Übergangsklassen:Zeugnisdurchschnitt von 2,9

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Die Kinder brauchen in den Übergangsklassen feste Strukturen, um ein Sicherheitsempfinden entwickeln zu können. (Foto: Marco Einfeldt)

Fuß fassen ohne Deutschkenntnisse: An der Paul-Gerhardt-Schule in Freising unterrichten Lehrer etwa 50 Flüchtlingskinder. Es funktioniert erstaunlich gut, sagt Schulleiterin Karin Buchner.

Von Alexandra Vettori, Freising

Kinder aus anderen Nationen seien schon immer in der Paul-Gerhardt-Grund- und Mittelschule gewesen, sagt Schulleiterin Karin Buchner. Vielleicht kommt man deshalb so gut damit zurecht, dass hier jetzt die meisten Flüchtlingskinder im Landkreis unterrichtet werden. Gut 50 sind es derzeit, fast ein Zehntel der Schüler. Denn zum Sprengel der Paul-Gerhardt-Schule gehören die großen Asylbewerber-Unterkünfte an der Wippenhauser Straße.

Zwei Übergangsklassen hat Karin Buchner seit diesem Schuljahr. In zwei Altersgruppen eingeteilt, erhalten die nicht oder kaum Deutsch sprechenden Kinder erst einmal Sprach- und Alltagsunterricht. 26 Flüchtlingskinder werden außerdem in den Regelklassen unterrichtet. Buchner sieht die Sache pragmatisch: "Was geht, wird gemacht." Und es geht viel, wie sie betont, dank der hervorragenden Zusammenarbeit von Schule, Stadt und Landratsamt und dank engagierter Pädagogen, die vor den neuen Herausforderungen nicht zurückschrecken.

Beschwerden gibt es keine

Auch von den Eltern der übrigen gut 500 Schüler seien noch keine Beschwerden gekommen, betont Buchner. Sie setzt auf Transparenz: An der Schule gibt es einen Meeting-Point mit Informationen über und für die Flüchtlinge, im März veranstaltet die Schule einen Elternabend zur Flüchtlingssituation, zu dem auch eine Mitarbeiterin aus dem Landratsamt kommt. "Nur so geht das, wenn keiner das Gefühl hat, es werde mit etwas hinter dem Berg gehalten", sagt Karin Buchner. Das gleiche gelte für das Kollegium. Im Lehrerzimmer hängt eine Übersicht mit täglich aktualisierten Zahlen der Flüchtlingskinder. Auch wer mit wem verwandt ist und in welcher Klasse, steht dabei.

Veronika Schilling unterrichtet eine der beiden Übergangsklassen, an diesem Vormittag steht Fasching auf dem Stundenplan. 18 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren sitzen in den Bänken, wären nicht die Namensschilder, fiele nicht groß auf, dass sie aus aller Herren Länder kommen. Sie sind dabei, eine Gruppe Maskierter zu beschreiben, Pirat, Prinzessin, das Übliche.

Manchmal kommt es in den Klassen zu interessanten Wortschöpfungen

"Was machen die?", fragt Veronika Schilling in die Runde und verbessert erbarmungslos jede Antwort, jede falsche Präposition, jeden Fall, Plural, Singular. "Ich erwarte etwas von meinen Schülern", bestätigt die junge Lehrerin später, "aber sie wissen auch, dass sie sich hundertprozentig auf mich verlassen können." Als ein junger Afghane antwortet, die Leute auf dem Bild "fantasieren sich", überlegt Veronika Schilling ein wenig, es ist keine uninteressante Wortschöpfung. Aber schließlich einigt man sich doch auf das herkömmliche "sie maskieren sich". Zwei bis drei Wochen dauere es, sagt Schilling, die schon die erste Übergangsklasse im Landkreis vor drei Jahren leitete, bis die Kinder Vertrauen fassen und erzählen. "Vom Wochenende, von ihrer Geschichte, man kriegt viel vom Innenleben mit." Wirklich traumatisiert seien die wenigsten, doch alle seien stark verunsichert, litten unter den vollen, lauten Unterkünften, in denen sie zu wenig Schlaf bekommen und keinen Platz haben, um ungestört Hausaufgaben zu machen.

Das Wichtigste sei am Anfang, den Kindern und Jugendlichen das Gefühl zu geben, einen Platz zu haben, mit geregelten Abläufen und festen Strukturen, "damit sie ein Sicherheitsempfinden entwickeln können", betont Schulleiterin Karin Buchner. Das größte Problem: die Sprache. Das beginnt bei der Anmeldung, geht weiter mit einer Krankmeldung und hört noch lange nicht damit auf, dass den Kindern eine Brotzeit mitgegeben wird oder Hausaufgaben zu erledigen sind. Oft begleiten ehrenamtliche Helfer die sprachunkundigen Eltern, manchmal auch ein weiterer Flüchtling, der wenigstens Englisch spricht. Karin Buchner hat deshalb zusammen mit der Freisinger Caritas Elternbriefe auf Farsi und Arabisch entworfen, gibt diese auch an andere Schulen weiter. Darauf stehen die Formalien, das, was ein Schüler in Deutschland braucht, von Hausschuhen bis zum Malkasten. Oder dass es gemeinsamen Sportunterricht für Mädchen und Buben in der Grundschule gibt.

Die Schule erscheint den Eltern luxuriös

Zuerst, erzählt die Schulleiterin, seien die Eltern überrascht von den in ihren Augen luxuriösen Schulhäusern, von den offenen Armen, mit denen sie empfangen werden, von den vielen Dingen, die man braucht. Trotz des guten Willens auf beiden Seiten gibt es aber immer wieder Missverständnisse. So hat Buchner gelernt, dass es für viele Eltern aus Ländern mit autoritären Strukturen das Schlimmste ist, in die Schule einbestellt zu werden, eine Schande geradezu. In einem Punkt allerdings hatte sie noch kein Problem: Als Frau eine Autoritätsperson zu sein, "da ist wirklich noch nie jemand unverschämt gewesen", betont die Schulleiterin.

Grundschullehrerin Karin Kindler unterrichtet die "kleine Übergangsklasse" für die Fünft- und Sechsklässler. Hier ist eine besonders bunte Mischung versammelt, die Kinder kommen aus Thailand, Brasilien, Vietnam, Portugal, nicht alle sind Flüchtlinge. Im Klassenzimmer hängen überall Zettel: "Topfpflanze", "Computer", "Stuhl". Größte Herausforderung ist laut Kindler, dass die Zehn- bis Zwölfjährigen, von der Sprache abgesehen, schulisch auf unterschiedlichem Niveau sind. "Ein syrischer Junge ist im Zahlenraum bis 20, andere rechnen Brüche, einige müssen erst alphabetisiert werden." Und das gilt es am Anfang des Schuljahres herauszufinden - ohne Sprache. Ziel der Übergangsklassen ist es, die Schüler in die passende Regelklasse weiter zu reichen, das klappt erstaunlich gut. Veronika Schillings Klasse werden schon zum Halbjahr sechs Schüler verlassen, der Zeugnisdurchschnitt liegt bei 2,9. "In welcher Regelklasse finden Sie das?", fragt sie mit einem Lachen.

© SZ vom 10.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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