Freisinger Kopf:"Das war Learning-by-Doing"

Freisinger Kopf: Kurz nachdem Arabella Gittler-Reichel vor drei Jahren den Job als Leiterin des Freisinger Jugendamtes angetreten hatte, kamen mit den unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen ganz neue Aufgaben auf sie zu.

Kurz nachdem Arabella Gittler-Reichel vor drei Jahren den Job als Leiterin des Freisinger Jugendamtes angetreten hatte, kamen mit den unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen ganz neue Aufgaben auf sie zu.

(Foto: Marco Einfeldt)

Die Ankunft minderjähriger Flüchtlinge im Landkreis war auch für das Jugendamt eine große Herausforderung. Das Team um Leiterin Arabella Gittler-Reichel hat Flexibilität bewiesen und neue Strukturen entwickelt

Interview von Clara Lipkowski, Freising

Schon kurz nachdem Arabella Gittler-Reichel Mitte 2014 Jugendamtsleiterin wurde, stellte der Flüchtlingszuzug sie und das gesamte Amt auf die Probe: Die Behörde, logischerweise auf feste Strukturen ausgelegt, musste Flexibilität beweisen. Nicht ganz einfach, wie sich zeigte. "Im Sommer sind jede Woche neue 'Umf' gekommen", sagt sie - unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - "da mussten wir einfach reagieren."

SZ: Frau Gittler-Reichel, wie war das für Sie konkret, als so viele Flüchtlinge kamen?

Arabella Gittler-Reichel: Das war wohl die größte Herausforderung. Das war Learning by Doing. Junge Menschen wurden in der Turnhalle untergebracht. Das wollten wir als Jugendamt natürlich nicht. Aber es ging nicht anders. Wir mussten Taschengelder auszahlen, gucken, dass sie ein Bett haben. Das sind Aufgaben, die haben wir vorher nicht gehabt und das machen wir jetzt auch nicht mehr. An manchen Tagen bin ich nach Hause gefahren und habe gedacht: Oh Gott, wie sollen wir das morgen regeln? Aber, es haben sich Lösungen gefunden. Im Nachhinein bin ich froh, dass kein Mensch zu Schaden gekommen ist.

Welche Probleme hatten die jungen Flüchtlinge?

Sie mussten natürlich erst einmal lernen, wie es hier ist. Viele wollten sofort arbeiten gehen. Dass hier auf eine Ausbildung Wert gelegt wird, das haben sie nicht gesehen. Da hat der Vormund dann vielleicht gesagt, dass man erst einen Sprachkurs machen muss. Oder Dinge wie Radfahren. Sie kannten ja die Verkehrsregeln nicht. Darauf waren wir nicht eingestellt, dass sie das nicht wissen. Da mussten wir Kurse organisieren. Jetzt haben wir das institutionalisiert. Aber das war ja völlig neu.

Vergangenes Jahr wurden zwei Kinderehen im Landkreis bekannt, syrische Minderjährige waren noch in der Heimat verheiratet worden und dann nach Deutschland geflohen. Wie ist da der aktuelle Stand?

Sie wurden nicht getrennt, also räumlich. Aber Genaueres müsste ich erfragen.

Wie stehen Sie dazu: Sollte eine Kinderehe per se aufgelöst oder Rücksicht genommen werden, ob eine Trennung womöglich noch mehr Probleme verursacht?

Eine Annullierung kann natürlich mehr Schwierigkeiten bedeuten. Aber dass Kinderehen nicht anerkannt werden, ist in Deutschland einfach eine Grundlage und das sollte für alle gelten. Wenn die jungen Leute den Kontakt behalten wollen, kann man Regelungen finden.

Sie haben mal eine Fachtagung zum Salafismus gemacht. Ein drängendes Problem im Landkreis?

Es ist allgemein ein Thema, auch für deutsche Jugendliche. Man muss das ernst nehmen. Wir hatten ein paar Verdachtsfälle, die haben sich aber nicht bestätigt.

Das Jugendamt prüft bei Pflegefamilien sehr genau die Lebensverhältnisse. Belastet es Mitarbeiter, dass sie in die Intimsphäre von Menschen eindringen?

Natürlich ist das nicht einfach, weil man viele Fragen stellen muss. Aber man kann ja immer erklären, warum. Es gibt ja Fakten: Die finanzielle Situation zum Beispiel muss stabil sein, es geht nicht, sich nur übers Pflegegeld zu finanzieren.

Ist es grundsätzlich besser, dass junge Flüchtlinge in Pflegefamilien leben statt in einer Gemeinschaftsunterkunft?

Das kann man nicht sagen. Ein junger Mensch aus einem anderen Land muss sich eingewöhnen und die Familie sich offen zeigen gegenüber einer anderen Kultur. Das ist herausfordernd. Pflegeeltern hatten zum Beispiel den Eindruck, dass das Heim nur als Schlafstätte dient. In manchen Fällen ist es gescheitert und dann mussten wir eine Jugendhilfeeinrichtung suchen. In anderen Fällen hat es sich bewährt. Es gibt Pflegeverhältnisse, die sind zwar vorbei, trotzdem haben alle Kontakt.

Es gab Kritik daran, dass eine Pflegefamilie im Landkreis für einen 19-Jährigen um die 1000 Euro Unterstützung vom Jugendamt bekommt. Unverhältnismäßig hoch, hieß es. Was sagen Sie?

Das ist eine adäquate Zahlung für ein Pflegeverhältnis. Die Sätze gelten für alle Vollzeitpflege-Fälle, nicht nur für Flüchtlinge. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass sie viel kosten. Die Nahrung, die Kleidung, Fahrtkosten, Freizeitaktivitäten, Strom, Wasser für die Wohnung. Das ist ja so festgelegt und kommt nicht willkürlich von uns. Und sie werden ja auch nach Alter gestaffelt.

Kommt es zu "Reibungen", wenn das Jugendamt ein Pflegekind, etwa weil es volljährig geworden ist, aus der Familie holt?

Ja, natürlich, da gibt es dann unterschiedliche Sichten. Aber wenn die Mitarbeiter keinen erzieherischen Bedarf mehr sehen, fällt die Jugendhilfe weg. Aber: Auch wenn ein junger Mensch dann noch Hilfe sucht, kann er die in Anspruch nehmen, therapeutischer Art zum Beispiel. Aber das sind dann eben nicht mehr die Aufgaben des Jugendamts. Das muss man schon unterscheiden.

Sie arbeiten heute nicht mehr direkt "an der Basis", fahren nicht mehr zu den Familien raus, sondern koordinieren mehr im Amt. Gefällt Ihnen das besser?

Ich habe es sehr geliebt, mit den Familien direkt zu arbeiten. Die Führungsaufgabe bringt aber die Möglichkeit, dass man mehr mitgestalten, steuern und mit den Mitarbeitern kreativ werden kann, wie wir uns als Jugendamt aufstellen müssen.

Welche Themen packen Sie im Jugendamt künftig an?

Ein Beispiel: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird immer wichtiger. Da müssen wir insgesamt flexibler werden. Wir brauchen etwa längere Betreuungszeiten, mehr Erzieher und auch mehr Ferienangebote.

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