Gefährliche Flucht:Lernen statt schießen

Ein anonymer Asylhelfer

"Die Betreuung minderjähriger Flüchtlinge ist teurer als Unterkünfte für Erwachsene. Also haben sie sie volljährig gemacht."

Sophia Atrel ist vor dem lebenslangen Militärdienst aus Eritrea nach Bayern geflohen.

Von Clara Lipkowski, Landkreis

Sophia Atrel (Name geändert) empfängt den Besuch in ihrer Dachgeschosswohnung herzlich. Sie serviert starken äthiopischen Kaffee. Schnell kommt man ins Gespräch und schnell ist man bei ihrer Flucht, die sie noch heute beschäftigt, nach vier Jahren in Deutschland. Sie erinnert sich, wie sie aus Eritrea floh, erst zu Fuß nach Äthiopien, dann in den Sudan, dann in der afrikanischen Wüste auf der Ladefläche eines Pick-Ups Richtung Libyen, eingezwängt zwischen rund 20 anderen Flüchtlingen, unter ihnen Kinder. "Wir hatten sehr großen Durst. Irgendwann haben manche Benzin getrunken." An der libyschen Küste stieg sie auf ein Boot von einem Schlepper, völlig überfüllt sei es gewesen. Noch auf dem Wasser mussten sie in ein größeres Boot umsteigen, dieses lief mit Wasser voll. Erst die italienische Küstenwache rettete sie.

Ihr Ziel sei eigentlich Großbritannien gewesen. "Ich liebe den englischen Fußball", sagt sie, schon in ihrem Heimatdorf in Eritrea, Senafe, habe sie die Spiele britischer Fußballer am Fernseher verfolgt. Aber natürlich habe sie auch wegen der Sprache dorthin gewollt, schiebt sie hinterher. Englisch konnte sie schon, die Lehrer ihrer Schule waren indisch und unterrichteten auf Englisch. In Bayern aber wurden ihre Daten erfasst, also blieb sie.

"Entweder du hast gute Noten oder du musst zum Militär"

In Eritrea, so schildert sie es, gebe es für Jugendliche nur zwei Möglichkeiten: "Entweder du bist gut in der Schule und kannst danach studieren. Oder deine Noten sind schlecht, dann musst du zum Militär." Das bedeute nicht nur ein, zwei Jahre Dienst an der Waffe, sondern ein Leben lang dem Militär zur Verfügung zu stehen. "Ich wollte lernen, nicht schießen." Im nördlichen Landkreis, wo sie jetzt lebt, bereite ihr vor allem die Bürokratie Sorgen. Ständig kämen Formulare, die sie ausfüllen müsse, sagt sie. Um Ärger mit den Behörden zu vermeiden, will sie nicht, dass ein Zeitungstext ihre echte Identität verrät.

"Hanebüchen" sei der Umgang der Ämter mit vielen Flüchtlingen, meint ein Asylhelfer, der mit Sophia Atrel in engem Kontakt steht und unerkannt bleiben will. Selbst er als Muttersprachler verstehe er viele Formulierungen der Schreiben nicht. Grotesk auch eine Altersuntersuchung, die das Jugendamt nach Sophias Ankunft Ende 2014 angeordnet hatte. Sie war damals 17, sagt sie. Das Amt hatte Zweifel, ordnete eine Altersuntersuchung an - und erklärte sie anschließend für volljährig.

Im Schreiben des Amts, das der SZ vorliegt, steht die Begründung der Sozialpädagogen, die mit ihr gesprochen hatten: "Sie hat mehrere Stirn- und Halsfalten." Und: Bei der Frage, ob sie verheiratet sei, habe sie schlicht mit Nein geantwortet, "weder wirkte sie schüchtern noch kicherte sie", was die übliche Reaktion von Jugendlichen auf diese Frage sei. Der Helfer hält dagegen: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssten in Häusern mit sozialpädagogischer Betreuung untergebracht werden. "Das ist teurer als Unterkünfte für Erwachsene. Also haben sie sie volljährig gemacht." Sophia resignierte, hörte auf, die Behörden vom Gegenteil überzeugen zu wollen. "Ich wollte mich auf das Lernen konzentrieren". Sie schaffte den Hauptschulabschluss. Heute ist sie 21, ganz offiziell. Post von Ämtern kommt noch etwa einmal pro Woche. Aber irgendwie habe sie es immer geschafft. Seit September macht sie eine medizinische Ausbildung, und ihre Noten, sagt sie, würden jetzt auch besser.

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