Ganz einfach:Ja oder nein

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Die Freisinger stimmen am Sonntag darüber ab, ob die Moosach in der Oberen Hauptstraße geöffnet wird oder zugedeckt bleibt - die Freisinger SZ gibt eine Entscheidungshilfe

Von Kerstin Vogel

An diesem Sonntag, 25. Mai, stimmen die Freisinger über das Gesicht ihrer Innenstadt ab. Bei einem Bürgerentscheid sollen sie die Frage "Soll die Öffnung der Moosach in der Oberen Hauptstraße durchgeführt werden?" beantworten. Die SZ gibt eine Entscheidungshilfe.

Was genau ist geplant?

Der bislang unter einem Stahlbetondeckel durch die Obere Hauptstraße verlaufende Moosacharm soll zwischen Sackgasse und der Einmündung der Bahnhofstraße geöffnet werden. Dem Siegerentwurf des Berliner Planungsbüros "ST Raum a" aus dem städtebaulichen Wettbewerb zufolge wird der Bachlauf künftig allerdings nicht auf der gesamten Strecke von knapp 800 Metern offen dahinfließen. Geplant sind mehrere breite Überwege, die sich an historischen Vorbildern orientieren, wie sie in alten Stadtplänen aus den Jahren 1809 und 1858 erkennbar sind. Auf der Südseite des künftigen Bachbetts sieht der favorisierte Entwurf ein paar Stufen zum Wasser hin vor, die zum Verweilen einladen sollen. Die Sorge, dass der neue Stadtbach zu viel Platz wegnehmen könnte, ist unbegründet: Selbst mit einer kleinen Treppenanlage würde der geöffnete Moosacharm lediglich 4,5 Meter beanspruchen, die Obere Hauptstraße ist im fraglichen Bereich zwischen 19 und 28 Meter breit.

Wie kam es zu dem Projekt?

Mit dem Gedanken, die Stadtmoosach wenigstens in Teilen wieder zu öffnen, spielen Freisinger Kommunalpolitiker schon seit Jahrzehnten. Über das Stadium einer netten Idee hinaus geriet das Vorhaben allerdings erst mit der neuen Innenstadtkonzeption, die zwischen 2009 und 2011 von einer Expertengruppe gemeinsam mit den Bürgern erarbeitet wurde. 23 Maßnahmen sind darin vorgesehen, um die Freisinger Innenstadt aufzuwerten und ihre Funktion als Wirtschaftsstandort zu stärken - eine davon ist die Öffnung der Moosach. Im März 2011 stimmten die Bürgerinnen und Bürger der Stadt bei einer eigens einberufenen Versammlung ab, welche dieser Maßnahmen Priorität haben soll - und wählten die Neugestaltung der Hauptstraße samt Moosachöffnung klar auf Platz eins.

Im Stadtrat wurde die Konzeption im Mai 2011 mit allen 23 Elementen einstimmig verabschiedet. 2012 wurde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die bestätigte, dass die Ideen - inklusive Moosachöffnung - umsetzbar seien. Anschließend wurde der städtebauliche Wettbewerb europaweit ausgelobt, der Siegerentwurf von "ST Raum a" wurde im November 2013 prämiert. Im Januar dieses Jahres schließlich beauftragten die Stadträte das siegreiche Büro mit der Detailplanung.

Was wird bezweckt?

Die Öffnung der Stadtmoosach soll als Freisinger Alleinstellungsmerkmal einen Beitrag zur höheren Attraktivität und Aufenthaltsqualität in der Innenstadt leisten. Sie soll die Kaufkraft fördern - und das innerstädtische Kleinklima verbessern. So formulieren es die Befürworter des Vorhabens in einer Broschüre zum Bürgerentscheid. Tatsächlich spielen Fließgewässer zum Transport von Kaltluft im Zusammenhang mit dem Klimawandel auch im städtischen Raum zunehmend eine Rolle. Die geöffneten Abschnitte der Freisinger Stadtmoosach können ganz konkret in den Sommermonaten zu einer Abkühlung in der Oberen Altstadt beitragen und insgesamt ein angenehmeres Klima schaffen.

Allem voran aber ist die Neugestaltung der Hauptstraße samt offenem Bachlauf eine Maßnahme der Wirtschaftsförderung. In der Analysephase der Innenstadtkonzeption habe sich gezeigt, dass vor allem der Standort Obere Hauptstraße an Attraktivität verliere, weil er einfach nicht die gleiche Funktionalität aufweise wie der mittlere Bereich oder die Untere Hauptstraße, erklärt Stadtplanerin Sonja Rube. Zu beklagen seien Leerstände, sinkende Mieten: "Die Abwärtsspirale ist im Gang". Ablesen lässt sich derartiges auch an der Nachvermietung leer stehenden Läden und immer mehr Handy-Geschäften - oft ein Zeichen für den Image-Verfall eines Standortes.

Die Moosachöffnung soll nun Frequenz, eine stabile Struktur und einen schöneren Stadtraum mit sich bringen und so helfen, Kaufkraft zu binden. Aktuell konkurriert die 50 000-Einwohner-Stadt Freising als Oberzentrum mit Städten wie Landshut, Pfaffenhofen, Erding, aber auch München - und sie verliert den Kampf offenbar oft. Denn die Kaufkraftbindung liegt derzeit lediglich bei 70 Prozent - das ist der Teil der Freisinger, der tatsächlich in der Freisinger Altstadt einkauft. Zudem ist die Stadt offenbar nicht attraktiv genug, um Auswärtige anzulocken. Dabei liegt die Kaufkraftbindung eines Oberzentrums wie Freising idealerweise bei 130 Prozent, dann nämlich, wenn auch Kunden aus Nachbarstädten zum Einkaufen kommen.

Warum ein Bürgerentscheid?

Dass über die Öffnung der Moosach überhaupt abgestimmt werden muss, haben die Freisinger der CSU zu verdanken. Pünktlich zum Auftakt des Kommunalwahlkampfes 2014 hatten sich die Christsozialen des Themas angenommen, um angesichts der kontroversen Diskussionen "die Freisinger ganz direkt entscheiden zu lassen", wie es hieß. Dabei ist man sich im Ortsverband selbst uneins, CSU-Stadtrat Hubert Hierl beispielsweise tritt ganz offen für die Planung ein. Deshalb auch wurde der Bürgerentscheid "ergebnisoffen" angelegt, wie die CSU nicht müde wird, zu betonen. Tatsächlich hat weder der Ortsverband noch die Stadtratsfraktion in der Debatte jemals wirklich Stellung bezogen. Die erforderlichen 2411 Unterschriften aber brachten die Christsozialen am Ende doch zusammen, so dass der Stadtrat dem Bürgerentscheid zustimmen musste.

Was kostet der Spaß?

Die Kosten für die Moosachöffnung werden aktuell ganz vorsichtig auf zwei bis 2,5 Millionen Euro geschätzt, vorsichtig deshalb, weil die Detailplanung noch aussteht. Was dafür an Zuschüssen zu erwarten ist, ist ebenfalls offen. Einfach gar nichts zu machen und die Moosach in ihrem Kanalbett Moosach sein zu lassen, kann sich die Stadt nicht erlauben. Untersuchungen des Ingenieurbüros Brandl + Eltschig haben gezeigt, dass die Tragfähigkeit der jetzigen Abdeckung spätestens in zwölf bis 15 Jahren nicht mehr gegeben ist. Eine Teilsanierung wäre möglich, würde aber auch 500 000 Euro kosten und zusätzlich bis zu 40 000 Euro im Jahr an Unterhaltskosten verschlingen. Und selbst dann dürfte die Lebenszeit des Brückenbauwerkes in 20 bis 25 Jahren erschöpft sein.

Für die Öffnung des Bachlaufs können die Anwohner der Oberen Hauptstraße nicht zur Kasse gebeten werden, wie Stadtdirektor Gerhard Koch bestätigt: Es handele sich hierbei um ein Ingenieurbauwerk und nicht um eine Erschließung. Mitzahlen müssten Anlieger nur für den Aufbau auf den Brückenelementen, wenn dieser anschließend als Verkehrsfläche diene; laut Straßenausbaubeitragssatzung der Stadt wären das je nach Klassifizierung 50 Prozent. Sollte die Moosach wie in der Innenstadtkonzeption vorgesehen, teilweise geöffnet werden, müssten 455 Quadratmeter Brücken gebaut werden, würde man den Bach nach einer Sanierung erneut ganz schließen, wären es 776 Quadratmeter. Entsprechend höher wäre auch der Anteil der Anwohner, wenn dieser komplette Moosach-Deckel wieder als Verkehrsfläche genutzt würde.

Das Pfaffenhofener Büro WipflerPlan hat in seiner Machbarkeitsstudie 2012 geschätzt, dass sich die Kosten für eine Moosachöffnung auf etwa 1,9 Millionen Euro belaufen. Bei einer vollständigen Erneuerung des geschlossenen Moosachlaufs wäre laut Koch mit deutlich höheren Kosten zu rechnen. In der Broschüre der Befürworter werden 2,63 Millionen Euro als "Kosten ohne Moosachöffnung" genannt.

Was passiert bei Hochwasser?

Selbst wenn sich ein Hochwasser wie im Juni 2013 wiederholen sollte: Ob die Moosach offen oder geschlossen durch die Obere Hauptstraße fließt, spielt für die Innenstadt keine Rolle. Denn schon im vergangenen Jahr hat sich gezeigt, dass das Nadelöhr dieses Moosacharms unter der Karlwirtkreuzung liegt: Hier können maximal vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde durchfließen - und diese Menge reicht nicht, um die Innenstadt zu überschwemmen, auch nicht bei einem offenen Bachlauf, wie das Wasserwirtschaftsamt bestätigt. Mehr als das, was unter der Targo-Bank durchfließen kann, kommt in der Oberen Hauptstraße einfach nicht an.

Fallen Parkplätze weg?

Ja. Das hat aber mit der Öffnung der Moosach nichts zu tun. Denn der mit der Innenstadtkonzeption beschlossene niveaugleiche Ausbau der Oberen und Unteren Hauptstraße nach dem Vorbild der Schweizer Begegnungszonen hat so oder so eine Verdrängung des Parksuchverkehrs aus der Altstadt zum Ziel. Die wenigen, noch vorhandenen Parkplätze sollen durch einen "Parkring" um die Altstadt mit einem neuen Parkhaus im Westen ersetzt werden. Diese Maßnahmen laufen laut Broschüre der Projektbefürworter aber "losgelöst von den Planungen zur Moosachöffnung".

Man müsse sich auch in Freising einmal verabschieden von der Vorstellung, die Hauptstraße sei eine Durchgangsstraße zum Parken, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins Stadtheimatpflege dazu: "Die Hauptstraße ist etwas anderes: sie ist Einkaufscenter, Wohnzimmer der Stadt, Kulturort, eine Begegnungszone im wahrsten Sinne des Wortes. Hier hält man sich auf." Zum Parken seien dagegen die Parkhäuser da, so die Heimatpfleger: Gerade für den Bereich der Oberen Stadt liege das Parkhaus am Wörth maximal drei Gehminuten von den Geschäften entfernt.

Was ist mit dem Brandschutz?

Stefan Mühl heißt der Mann, der im Januar 2014 plötzlich das Thema Brandschutz in die Diskussion um die Moosachöffnung brachte. Mühl ist nicht nur Anwohner der Innenstadt, sondern auch Landschaftsarchitekt und geprüfter Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz. Seine Bedenken: Wird die Planung wie vorgesehen umgesetzt, reichen möglicherweise die Aufstellflächen für die Feuerwehr nicht aus. Tatsächlich sehen die Richtlinien über Flächen für die Feuerwehr, aus denen Mühl zitiert, ausgreifende Aufstellflächen für eine "Anleiterung" vor. Konkret: Sobald genehmigte Wohnungen in mehr als acht Metern Höhe liegen und es keinen anderen Fluchtweg gibt, muss für die Drehleitern der Feuerwehr eine Fläche mit einer Breite von mindestens 8,50 Metern von der Hauswand her zur Verfügung stehen. Dafür aber reicht laut Mühl der Platz nicht aus, wenn die Moosach an der Oberen Hauptstraße in ihrem bestehenden Bett geöffnet werden sollte.

Die Verfechter der Moosachöffnung halten dem entgegen, dass die komplette Innenstadtkonzeption unter anderem von Stadtrat Anton Frankl begleitet wurde, der als Feuerwehrkommandant die Belange der Rettungsdienste stets im Blick gehabt habe. Die erforderlichen Flächen könnten problemlos zur Verfügung gestellt werden, wenn man den Verlauf der Stadtmoosach entweder an wenigen Stellen leicht nach Süden korrigiere - oder den Flusslauf etwas deutlicher Richtung Norden, also zur Straßenmitte hin verschiebe. Alternativ könnten die Rettungswege aber auch auf der Rückseite der betroffenen Gebäude angelegt werden. Ein Gutachterbüro soll nun im Auftrag der Stadtverwaltung ermitteln, welche Lösung oder möglicherweise auch Mischform der Alternativen die beste ist. Vorteile könnte ein offener Wasserlauf in der Innenstadt für die Feuerwehr insofern bergen, als sie ihr Löschwasser möglicherweise direkt aus dem Fluss holen könnte.

Was ist mit der Pflege?

Gegner der Moosachöffnung sorgen sich, dass der Bachlauf vermüllen könnte, sie fürchten eine Rattenplage in der Innenstadt, Mücken, aber auch Gestank. Doch anders als im 19. Jahrhundert ist die Moosach heute ein sehr sauberes Gewässer. Schon längst werden hier keine Abwässer mehr eingeleitet, unter anderem sorgen sich das Wasserwirtschaftsamt und Weihenstephaner Wissenschaftler um die Wasserqualität der Moosach. Sogar Flusskrebse leben hier heute laut der Werbebroschüre wieder - ein Indikator für besonders sauberes Wasser, das umgekehrt für Ratten wenig interessant ist: Sie finden darin keine Nahrung. Abgesehen davon bevorzugen die unerwünschten Nagetiere verdeckte und dunkle Flächen. Auch an der Fischergasse, wo die Moosach bereits offen fließt, gab und gibt es keine Probleme mit Ratten, gleiches gilt für Städte wie Memmingen oder Ravensburg, wo es vergleichbare Gewässer in den Innenstädten gibt. Unbegründet auch die Sorge vor einer Stechmücken-Plage: Die bevorzugen gemeinhin stehende Gewässer, wie es bei den Befürwortern des Projektes heißt.

Stadtplanerin Rube kennt die Sorgen der Anwohner aus anderen Orten, in denen erstmals ein Wasserlauf in der Stadt geöffnet wurde, kann jedoch beruhigen: Es gebe doch gerade in Freising bereits viele offene Bachläufe im Stadtgebiet, die nicht vermüllt seien oder besonders viele Ratten angelockt hätten, erinnert sie: "Natürlich ist eine gewisse Pflege erforderlich, aber das ist sehr leicht in den Griff zu bekommen."

Wer ist dafür, wer dagegen?

Nachdem die CSU ihren Bürgerentscheid von Anfang an als "ergebnisoffen" deklariert hat, kann sie jetzt schlecht für oder gegen das Projekt Werbung machen. In einer letzten Stellungnahme vor dem Wahltag weisen die Christsozialen deshalb auch nur darauf hin, dass man mit dem Bürgerentscheid zur direkten Mitbestimmung und Mitgestaltung in Freising beigetragen habe. "Die gefällte Entscheidung am Sonntag ist richtungsweisend, Bürgerwille und politischer Auftrag, den es zu akzeptieren gilt. Die Mehrheit entscheidet und als Gewinner sollte sich weder eine Partei noch ein Verein sehen, sondern der Bürger, denn es ist seine Stadt! Der Erfolg für die Freisinger CSU liegt in der gelebten Demokratie, ein neuer Weg der Mitgestaltung und Politik", heißt es da. Alle anderen Fraktionen im Freisinger Stadtrat sind klar für die Moosachöffnung und haben sich in der gemeinsamen Broschüre zusammen mit Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher eindeutig zu dem Projekt bekannt.

Zu den Gegnern des Projekts gehören Menschen wie Dieter Biechl, der seit mehr als zehn Jahren Fischereiaufseher an der Moosach in Freising ist. Er sei täglich am Wasser, schreibt er in einer Stellungnahme: "Und da gibt es überwiegend traurige Sachen zu sehen." Ihm liege die Müllproblematik sehr am Herzen, so Biechl: "Ich befürchte, dass sich durch eine Öffnung der Mülleintrag in das Gewässer erheblich erhöhen wird."

Ebenfalls gegen das Projekt argumentieren einige Geschäftsleute in der Innenstadt, allen voran Heinz Jordan, der seit Tagen mit Anzeigen in einer Lokalzeitung und Plakaten an seinem Altstadthaus gegen die Moosachöffnung mobil macht. "Nein zum Berliner Stadtkanal" heißt es da beispielsweise, oder "Der beschließende Stadtrat soll persönlich haften für Kostenüberschreitung". Doch es gibt auch alteingesessene Geschäftsleute an der Oberen Hauptstraße, die für die Moosachöffnung sind und eher beklagen, dass diese Maßnahme zu spät kommt. Und neben den Stadtheimatpflegern hat sich auch der neu gegründete Verein "Aktive City Freising", der sich gemeinsam mit der Stadtverwaltung um die Belange der Innenstadt kümmern soll, längst eindeutig positioniert. Die Obere Altstadt habe die einmalige Chance, durch einen geöffneten Bachlauf zu einem echten Anziehungspunkt zu werden, heißt es in einer Mitteilung des Vereins - die mit der schönen griechischen Weisheit "Panta Rhei - alles fließt" endet.

© SZ vom 24.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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