Rathaus am 26. Mai 1907 im Beisein des Prinzen Ludwig von Bayern. Mehrer Künstler waren mit der Ausstattung der Räume beschäftigt. Der ehemalige Bürgermeister Martin Mauermayr stiftete drei Glasgemäldefenster, die allegorisch den Bau der Trinkwasserversorgung, des Waisen- und des Schlachthofes darstellen. Auf Intervention der Künstler mussten diese wieder entfernt werden. Sie waren angeblich bis etwa 1970 im Waisenhaus gelagert und sind nicht mehr auffindbar.

"Der Wert des Freisinger Rathauses als historisches Baudenkmal besteht auch darin, dass sich sehr vieles von der originalen Ausstattung noch erhalten hat beziehungsweise erhalten wurde", heißt es im Faltblatt des Stadtarchivs. Die Renovierung des Gebäudes im Jahr 2005 habe seine bestimmende Stellung im Freisinger Stadtbild und seine politisch-kulturelle Bedeutung ähnlich wie beim Neubau hervorgehoben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: