Freisinger Geschichte:Im Dornröschenschlaf

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Auf dem Domberg gibt es viele "verwunschene Räume", wie sie Monsignore Rainer Boeck nennt, mit vielen Schätzen. Die Öffentlichkeit hat bisher keinen Zugang - das könnte sich ändern

Gudrun Regelein

- Unglaublich viel habe sich hier an alter Freisinger Historie abgespielt, sagt Monsignore Rainer Boeck, der Domrektor und Direktor des Kardinal-Döpfner-Hauses, zur Begrüßung. Die vielen Räume und Orte auf dem Domberg könnten einiges davon erzählen, aber ein Großteil ist für die Öffentlichkeit nicht, oder nur selten, zugänglich. "Verwunschene Räume" nennt sie der Monsignore, und liebend gerne würde er sie mit einem vernünftigen Konzept auch wieder für Besucher öffnen.

Etwa zwanzig große, teilweise schon leicht rostige Schlüssel hat Domkustos Robert Walczak für den Rundgang in einem kleinen Körbchen mitgebracht. "Der Herr über die Schlüssel", so nennt ihn der Monsignore scherzhaft, öffnet mit ihnen die schweren Holztüren zu Räumen, die schon lange im Dornröschenschlaf liegen. Neben der Sakristei im Kreuzgang beispielsweise befanden sich früher auf dem mons doctus die Räume einer höheren Schule, heutzutage liegen sie brach, dienen als Lagerraum für die Bauarbeiter, riesige Kabel liegen auf dem verstaubten Boden, daneben stehen Werkzeuge. "Hier finden Sie noch wunderbar die alte gotische Ausprägung", sagt der Monsignore, die sehe man sonst im vom Barock-Rokoko-Stil dominierten Dom nur selten.

Eine hölzerne Tür führt zu einem kleinen, verwilderten Gärtchen, ein "wunderbares, romantisches Areal", das sich an der ganzen Domkante entlang zieht. Von hier blickt man auch auf den Südhang des Dombergs, für den bereits verschiedene Pläne diskutiert werden, um ihn wieder nutzbar zu machen. Weiter eilt der Monsignore raschen Schrittes in den Kreuzhof, ein "verwunschenes, gesuchtes Plätzchen", von dem man noch nicht wisse, als was es früher gedient habe. Wahrscheinlich aber seien in der symmetrisch angelegten Gartenanlage Gräber zu finden, die vom Friedhof des früheren Andreasstifts nach dessen Auflösung hierher transferiert wurden. Etwas abseits liegen Gräber bekannter Freisinger Persönlichkeiten, wie das von Prälat Michael Höck oder des Theologen Bernhard Egger.

Zurück im Kreuzgang sperrt der Domkustos eine niedrige, hölzerne Tür auf. Über unzählige Stufen einer Wendeltreppe geht es hinauf in ein hohes, gotisches Gewölbe mit uralten Holzdielen und mächtigen Renaissanceschränken, die den Raum beherrschen. In den Schränken befinden sich "schöne, liturgische Utensilien", auch das prachtvolle Ornat des Fürstbischofs Johann Franz Eckher aus dem 18. Jahrhundert wird hier aufbewahrt. Inzwischen werden die Räume, die früher als obere Domsakristei dienten, vor allem dazu genutzt, die schweren Messgewänder aufzuhängen. Vielleicht könnte man die Räume im Zusammenhang mit der Öffnung des Barocksaals als eine Art Museum nutzen, in dem auch der Heilige Korbinian einen Platz findet, meint Boeck.

Mit einem riesigen Schlüssel lässt sich dann die Tür zu der sogenannten Schatzkammer öffnen. Auch die ist vollgestellt mit prächtigen Schränken, in denen früher die Kostbarkeiten aufbewahrt wurden - heutzutage finden sich dort Leuchter und Reliquien, die beispielsweise bei der Priesterweihe auf den Altar gestellt werden. Hier oben, so erzählt der Monsignore, befindet sich auch das Zimmer, in dem über Jahrhunderte hinweg die Freisinger Fürstbischöfe gewählt wurden. Derzeit werden Perspektiven diskutiert, was man aus all dem machen, wie man es wieder für Besucher öffnen könnte, sagt Boeck.

Ein anderer "Traum" für ihn: Das Nordportal wieder als Eintritt zum Dom zu nutzen. Die alten Freisinger seien früher noch durch dieses in den Dom und zunächst in die von einem riesigen Kruzifix dominierte Eingangshalle gekommen. Einen Ort der Marienverehrung, den es bislang im Dom nicht gebe, könnte Boeck sich hier gut vorstellen. Weiter geht die Führung zur Benediktuskirche, zu einem anderen, fast vergessenen Ort, an dem nur noch selten Gottesdienste gefeiert werden. Besonders schön sei es hier am frühen Morgen, wenn die aufgehende Sonne durch das bunte, gotische Chorfenster scheine, das sei phantastisch. Die Leute sollten kommen und es auch einmal sehen, schwärmt der Monsignore.

Auf einem schmalen, verwinkelten Weg, dem Ratzinger Gässchen, geht es dann zum Domherrenhof, auch als Lerchenfelder Hof bekannt. Die Räume hinter der wiederhergestellten Barockfassade dienen als Wohnungen. Hier, sagt Boeck, und zeigt zum Fenster über der Hausnummer 26 b, habe früher der Papst gelebt. Von 1955 bis 1959 lebte Ratzinger hier, nun wohnt ein Professor in den Räumen. Erst kürzlich sei er dem Heiligen Vater in Rom begegnet, erzählt Boeck. Sie hätten auch über die Zeiten gesprochen, als Ratzinger hier wohnte. Der Papst habe gesagt, dass es schöne Jahre gewesen seien.

Der Papst, der Dom und auch der Domberg sind große Anziehungspunkte: Alleine 700 geführte Gruppen kommen jährlich auf den mons doctus. Vieles aber liege derzeit brach, was man doch aber als "wunderbares Gesamtensemble" präsentieren könne. Geplant sei, das Ganze stärker zusammenzubinden, Gespräche seien bereits am Laufen. Eventuell könne man die verborgenen Räume und vergessenen Orte ja mit einbeziehen, sinniert Boeck. Noch befinde man sich aber in der Phase der Konzepterarbeitung, sagt er, bei der auch die "wahnsinnigen Investitionen" genau durchdacht werden müssten. Aber vielleicht, eines Tages, könne hier nicht nur der Dom, sondern das "herrliches Ensemble" als Ganzes, als "Stadt Gottes auf dem Berg" , wiederentdeckt werden.

© SZ vom 27.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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