NPD-Aufmarsch in Freising:"Entschuldigung, sind Sie die Gegendemonstration?"

NPD-Aufmarsch in Freising: Vom Gefängnis bis zum Marienplatz: 200 Menschen protestieren in Freising mit Transparenten und Kerzen gegen die NPD-Kundgebung.

Vom Gefängnis bis zum Marienplatz: 200 Menschen protestieren in Freising mit Transparenten und Kerzen gegen die NPD-Kundgebung.

(Foto: Marco Einfeldt)

Szenen einer NPD-Kundgebung mit massivem Polizeieinsatz in der Innenstadt und dem Protest von 200 Menschen am symbolträchtigen 9. November.

Von Katharina Aurich und Kerstin Vogel, Freising

Dunkel, kalt und regnerisch - der Abend des 9. November ist auch in diesem Jahr kein Termin für frohe Veranstaltungen. Alljährlich erinnern die Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mit einem Gedenkspaziergang in der Freisinger Innenstadt an die Reichspogromnacht und die verfolgten und getöteten jüdischen Bürger. Sie wollen mit ihrer Veranstaltung aber auch ein Zeichen gegen Rechts setzen und den Mitgliedern der NPD, die ebenfalls regelmäßig an diesem symbolträchtigen Datum eine Demonstration anmelden, nicht den Marienplatz überlassen, "sondern Gesicht zeigen", sagt Peter Floßmann, Eigentümer der Marienapotheke und Organisator der Gedenkveranstaltung.

Zu Anfang sind es 40 Demonstranten am "Alten Gefängnis"

Los geht es vor dem "Alten Gefängnis", wo sich zunächst etwa 40 Antifaschisten zu der genehmigten Demonstration versammeln. Freisings Kulturreferent Hubert Hierl (CSU) sowie die stellvertretende Landrätin und Freisinger Stadträtin Birgit Mooser-Niefanger (Grüne) erinnern in Grußworten an die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten und mahnen, sich gegen menschenverachtende, rechte Umtriebe und Propaganda zu stellen.

"Entschuldigung, sind Sie die Gegendemonstration?", fragt eine Frau ein paar düster gekleidete Jugendliche, die ein paar Meter weiter am Marienplatz stehen und auf die auch in den sozialen Netzwerken angekündigte NPD-Kundgebung warten. Die jungen Leute bejahen dies. Was es mit der ganzen Sache auf sich habe, will die Frau wissen. Höflich erklärt ein junger Mann das Datum, die Erinnerung an die Reichspogromnacht und dass sich "die Nazis da immer selbst darstellen müssen".

Die bis dahin noch recht kleine Gruppe von VVN und "Freising ist bunt" macht sich mit Transparenten und Kerzen auf den Weg vom Gefängnis zum Marienplatz, wo starke Polizeikräfte bereits am späten Nachmittag mit Absperrgittern Zonen eingeteilt haben: eine kleine vor der Sperrerbank für die NPD, eine größere vor dem Rathaus für die Antifaschisten.

Die Zahl der eingesetzten Polizisten nennt Polizeichef Neuner nicht

Polizeichef Ernst Neuner schätzt die Zahl der Gegendemonstranten am Ende auf etwa 200. Zur Zahl der eingesetzten Polizisten macht er aus polizeitaktischen Gründen keine Angaben, dafür erklärt er einem jungen Mann mit Engelsgeduld, warum auch die Rechten in Deutschland ihre Meinung frei äußern dürfen, warum seine eigene politische Einstellung dabei überhaupt keine Rolle spielt und seine Leute und er schlicht für die Sicherheit aller zu sorgen haben.

NPD-Aufmarsch in Freising: "Freiheit für Deutschland", ruft das NPD-Dutzend und "Raus aus der EU".

"Freiheit für Deutschland", ruft das NPD-Dutzend und "Raus aus der EU".

(Foto: Marco Einfeldt)

Als sich ein paar der wartenden jugendlichen Demonstranten hinter einem Transparent verschanzen, beweisen die Polizisten weniger Geduld. So etwas wird als Vermummung interpretiert. Auf einen Befehl hin drängen Beamte des Unterstützungskommandos (USK) die jungen Leute nach einem kurzen Gerangel hinter die Absperrung vor dem Rathaus. Weil die da so ganz alleine aber nicht bleiben mögen, rollen sie ihr Transparent ein und verlassen die ihnen zugewiesene Zone wieder.

Die Teilnehmer der NPD-Demo haben unterdessen vor der Sperrerbank Position bezogen, auf ein paar Quadratmetern, "eingezäunt" mit mobilem Absperrgitter. Davor positionieren sich zahlreiche überwiegend junge Gegendemonstranten - mittlerweile nach einem weiteren USK-Einsatz ordentlich abgetrennt durch einen Korridor, weitere Gitter und eine Reihe schwarz gekleideter Bereitschaftspolizisten.

Auch der Marsch der NPD-Sympathisanten durch die Bahnhofstraße in Richtung Marienplatz hat sich zuvor unter starker Polizeibewachung abgespielt. Gerade einmal ein Dutzend Teilnehmer hat sich hier nach Freising verirrt, die Eskorte der Bereitschaftspolizisten dürfte etwa dreimal so stark sein.

Auf dem Gehweg putzt ein Mann noch schnell die Stolpersteine

Ein NPD-Sprecher tönt durch die Bahnhofstraße, dass Deutschland immer noch besetzt sei und nennt den Artikel des Grundgesetzes, der das angeblich belegt. Der Gesinnungsfreund neben ihm korrigiert das, scheinbar ist man sich nicht einig, um welchen Artikel es sich genau handelt. Vor der Hansi-Bar sitzen ein paar Gäste trotz unangenehmer Temperaturen in der ersten Reihe. Auf dem Gehweg an der Oberen Hauptstraße 9 putzt ein Mann noch schnell die Stolpersteine, die hier an das Schicksal der Familie Holzer erinnern.

Auf dem abgedeckten Brunnen am Marienplatz halten Gegendemonstranten dem NPD-Dutzend jetzt ein großes Transparent entgegen. "Pogrome verhindern, bevor sie entstehen. Wie es beginnt, könnt ihr hier sehen", ist darauf zu lesen. "Freiheit für Deutschland", ruft das Dutzend und "Raus aus der EU" - lautstark halten die "Bunten" mit Sprechchören dagegen: "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda."

In der gegenüberliegenden Ecke des Platzes, vor dem heutigen Gewandhaus Gruber, lassen sich die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung von alledem nicht beirren. Die Stolpersteine hier erinnern an die jüdische Kaufmannsfamilie Marcus Lewi, zu Gitarrenklängen und mit Schweigen gedenken die Versammelten dieser Freisinger Familie, die von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde.

Bis zum Haus der jüdischen Familie Holzer hallt das Geschrei der Neonazis

Inzwischen ist die Gruppe auf 120 Teilnehmer angewachsen und bewegt sich "unter Polizeischutz", wie Peter Floßmann feststellt, langsam weiter Richtung Kriegerdenkmal. Auf dem Banner, das vorangetragen wird, steht: "Rassisten entgegentreten, Refugees welcome". Doch bis zum Haus der jüdischen Familie Holzer, an der Oberen Hauptstraße 9, dem mit den frisch polierten Stolpersteinen, hallt wie als Mahnung das Geschrei der Neonazis.

Aus der großen, jüdischen Familie Holzer hat einzig Rechtsanwalt Martin Holzer überlebt, wie Peter Floßmann in Erinnerung ruft. Alle anderen wurden aus Freising deportiert und in den Vernichtungslagern der Nazis umgebracht.

"Ist das unsere Musik oder die von denen?"

"Ist das unsere Musik oder die von denen?", fragt eine schwarz gekleidete junge Demonstrantin irritiert, als das Dutzend vor der Sperrerbank seine ohnehin schlechten Lautsprecher auch noch mit wummernden Bässen malträtiert. "Die ist von denen", sagt der ebenfalls schwarz gekleidete Typ neben ihr: "Klingt aber nicht sehr deutsch", merkt er kritisch an. Ein Passant schiebt sein Fahrrad vorbei und fragt, was denn hier los sei. "Nazis und Anti-Nazis schreien sich an", erklärt ein anderer. "Aha", sagt der Erste wissend: "Kaschperltheater."

VVN und "Freising ist bunt" ziehen unterdessen mit ihren Kerzen und Fahnen zum Kriegerdenkmal, wo Floßmann nochmals eindringlich mahnt, allen rechten Umtrieben entgegenzutreten. Die Bedeutung des Kriegerdenkmals, das er täglich von seinem Arbeitsplatz aus sieht, werde viel zu wenig beachtet. Es gehe nicht darum, den Krieg zu verherrlichen, im Gegenteil, die Toten, die Opfer der Nazis, aber auch die im Krieg Gefallenen mahnten, es nie wieder soweit kommen zu lassen, sagt Floßmann und macht so auf die meist unbeachteten Tafeln am Denkmal aufmerksam. Diese Mahnung sei heute so wichtig wie nie zuvor.

Damit die Stimmung nicht ganz ins Nachdenkliche und Düstere abgleitet, stimmen die Versammelten gemeinsam den Beatles-Song "Let it be" an.

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